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Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794.

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Unser Herr
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men waren: "ihr seid,
&q;als zu einem Mörder,
&q;mit Schwerten und mit
&q;Stangen ausgegan-
&q;gen. Ich bin täglich
&q;bei euch im Tempel ge-
&q;wesen, und ihr habt
&q;keine Hand an mich ge-
&q;legt: aber, dies ist
&q;eure Stunde, und die
&q;Macht der Finsternis."

[Spaltenumbruch] chen: "Jesum von Na-
&q;zareth." Jesus ant-
wortete: "ich habs euch
&q;gesaget, daß ichs sei.
&q;Suchet ihr denn mich:
&q;so laffet diese gehen."
Auf daß das Wort er-
füllet würde, welches er
sagte: "ich habe der kei-
&q;nen verlohren, die du
&q;mir gegeben hast." Da
hatte Simon Petrus ein
Schwert, und zog es
aus, und schlug nach des Hohenpriesters Knecht,
und hieb ihm sein recht Ohr ab, und der Knecht
hieß Malchus. Da sprach Jesus zu Petro: "stekke
&q;dein Schwert in die Scheide. Soll ich den
&q;Kelch nicht trinken, den mir mein Vater gege-
&q;ben hat?"

Daß ich doch nie ohne die innerste Bewegung des
Herzens, ohne die tiefste Erschütterung der Sele daran
gedächte, wie du, o Heiland, verrathen, in der Nacht,
von einem deiner Jünger, mit einem Kusse verrathen,
deinen mordlustigen, blutdürstigen Feinden verrathen
worden bist. Doch zurükbeben laß mich nicht blos vor
diesem grauenvollen Auftritt, genau zusehn laß mich,
mit so viel Bewunderung als Freude, wie du auch ihn
mit einem Wort in einen Schauplaz deiner Macht und
deiner Liebe verwandelst, und sorgsam forschen laß mich
in dem Grunde meines Herzens, ob auch da eine ver-
borgne Anlage zur Falschheit sei, ob auch da die Wurzel
alles Uebels hafte, so daß nun auch der weichste Boden
keine gute Frucht mehr tragen könne!

Er-
Unſer Herr
[Spaltenumbruch] teſten, die über ihn kom-
men waren: “ihr ſeid,
&q;als zu einem Mörder,
&q;mit Schwerten und mit
&q;Stangen ausgegan-
&q;gen. Ich bin täglich
&q;bei euch im Tempel ge-
&q;weſen, und ihr habt
&q;keine Hand an mich ge-
&q;legt: aber, dies iſt
&q;eure Stunde, und die
&q;Macht der Finſternis.”

[Spaltenumbruch] chen: “Jeſum von Na-
&q;zareth.” Jeſus ant-
wortete: “ich habs euch
&q;geſaget, daß ichs ſei.
&q;Suchet ihr denn mich:
&q;ſo laffet dieſe gehen.”
Auf daß das Wort er-
füllet würde, welches er
ſagte: “ich habe der kei-
&q;nen verlohren, die du
&q;mir gegeben haſt.” Da
hatte Simon Petrus ein
Schwert, und zog es
aus, und ſchlug nach des Hohenprieſters Knecht,
und hieb ihm ſein recht Ohr ab, und der Knecht
hieß Malchus. Da ſprach Jeſus zu Petro: “ſtekke
&q;dein Schwert in die Scheide. Soll ich den
&q;Kelch nicht trinken, den mir mein Vater gege-
&q;ben hat?”

Daß ich doch nie ohne die innerſte Bewegung des
Herzens, ohne die tiefſte Erſchütterung der Sele daran
gedächte, wie du, o Heiland, verrathen, in der Nacht,
von einem deiner Jünger, mit einem Kuſſe verrathen,
deinen mordluſtigen, blutdürſtigen Feinden verrathen
worden biſt. Doch zurükbeben laß mich nicht blos vor
dieſem grauenvollen Auftritt, genau zuſehn laß mich,
mit ſo viel Bewunderung als Freude, wie du auch ihn
mit einem Wort in einen Schauplaz deiner Macht und
deiner Liebe verwandelſt, und ſorgſam forſchen laß mich
in dem Grunde meines Herzens, ob auch da eine ver-
borgne Anlage zur Falſchheit ſei, ob auch da die Wurzel
alles Uebels hafte, ſo daß nun auch der weichſte Boden
keine gute Frucht mehr tragen könne!

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[52/0066] Unſer Herr teſten, die über ihn kom- men waren: “ihr ſeid, &q;als zu einem Mörder, &q;mit Schwerten und mit &q;Stangen ausgegan- &q;gen. Ich bin täglich &q;bei euch im Tempel ge- &q;weſen, und ihr habt &q;keine Hand an mich ge- &q;legt: aber, dies iſt &q;eure Stunde, und die &q;Macht der Finſternis.” chen: “Jeſum von Na- &q;zareth.” Jeſus ant- wortete: “ich habs euch &q;geſaget, daß ichs ſei. &q;Suchet ihr denn mich: &q;ſo laffet dieſe gehen.” Auf daß das Wort er- füllet würde, welches er ſagte: “ich habe der kei- &q;nen verlohren, die du &q;mir gegeben haſt.” Da hatte Simon Petrus ein Schwert, und zog es aus, und ſchlug nach des Hohenprieſters Knecht, und hieb ihm ſein recht Ohr ab, und der Knecht hieß Malchus. Da ſprach Jeſus zu Petro: “ſtekke &q;dein Schwert in die Scheide. Soll ich den &q;Kelch nicht trinken, den mir mein Vater gege- &q;ben hat?” Daß ich doch nie ohne die innerſte Bewegung des Herzens, ohne die tiefſte Erſchütterung der Sele daran gedächte, wie du, o Heiland, verrathen, in der Nacht, von einem deiner Jünger, mit einem Kuſſe verrathen, deinen mordluſtigen, blutdürſtigen Feinden verrathen worden biſt. Doch zurükbeben laß mich nicht blos vor dieſem grauenvollen Auftritt, genau zuſehn laß mich, mit ſo viel Bewunderung als Freude, wie du auch ihn mit einem Wort in einen Schauplaz deiner Macht und deiner Liebe verwandelſt, und ſorgſam forſchen laß mich in dem Grunde meines Herzens, ob auch da eine ver- borgne Anlage zur Falſchheit ſei, ob auch da die Wurzel alles Uebels hafte, ſo daß nun auch der weichſte Boden keine gute Frucht mehr tragen könne! Er-

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Zitationshilfe: Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794/66>, abgerufen am 22.07.2024.