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Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794.

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Unser Herr,
Freund, Lazarus, zu besuchen, der, wie sie wußten,
in eine schwere Krankheit gefallen war. Still,
wie es scheint, und in Gedanken an ihren lieben
Kranken vertieft, gingen die Jünger dem Herrn
zur Seite. Auf einmal sagte Jesus zu ihnen:
"Lazarus, unser Freund, schläft." Die Jün-
ger nahmen das im eigentlichen Verstande, und
hielten es darum für ein gutes Zeichen, für einen
Vorbothen der wiederkehrenden Gesundheit ihres
Freundes. Da sagte Jesus ohne Bild zu ihnen:
"Lazarus ist gestorben, und, sezte er hinzu --
&q;ich bin froh um eurentwillen, daß ich nicht
&q;da gewesen bin, auf daß ihr gläubet: aber
&q;lasset uns zu ihm ziehen.
" Thomas ver-
stand entweder nicht, was Jesus mit diesen Wor-
ten, mit der Versicherung seiner Zufriedenheit
über seine Abwesenheit bei dem Absterben des La-
zarus, und mit seiner Auffoderung ihres Glau-
bens eigentlich sagen wollte; ihm kam kein Ge-
danke daran, daß Jesus diesem Todten noch hel-
fen könne und wolle, und daß er dies ihnen hiemit
wohl zu verstehen geben wolle; und in diesem
Falle befand sich dann wohl Thomas nicht allein:
oder er hörte auch würklich nichts weiter, als die
ersten und lezten Worte Jesu, die beide für ihn
gleich traurig klangen; er überhörte das ganz,
was Jesus noch dazwischen redete, und was ihm
auch wohl nicht zunächst zur Sache zu gehören,
was ihm hier nicht das Wigtigste zu sein schien.
Das Wigtigste war hier für ihn das Traurigste;
die betrübte Nachricht wars: "unser todtkranker
&q;Freund schläft, er schläft -- den Todesschlaf."

Aus

Unſer Herr,
Freund, Lazarus, zu beſuchen, der, wie ſie wußten,
in eine ſchwere Krankheit gefallen war. Still,
wie es ſcheint, und in Gedanken an ihren lieben
Kranken vertieft, gingen die Jünger dem Herrn
zur Seite. Auf einmal ſagte Jeſus zu ihnen:
Lazarus, unſer Freund, ſchläft.” Die Jün-
ger nahmen das im eigentlichen Verſtande, und
hielten es darum für ein gutes Zeichen, für einen
Vorbothen der wiederkehrenden Geſundheit ihres
Freundes. Da ſagte Jeſus ohne Bild zu ihnen:
Lazarus iſt geſtorben, und, ſezte er hinzu —
&q;ich bin froh um eurentwillen, daß ich nicht
&q;da geweſen bin, auf daß ihr gläubet: aber
&q;laſſet uns zu ihm ziehen.
” Thomas ver-
ſtand entweder nicht, was Jeſus mit dieſen Wor-
ten, mit der Verſicherung ſeiner Zufriedenheit
über ſeine Abweſenheit bei dem Abſterben des La-
zarus, und mit ſeiner Auffoderung ihres Glau-
bens eigentlich ſagen wollte; ihm kam kein Ge-
danke daran, daß Jeſus dieſem Todten noch hel-
fen könne und wolle, und daß er dies ihnen hiemit
wohl zu verſtehen geben wolle; und in dieſem
Falle befand ſich dann wohl Thomas nicht allein:
oder er hörte auch würklich nichts weiter, als die
erſten und lezten Worte Jeſu, die beide für ihn
gleich traurig klangen; er überhörte das ganz,
was Jeſus noch dazwiſchen redete, und was ihm
auch wohl nicht zunächſt zur Sache zu gehören,
was ihm hier nicht das Wigtigſte zu ſein ſchien.
Das Wigtigſte war hier für ihn das Traurigſte;
die betrübte Nachricht wars: “unſer todtkranker
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[164/0178] Unſer Herr, Freund, Lazarus, zu beſuchen, der, wie ſie wußten, in eine ſchwere Krankheit gefallen war. Still, wie es ſcheint, und in Gedanken an ihren lieben Kranken vertieft, gingen die Jünger dem Herrn zur Seite. Auf einmal ſagte Jeſus zu ihnen: “Lazarus, unſer Freund, ſchläft.” Die Jün- ger nahmen das im eigentlichen Verſtande, und hielten es darum für ein gutes Zeichen, für einen Vorbothen der wiederkehrenden Geſundheit ihres Freundes. Da ſagte Jeſus ohne Bild zu ihnen: “Lazarus iſt geſtorben, und, ſezte er hinzu — &q;ich bin froh um eurentwillen, daß ich nicht &q;da geweſen bin, auf daß ihr gläubet: aber &q;laſſet uns zu ihm ziehen.” Thomas ver- ſtand entweder nicht, was Jeſus mit dieſen Wor- ten, mit der Verſicherung ſeiner Zufriedenheit über ſeine Abweſenheit bei dem Abſterben des La- zarus, und mit ſeiner Auffoderung ihres Glau- bens eigentlich ſagen wollte; ihm kam kein Ge- danke daran, daß Jeſus dieſem Todten noch hel- fen könne und wolle, und daß er dies ihnen hiemit wohl zu verſtehen geben wolle; und in dieſem Falle befand ſich dann wohl Thomas nicht allein: oder er hörte auch würklich nichts weiter, als die erſten und lezten Worte Jeſu, die beide für ihn gleich traurig klangen; er überhörte das ganz, was Jeſus noch dazwiſchen redete, und was ihm auch wohl nicht zunächſt zur Sache zu gehören, was ihm hier nicht das Wigtigſte zu ſein ſchien. Das Wigtigſte war hier für ihn das Traurigſte; die betrübte Nachricht wars: “unſer todtkranker &q;Freund ſchläft, er ſchläft — den Todesſchlaf.” Aus

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Zitationshilfe: Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794/178>, abgerufen am 27.11.2024.