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Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794.

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Unser Herr
&q;und dem Gericht genommen." So wenig
Jesus am Fleische hätte leiden, und so wenig
sein unbeflekter Leib an das verfluchte Holz
hätte geschlagen werden können, wenn er nicht ein
Fluch für uns hätte werden, und uns vom Fluch
des Gesezzes hätte erlösen sollen: so wenig konnte
auch seine heilige Sele zagen, wenn er nicht für
uns Unheilige hätte ins Gericht gehn, wenn er
nicht unsre Selen von dem Urtheil der Ver-
dammnis
mit seinem heiligen, theuren Blute
hätte loskaufen sollen. Und so wenig wie er als
ein ganz unverderbter, ganz vollkommner Mensch,
den Tod für sich hätte erdulden, so wenig wie er
diesen Sold der Sünde hätte empfangen kön-
nen, da er ihr nie gedient hatte, wiewohl er
allenthalben versucht worden war: so we-
nig hätt' er auch das empfindlichste Selenleiden,
Furcht vor dem unnatürlichsten Tode aus
sich
selbst empfinden können. Diese Empfindung
war ihm eben so ganz unnatürlich, sie war ihm
die allerfremdeste, und eben das verursachte
ihm eine so durchdringende Angst, eine solche Zer-
rüttung fast aller seiner Körper- und Selenkräfte,
wie wir sie sonst, auch bei den gegenwärtigsten
und peinlichsten, körperlichen Leiden, nie an ihm
bemerken. Wie mit seinem leiblichen Tode
die Strafe der Sünden aller Menschen auf
ihn, den Stellvertreter der Menschheit, ihn, ihren
Bürgen bei Gott, übertragen ward: so lag izt
auf seiner leidenden Sele, die nun schon anfing,
mit diesem Tode zu ringen, die Schuld der
Sünden aller Menschen.
So gewis Jesus

des

Unſer Herr
&q;und dem Gericht genommen.” So wenig
Jeſus am Fleiſche hätte leiden, und ſo wenig
ſein unbeflekter Leib an das verfluchte Holz
hätte geſchlagen werden können, wenn er nicht ein
Fluch für uns hätte werden, und uns vom Fluch
des Geſezzes hätte erlöſen ſollen: ſo wenig konnte
auch ſeine heilige Sele zagen, wenn er nicht für
uns Unheilige hätte ins Gericht gehn, wenn er
nicht unſre Selen von dem Urtheil der Ver-
dammnis
mit ſeinem heiligen, theuren Blute
hätte loskaufen ſollen. Und ſo wenig wie er als
ein ganz unverderbter, ganz vollkommner Menſch,
den Tod für ſich hätte erdulden, ſo wenig wie er
dieſen Sold der Sünde hätte empfangen kön-
nen, da er ihr nie gedient hatte, wiewohl er
allenthalben verſucht worden war: ſo we-
nig hätt’ er auch das empfindlichſte Selenleiden,
Furcht vor dem unnatürlichſten Tode aus
ſich
ſelbſt empfinden können. Dieſe Empfindung
war ihm eben ſo ganz unnatürlich, ſie war ihm
die allerfremdeſte, und eben das verurſachte
ihm eine ſo durchdringende Angſt, eine ſolche Zer-
rüttung faſt aller ſeiner Körper- und Selenkräfte,
wie wir ſie ſonſt, auch bei den gegenwärtigſten
und peinlichſten, körperlichen Leiden, nie an ihm
bemerken. Wie mit ſeinem leiblichen Tode
die Strafe der Sünden aller Menſchen auf
ihn, den Stellvertreter der Menſchheit, ihn, ihren
Bürgen bei Gott, übertragen ward: ſo lag izt
auf ſeiner leidenden Sele, die nun ſchon anfing,
mit dieſem Tode zu ringen, die Schuld der
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[46/0060] Unſer Herr &q;und dem Gericht genommen.” So wenig Jeſus am Fleiſche hätte leiden, und ſo wenig ſein unbeflekter Leib an das verfluchte Holz hätte geſchlagen werden können, wenn er nicht ein Fluch für uns hätte werden, und uns vom Fluch des Geſezzes hätte erlöſen ſollen: ſo wenig konnte auch ſeine heilige Sele zagen, wenn er nicht für uns Unheilige hätte ins Gericht gehn, wenn er nicht unſre Selen von dem Urtheil der Ver- dammnis mit ſeinem heiligen, theuren Blute hätte loskaufen ſollen. Und ſo wenig wie er als ein ganz unverderbter, ganz vollkommner Menſch, den Tod für ſich hätte erdulden, ſo wenig wie er dieſen Sold der Sünde hätte empfangen kön- nen, da er ihr nie gedient hatte, wiewohl er allenthalben verſucht worden war: ſo we- nig hätt’ er auch das empfindlichſte Selenleiden, Furcht vor dem unnatürlichſten Tode aus ſich ſelbſt empfinden können. Dieſe Empfindung war ihm eben ſo ganz unnatürlich, ſie war ihm die allerfremdeſte, und eben das verurſachte ihm eine ſo durchdringende Angſt, eine ſolche Zer- rüttung faſt aller ſeiner Körper- und Selenkräfte, wie wir ſie ſonſt, auch bei den gegenwärtigſten und peinlichſten, körperlichen Leiden, nie an ihm bemerken. Wie mit ſeinem leiblichen Tode die Strafe der Sünden aller Menſchen auf ihn, den Stellvertreter der Menſchheit, ihn, ihren Bürgen bei Gott, übertragen ward: ſo lag izt auf ſeiner leidenden Sele, die nun ſchon anfing, mit dieſem Tode zu ringen, die Schuld der Sünden aller Menſchen. So gewis Jeſus des

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Zitationshilfe: Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794/60>, abgerufen am 28.11.2024.