Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

Bild:
<< vorherige Seite

Das 4. H. wie vielerley Gem. N.
oder gutes zu thun. Aber wer hat Cartesio ge-
sagt/ daß man gegen einen Ertzbösewicht und
Mörder
eine Ehrfurcht oder veneration trage?
Cartesius vermischet hier gantz augenscheinlich
Ehrfurcht und Furcht.

44. Wir hoffen solcher Gestalt/ Cartesio
und denen die es mit ihm halten/ sattsames Ge-
nügen gethan zu haben/ so viel die Verwunde-
rung mit ihren Töchtern betrifft/ und bleibet also
nochmahln dabey: Verwunderung ist keine
Gemüthsneigung.
Lasset uns aber/ ehe wir
noch weiter gehen/ eine nöthige Betrachtung an-
mercken/ daß die Menschen insgemein die
Verwunderung mehr lieben als die Wissen-
schafft.
So lange wir ein Ding oder die Ursa-
che eines Dinges nicht wissen/ halten wir es ent-
weder hoch/ oder lieben es und belustigen uns da-
mit/ oder sind begierig solches zu wissen z. e. eine
masquirte Weibes-Persohn/ das Taschenspie-
len u. s. w. Wenn wir aberunsern Zweck erreicht
haben/ fället entweder die Hochachtung/ oder die
Lust vergehet uns/ oder wir kriegen einen Eckel
davor/ oder die Begierde vermindert sich doch
zum wenigsten umb ein merckliches.

45. Daraus folget/ daß die Menschen
insgemein die Unwissenheit mehr lieben als
die Weißheit.
Denn Verwunderung und Un-
wissenheit sind allzu genau verknüpfft/ daß wer
jene liebet/ auch diese lieben muß.

46. Aber

Das 4. H. wie vielerley Gem. N.
oder gutes zu thun. Aber wer hat Carteſio ge-
ſagt/ daß man gegen einen Ertzboͤſewicht und
Moͤrder
eine Ehrfurcht oder veneration trage?
Carteſius vermiſchet hier gantz augenſcheinlich
Ehrfurcht und Furcht.

44. Wir hoffen ſolcher Geſtalt/ Carteſio
und denen die es mit ihm halten/ ſattſames Ge-
nuͤgen gethan zu haben/ ſo viel die Verwunde-
rung mit ihren Toͤchtern betrifft/ und bleibet alſo
nochmahln dabey: Verwunderung iſt keine
Gemuͤthsneigung.
Laſſet uns aber/ ehe wir
noch weiter gehen/ eine noͤthige Betrachtung an-
mercken/ daß die Menſchen insgemein die
Verwunderung mehr lieben als die Wiſſen-
ſchafft.
So lange wir ein Ding oder die Urſa-
che eines Dinges nicht wiſſen/ halten wir es ent-
weder hoch/ oder lieben es und beluſtigen uns da-
mit/ oder ſind begierig ſolches zu wiſſen z. e. eine
masquirte Weibes-Perſohn/ das Taſchenſpie-
len u. ſ. w. Wenn wir aberunſern Zweck erreicht
haben/ faͤllet entweder die Hochachtung/ oder die
Luſt vergehet uns/ oder wir kriegen einen Eckel
davor/ oder die Begierde vermindert ſich doch
zum wenigſten umb ein merckliches.

45. Daraus folget/ daß die Menſchen
insgemein die Unwiſſenheit mehr lieben als
die Weißheit.
Denn Verwunderung und Un-
wiſſenheit ſind allzu genau verknuͤpfft/ daß wer
jene liebet/ auch dieſe lieben muß.

46. Aber
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0136" n="124"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das 4. H. wie vielerley Gem. N.</hi></fw><lb/><hi rendition="#fr">oder gutes zu thun.</hi> Aber wer hat <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">Carte&#x017F;io</hi></hi> ge-<lb/>
&#x017F;agt/ daß man gegen einen <hi rendition="#fr">Ertzbo&#x0364;&#x017F;ewicht und<lb/>
Mo&#x0364;rder</hi> eine Ehrfurcht oder <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">veneration</hi></hi> trage?<lb/><hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">Carte&#x017F;ius</hi></hi> vermi&#x017F;chet hier gantz augen&#x017F;cheinlich<lb/><hi rendition="#fr">Ehrfurcht</hi> und <hi rendition="#fr">Furcht.</hi></p><lb/>
        <p>44. Wir hoffen &#x017F;olcher Ge&#x017F;talt/ <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">Carte&#x017F;io</hi></hi><lb/>
und denen die es mit ihm halten/ &#x017F;att&#x017F;ames Ge-<lb/>
nu&#x0364;gen gethan zu haben/ &#x017F;o viel die Verwunde-<lb/>
rung mit ihren To&#x0364;chtern betrifft/ und bleibet al&#x017F;o<lb/>
nochmahln dabey: <hi rendition="#fr">Verwunderung i&#x017F;t keine<lb/>
Gemu&#x0364;thsneigung.</hi> La&#x017F;&#x017F;et uns aber/ ehe wir<lb/>
noch weiter gehen/ eine no&#x0364;thige Betrachtung an-<lb/>
mercken/ <hi rendition="#fr">daß die Men&#x017F;chen insgemein die<lb/>
Verwunderung mehr lieben als die Wi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chafft.</hi> So lange wir ein Ding oder die Ur&#x017F;a-<lb/>
che eines Dinges nicht wi&#x017F;&#x017F;en/ halten wir es ent-<lb/>
weder hoch/ oder lieben es und belu&#x017F;tigen uns da-<lb/>
mit/ oder &#x017F;ind begierig &#x017F;olches zu wi&#x017F;&#x017F;en z. e. eine<lb/><hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">masquirte</hi></hi> Weibes-Per&#x017F;ohn/ das Ta&#x017F;chen&#x017F;pie-<lb/>
len u. &#x017F;. w. Wenn wir aberun&#x017F;ern Zweck erreicht<lb/>
haben/ fa&#x0364;llet entweder die Hochachtung/ oder die<lb/>
Lu&#x017F;t vergehet uns/ oder wir kriegen einen Eckel<lb/>
davor/ oder die Begierde vermindert &#x017F;ich doch<lb/>
zum wenig&#x017F;ten umb ein merckliches.</p><lb/>
        <p>45. Daraus folget/ <hi rendition="#fr">daß die Men&#x017F;chen<lb/>
insgemein die Unwi&#x017F;&#x017F;enheit mehr lieben als<lb/>
die Weißheit.</hi> Denn Verwunderung und Un-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;enheit &#x017F;ind allzu genau verknu&#x0364;pfft/ daß wer<lb/>
jene liebet/ auch die&#x017F;e lieben muß.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">46. Aber</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[124/0136] Das 4. H. wie vielerley Gem. N. oder gutes zu thun. Aber wer hat Carteſio ge- ſagt/ daß man gegen einen Ertzboͤſewicht und Moͤrder eine Ehrfurcht oder veneration trage? Carteſius vermiſchet hier gantz augenſcheinlich Ehrfurcht und Furcht. 44. Wir hoffen ſolcher Geſtalt/ Carteſio und denen die es mit ihm halten/ ſattſames Ge- nuͤgen gethan zu haben/ ſo viel die Verwunde- rung mit ihren Toͤchtern betrifft/ und bleibet alſo nochmahln dabey: Verwunderung iſt keine Gemuͤthsneigung. Laſſet uns aber/ ehe wir noch weiter gehen/ eine noͤthige Betrachtung an- mercken/ daß die Menſchen insgemein die Verwunderung mehr lieben als die Wiſſen- ſchafft. So lange wir ein Ding oder die Urſa- che eines Dinges nicht wiſſen/ halten wir es ent- weder hoch/ oder lieben es und beluſtigen uns da- mit/ oder ſind begierig ſolches zu wiſſen z. e. eine masquirte Weibes-Perſohn/ das Taſchenſpie- len u. ſ. w. Wenn wir aberunſern Zweck erreicht haben/ faͤllet entweder die Hochachtung/ oder die Luſt vergehet uns/ oder wir kriegen einen Eckel davor/ oder die Begierde vermindert ſich doch zum wenigſten umb ein merckliches. 45. Daraus folget/ daß die Menſchen insgemein die Unwiſſenheit mehr lieben als die Weißheit. Denn Verwunderung und Un- wiſſenheit ſind allzu genau verknuͤpfft/ daß wer jene liebet/ auch dieſe lieben muß. 46. Aber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/136
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/136>, abgerufen am 02.05.2024.