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Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794.

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Unser Herr
Jesu Gegenwart und Gespräch alle andren Gäste
fanden, da scheint der abscheuliche Gedanke, Je-
fum zu verrathen, wo nicht zuerst in Judas Sele
gekommen, doch zuerst bis zur Stärke des Vor-
sazzes erwacht zu sein. Aus dieser Gesellschaft
scheint sich Judas sogleich zu den Oberpriestern
aufgemacht, und mit ihnen den schändlichsten Han-
del, der ie zwischen den schändlichsten Menschen
auf die schändlichste Art geschlossen und gebrochen
ist, eingegangen zu sein. Von da an suchte er, wie
er Jesum füglich verriethe. Er hielt sich also
wieder zu ihm, trug noch, wie sonst, den Beutel,
aß, wie sonst, Jesu Brod, tauchte mit ihm in eine
Schüssel, war noch zugegen bei der feierlichen
Passahmahlzeit, die Jesus mit seinen Jüngern zu
Jerusalem hielt, hörte, wie Jesus da mit so viel
Empfindung von seinem nahen Tode sprach, hör-
te, wie er von Auslieferung an seine Feinde, von
einem Verräther, von einem treulosen Jünger
sprach; sah, wie gescheucht sein Blik auch war,
wie Jesus ihn dabei ins Auge faßte, und auf eine
sehr bedeutende Art ihm den lezten Bissen, den
er mit ihm aß, reichte. Und gleich darauf, noch
eh diese Mahlzeit, wovon Jesus so bestimmt ge-
sagt hatte, sie sei vor seinem Tode die lezte, die
er mit seinen Jüngern halten werde, noch eh dies
Gespräch beendigt war, stand Judas von diesem
Tisch, aus dieser Gesellschaft auf, um seinen
Hochverrath ins schändliche Werk zu richten. Und
nun kam er, einige Stunden darauf, wieder nach
dem Ort, wo, wie er wußte, Jesus mit seinen
Jüngern sich aufzuhalten pflegte, wenn er in Je-

rusalem

Unſer Herr
Jeſu Gegenwart und Geſpräch alle andren Gäſte
fanden, da ſcheint der abſcheuliche Gedanke, Je-
fum zu verrathen, wo nicht zuerſt in Judas Sele
gekommen, doch zuerſt bis zur Stärke des Vor-
ſazzes erwacht zu ſein. Aus dieſer Geſellſchaft
ſcheint ſich Judas ſogleich zu den Oberprieſtern
aufgemacht, und mit ihnen den ſchändlichſten Han-
del, der ie zwiſchen den ſchändlichſten Menſchen
auf die ſchändlichſte Art geſchloſſen und gebrochen
iſt, eingegangen zu ſein. Von da an ſuchte er, wie
er Jeſum füglich verriethe. Er hielt ſich alſo
wieder zu ihm, trug noch, wie ſonſt, den Beutel,
aß, wie ſonſt, Jeſu Brod, tauchte mit ihm in eine
Schüſſel, war noch zugegen bei der feierlichen
Paſſahmahlzeit, die Jeſus mit ſeinen Jüngern zu
Jeruſalem hielt, hörte, wie Jeſus da mit ſo viel
Empfindung von ſeinem nahen Tode ſprach, hör-
te, wie er von Auslieferung an ſeine Feinde, von
einem Verräther, von einem treuloſen Jünger
ſprach; ſah, wie geſcheucht ſein Blik auch war,
wie Jeſus ihn dabei ins Auge faßte, und auf eine
ſehr bedeutende Art ihm den lezten Biſſen, den
er mit ihm aß, reichte. Und gleich darauf, noch
eh dieſe Mahlzeit, wovon Jeſus ſo beſtimmt ge-
ſagt hatte, ſie ſei vor ſeinem Tode die lezte, die
er mit ſeinen Jüngern halten werde, noch eh dies
Geſpräch beendigt war, ſtand Judas von dieſem
Tiſch, aus dieſer Geſellſchaft auf, um ſeinen
Hochverrath ins ſchändliche Werk zu richten. Und
nun kam er, einige Stunden darauf, wieder nach
dem Ort, wo, wie er wußte, Jeſus mit ſeinen
Jüngern ſich aufzuhalten pflegte, wenn er in Je-

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[56/0070] Unſer Herr Jeſu Gegenwart und Geſpräch alle andren Gäſte fanden, da ſcheint der abſcheuliche Gedanke, Je- fum zu verrathen, wo nicht zuerſt in Judas Sele gekommen, doch zuerſt bis zur Stärke des Vor- ſazzes erwacht zu ſein. Aus dieſer Geſellſchaft ſcheint ſich Judas ſogleich zu den Oberprieſtern aufgemacht, und mit ihnen den ſchändlichſten Han- del, der ie zwiſchen den ſchändlichſten Menſchen auf die ſchändlichſte Art geſchloſſen und gebrochen iſt, eingegangen zu ſein. Von da an ſuchte er, wie er Jeſum füglich verriethe. Er hielt ſich alſo wieder zu ihm, trug noch, wie ſonſt, den Beutel, aß, wie ſonſt, Jeſu Brod, tauchte mit ihm in eine Schüſſel, war noch zugegen bei der feierlichen Paſſahmahlzeit, die Jeſus mit ſeinen Jüngern zu Jeruſalem hielt, hörte, wie Jeſus da mit ſo viel Empfindung von ſeinem nahen Tode ſprach, hör- te, wie er von Auslieferung an ſeine Feinde, von einem Verräther, von einem treuloſen Jünger ſprach; ſah, wie geſcheucht ſein Blik auch war, wie Jeſus ihn dabei ins Auge faßte, und auf eine ſehr bedeutende Art ihm den lezten Biſſen, den er mit ihm aß, reichte. Und gleich darauf, noch eh dieſe Mahlzeit, wovon Jeſus ſo beſtimmt ge- ſagt hatte, ſie ſei vor ſeinem Tode die lezte, die er mit ſeinen Jüngern halten werde, noch eh dies Geſpräch beendigt war, ſtand Judas von dieſem Tiſch, aus dieſer Geſellſchaft auf, um ſeinen Hochverrath ins ſchändliche Werk zu richten. Und nun kam er, einige Stunden darauf, wieder nach dem Ort, wo, wie er wußte, Jeſus mit ſeinen Jüngern ſich aufzuhalten pflegte, wenn er in Je- ruſalem

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Zitationshilfe: Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794/70>, abgerufen am 24.11.2024.