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Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794.

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Unser Herr in der lezten Abendgesellschaft
unter und mit einander bekannt waren? Aber
freilich so viel folgerten sie wohl nicht daraus,
als sie hernach erfuhren; eines solchen Verbachts
war ihr argloses Herz gewis nicht fähig, und
am wenigsten izt, bei der sanften Bewegung des-
selben. Doch lag Jesu vieles dran, es ihnen
vor seiner Verhaftnehmung recht wahr und klar
zu machen, wie er werde gefangen genommen,
vielmehr, wie er sich werde gefangen nehmen las-
sen. Es lag ihm dran, auch dem Verräther zu
zeigen, er wisse sein Vorhaben aufs genaueste,
und hab also in Wahrheit Macht, sein Leben zu
lassen und es wieder zu nehmen. Darum fuhr
er, im vertraulichen Tischgespräch, fort, von sei-
nem Tode und dessen menschlichem, oder vielmehr
unmenschlichem, satanischem Werkzeug zu reden.
Erst sprach er von ihm im Allgemeinen, doch schon
mit dem bestimmten Zusaz, es sei dies einer von
ihnen.
Schreklich klang gewis iene Nachricht,
schreklicher noch dieser Zusaz den Ohren der Jün-
ger. So bestimmt wie Jesus hievon geredet,
und so unbestimmt er dies wieder gelassen hatte,
konnte, mußte fast ieder Jünger dies auf ieden
andern und auf sich selbst ziehn, denn so sicher
Jesus auch nur von Einem reden wollte, so schien
er doch von iedem reden zu können. Darum
die allgemeine Frage der Jünger: Herr! bin
ichs
? Diese Frage, vorschnell oder bedachtsam,
wehmüthig oder freimüthig, bang oder muthig,
vonleinem oder von allen Jüngern, ausgesprochen,
wie gern leih ich ihr hier mein Ohr! O daß ich
ihr immer mein Herz öfnen mögte, so bald irgend

ein

Unſer Herr in der lezten Abendgeſellſchaft
unter und mit einander bekannt waren? Aber
freilich ſo viel folgerten ſie wohl nicht daraus,
als ſie hernach erfuhren; eines ſolchen Verbachts
war ihr argloſes Herz gewis nicht fähig, und
am wenigſten izt, bei der ſanften Bewegung deſ-
ſelben. Doch lag Jeſu vieles dran, es ihnen
vor ſeiner Verhaftnehmung recht wahr und klar
zu machen, wie er werde gefangen genommen,
vielmehr, wie er ſich werde gefangen nehmen laſ-
ſen. Es lag ihm dran, auch dem Verräther zu
zeigen, er wiſſe ſein Vorhaben aufs genaueſte,
und hab alſo in Wahrheit Macht, ſein Leben zu
laſſen und es wieder zu nehmen. Darum fuhr
er, im vertraulichen Tiſchgeſpräch, fort, von ſei-
nem Tode und deſſen menſchlichem, oder vielmehr
unmenſchlichem, ſataniſchem Werkzeug zu reden.
Erſt ſprach er von ihm im Allgemeinen, doch ſchon
mit dem beſtimmten Zuſaz, es ſei dies einer von
ihnen.
Schreklich klang gewis iene Nachricht,
ſchreklicher noch dieſer Zuſaz den Ohren der Jün-
ger. So beſtimmt wie Jeſus hievon geredet,
und ſo unbeſtimmt er dies wieder gelaſſen hatte,
konnte, mußte faſt ieder Jünger dies auf ieden
andern und auf ſich ſelbſt ziehn, denn ſo ſicher
Jeſus auch nur von Einem reden wollte, ſo ſchien
er doch von iedem reden zu können. Darum
die allgemeine Frage der Jünger: Herr! bin
ichs
? Dieſe Frage, vorſchnell oder bedachtſam,
wehmüthig oder freimüthig, bang oder muthig,
vonleinem oder von allen Jüngern, ausgeſprochen,
wie gern leih ich ihr hier mein Ohr! O daß ich
ihr immer mein Herz öfnen mögte, ſo bald irgend

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[28/0042] Unſer Herr in der lezten Abendgeſellſchaft unter und mit einander bekannt waren? Aber freilich ſo viel folgerten ſie wohl nicht daraus, als ſie hernach erfuhren; eines ſolchen Verbachts war ihr argloſes Herz gewis nicht fähig, und am wenigſten izt, bei der ſanften Bewegung deſ- ſelben. Doch lag Jeſu vieles dran, es ihnen vor ſeiner Verhaftnehmung recht wahr und klar zu machen, wie er werde gefangen genommen, vielmehr, wie er ſich werde gefangen nehmen laſ- ſen. Es lag ihm dran, auch dem Verräther zu zeigen, er wiſſe ſein Vorhaben aufs genaueſte, und hab alſo in Wahrheit Macht, ſein Leben zu laſſen und es wieder zu nehmen. Darum fuhr er, im vertraulichen Tiſchgeſpräch, fort, von ſei- nem Tode und deſſen menſchlichem, oder vielmehr unmenſchlichem, ſataniſchem Werkzeug zu reden. Erſt ſprach er von ihm im Allgemeinen, doch ſchon mit dem beſtimmten Zuſaz, es ſei dies einer von ihnen. Schreklich klang gewis iene Nachricht, ſchreklicher noch dieſer Zuſaz den Ohren der Jün- ger. So beſtimmt wie Jeſus hievon geredet, und ſo unbeſtimmt er dies wieder gelaſſen hatte, konnte, mußte faſt ieder Jünger dies auf ieden andern und auf ſich ſelbſt ziehn, denn ſo ſicher Jeſus auch nur von Einem reden wollte, ſo ſchien er doch von iedem reden zu können. Darum die allgemeine Frage der Jünger: Herr! bin ichs? Dieſe Frage, vorſchnell oder bedachtſam, wehmüthig oder freimüthig, bang oder muthig, vonleinem oder von allen Jüngern, ausgeſprochen, wie gern leih ich ihr hier mein Ohr! O daß ich ihr immer mein Herz öfnen mögte, ſo bald irgend ein

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Zitationshilfe: Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794/42>, abgerufen am 21.11.2024.