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Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691].

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andern die Warheit beyzubringen.
dergestalt zu verstecken/ daß man Mühe hat/
wenn man ein Buch etliche mahl durchlesen/
oder sich ihrer information etliche Jahr bedie-
net/ zu verstehen was sie haben wollen/ oder
was der Grund ihrer Lehre sey.

38. Wiederum pflegen auch die Zuhörer
und Leser gemeiniglich solche Autores hoch zu
achten/ und mit viel grösserer Begierde zu le-
sen/ als diejenigen/ so klar und deutlich geschrie-
ben haben.

39. Aber dieses Ubel kommt auff beyden
theilen daher/ daß die gantze Welt mit dem
höchstschädlichen Jrrthum eingenommen ist/
daß zwischen Gelehrten und gemeinen Leu-
ten ein
solcher Unterschied seyn müsse/ daß die
Gelahrheit einen besonderlichen Ehren-
stand
in dem gemeinen Wesen haben müsse/
und daß dannenhero die Warheit/ die so
leichte ist/ daß sie auch von gemeinen Leuten
verstanden werden könne/ nichts tauge.

40. Derowegen wie diese unzeitige Ehr-
sucht
gemeiniglich mit einem Neid vergesell-
schafftet ist; also gefällt es solchen neidischen
Gemüthern wohl/ wenn sie einen schweren und
dunckelen Autorem begreiffen können/ und
freuen sich/ wenn sie sehen/ daß andere/ die kei-

nen

andern die Warheit beyzubringen.
dergeſtalt zu verſtecken/ daß man Muͤhe hat/
wenn man ein Buch etliche mahl durchleſen/
oder ſich ihrer information etliche Jahr bedie-
net/ zu verſtehen was ſie haben wollen/ oder
was der Grund ihrer Lehre ſey.

38. Wiederum pflegen auch die Zuhoͤrer
und Leſer gemeiniglich ſolche Autores hoch zu
achten/ und mit viel groͤſſerer Begierde zu le-
ſen/ als diejenigen/ ſo klar und deutlich geſchrie-
ben haben.

39. Aber dieſes Ubel kommt auff beyden
theilen daher/ daß die gantze Welt mit dem
hoͤchſtſchaͤdlichen Jrrthum eingenommen iſt/
daß zwiſchen Gelehrten und gemeinen Leu-
ten ein
ſolcher Unterſchied ſeyn muͤſſe/ daß die
Gelahrheit einen beſonderlichen Ehren-
ſtand
in dem gemeinen Weſen haben muͤſſe/
und daß dannenhero die Warheit/ die ſo
leichte iſt/ daß ſie auch von gemeinen Leuten
verſtanden werden koͤnne/ nichts tauge.

40. Derowegen wie dieſe unzeitige Ehr-
ſucht
gemeiniglich mit einem Neid vergeſell-
ſchafftet iſt; alſo gefaͤllt es ſolchen neidiſchen
Gemuͤthern wohl/ wenn ſie einen ſchweren und
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[91/0117] andern die Warheit beyzubringen. dergeſtalt zu verſtecken/ daß man Muͤhe hat/ wenn man ein Buch etliche mahl durchleſen/ oder ſich ihrer information etliche Jahr bedie- net/ zu verſtehen was ſie haben wollen/ oder was der Grund ihrer Lehre ſey. 38. Wiederum pflegen auch die Zuhoͤrer und Leſer gemeiniglich ſolche Autores hoch zu achten/ und mit viel groͤſſerer Begierde zu le- ſen/ als diejenigen/ ſo klar und deutlich geſchrie- ben haben. 39. Aber dieſes Ubel kommt auff beyden theilen daher/ daß die gantze Welt mit dem hoͤchſtſchaͤdlichen Jrrthum eingenommen iſt/ daß zwiſchen Gelehrten und gemeinen Leu- ten ein ſolcher Unterſchied ſeyn muͤſſe/ daß die Gelahrheit einen beſonderlichen Ehren- ſtand in dem gemeinen Weſen haben muͤſſe/ und daß dannenhero die Warheit/ die ſo leichte iſt/ daß ſie auch von gemeinen Leuten verſtanden werden koͤnne/ nichts tauge. 40. Derowegen wie dieſe unzeitige Ehr- ſucht gemeiniglich mit einem Neid vergeſell- ſchafftet iſt; alſo gefaͤllt es ſolchen neidiſchen Gemuͤthern wohl/ wenn ſie einen ſchweren und dunckelen Autorem begreiffen koͤnnen/ und freuen ſich/ wenn ſie ſehen/ daß andere/ die kei- nen

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691], S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungvernunfftlehre_1691/117>, abgerufen am 07.05.2024.