Noch eh Jesus zum andern- schon wie er zum erstenmal an Pilatus ausgeliefert ward, that Judas einen männlichen, auch des Rükschritts, der darauf folgte, ungeachtet, ädlen, eines Apostels J. C. würdigen Schritt! -- Ach, hätt er Glauben gehabt, oder den gehabten Glauben nur erhalten, hätt er, bei alle dem Mitleid, was izt in seinem Herzen für Jesum rege ward, auch nur Zutrauen, uneingeschränktes Zutrauen zu ihm, in seiner bewegten Sele unterhalten, Zu- trauen zu dem, der auch seine, mit der Verzweif- ung kämpfende, Sele zur Ruh bringen konnte und wollte: wie würd er dermaleinst sich ganz bekeh- ret, wie seine Brüder gestärkt haben!
Die Priester nahmen das Geld, was Judas ihnen vor die Füße geworfen hatte, auf, legten es aber nicht wieder in den Tempelschaz, sondern bestimmten es zum Ankauf für arme Pilger. O der gefühllosen, nichtswürdigen, feigherzigen, Menschen, o der frömmelnder Betrüger!
Zum andernmal stand Jesus vor Pilatus, und zum erstenmal stand er ihm Rede. Ich mögte dies Gespräch (denn dies war es mehr, wie ein Verhör, wenn ich in den Text, und aus ihm in die Welt und auf die ädlere Gattung von Menschen sehe, wovon ich den Pilatus nicht ganz ausschlies- sen kann), so kurz umschreiben:
Pilatus. Ists wahr, was man wider dich aussagt, du habest dich für einen Judenkönig ausgegeben?
Jesus. Ist das deine eigne richterliche An- frage, oder bist du gestimmt, deine Prüfung mit mir in dem Ton anzuheben?
Pi-
Unſer Herr
Noch eh Jeſus zum andern- ſchon wie er zum erſtenmal an Pilatus ausgeliefert ward, that Judas einen männlichen, auch des Rükſchritts, der darauf folgte, ungeachtet, ädlen, eines Apoſtels J. C. würdigen Schritt! — Ach, hätt er Glauben gehabt, oder den gehabten Glauben nur erhalten, hätt er, bei alle dem Mitleid, was izt in ſeinem Herzen für Jeſum rege ward, auch nur Zutrauen, uneingeſchränktes Zutrauen zu ihm, in ſeiner bewegten Sele unterhalten, Zu- trauen zu dem, der auch ſeine, mit der Verzweif- ung kämpfende, Sele zur Ruh bringen konnte und wollte: wie würd er dermaleinſt ſich ganz bekeh- ret, wie ſeine Brüder geſtärkt haben!
Die Prieſter nahmen das Geld, was Judas ihnen vor die Füße geworfen hatte, auf, legten es aber nicht wieder in den Tempelſchaz, ſondern beſtimmten es zum Ankauf für arme Pilger. O der gefühlloſen, nichtswürdigen, feigherzigen, Menſchen, o der frömmelnder Betrüger!
Zum andernmal ſtand Jeſus vor Pilatus, und zum erſtenmal ſtand er ihm Rede. Ich mögte dies Geſpräch (denn dies war es mehr, wie ein Verhör, wenn ich in den Text, und aus ihm in die Welt und auf die ädlere Gattung von Menſchen ſehe, wovon ich den Pilatus nicht ganz ausſchlieſ- ſen kann), ſo kurz umſchreiben:
Pilatus. Iſts wahr, was man wider dich ausſagt, du habeſt dich für einen Judenkönig ausgegeben?
Jeſus. Iſt das deine eigne richterliche An- frage, oder biſt du geſtimmt, deine Prüfung mit mir in dem Ton anzuheben?
Pi-
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0108"n="94"/><fwplace="top"type="header">Unſer Herr</fw><lb/><p>Noch eh Jeſus zum andern- ſchon wie er zum<lb/>
erſtenmal an Pilatus ausgeliefert ward, that<lb/>
Judas einen männlichen, auch des Rükſchritts,<lb/>
der darauf folgte, ungeachtet, ädlen, eines Apoſtels<lb/>
J. C. würdigen Schritt! — Ach, hätt er<lb/>
Glauben gehabt, oder den gehabten Glauben<lb/>
nur erhalten, hätt er, bei alle dem Mitleid,<lb/>
was izt in ſeinem Herzen für Jeſum rege ward,<lb/>
auch nur Zutrauen, uneingeſchränktes Zutrauen<lb/>
zu ihm, in ſeiner bewegten Sele unterhalten, Zu-<lb/>
trauen zu dem, der auch ſeine, mit der Verzweif-<lb/>
ung kämpfende, Sele zur Ruh bringen konnte und<lb/>
wollte: wie würd er dermaleinſt ſich ganz bekeh-<lb/>
ret, wie ſeine Brüder geſtärkt haben!</p><lb/><p>Die Prieſter nahmen das Geld, was Judas<lb/>
ihnen vor die Füße geworfen hatte, auf, legten<lb/>
es aber nicht wieder in den Tempelſchaz, ſondern<lb/>
beſtimmten es zum Ankauf für arme Pilger. O<lb/>
der gefühlloſen, nichtswürdigen, feigherzigen,<lb/>
Menſchen, o der frömmelnder Betrüger!</p><lb/><p>Zum andernmal ſtand Jeſus vor Pilatus,<lb/>
und zum erſtenmal ſtand er ihm Rede. Ich mögte<lb/>
dies Geſpräch (denn dies war es mehr, wie ein<lb/>
Verhör, wenn ich in den Text, und aus ihm in die<lb/>
Welt und auf die ädlere Gattung von Menſchen<lb/>ſehe, wovon ich den Pilatus nicht ganz ausſchlieſ-<lb/>ſen kann), ſo kurz umſchreiben:</p><lb/><p><hirendition="#fr">Pilatus.</hi> Iſts wahr, was man wider dich<lb/>
ausſagt, du habeſt dich für einen Judenkönig<lb/>
ausgegeben?</p><lb/><p><hirendition="#fr">Jeſus.</hi> Iſt das deine <hirendition="#fr">eigne</hi> richterliche An-<lb/>
frage, oder biſt du <hirendition="#fr">geſtimmt,</hi> deine Prüfung<lb/>
mit mir in <hirendition="#fr">dem</hi> Ton anzuheben?</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">Pi-</hi></fw><lb/></div></body></text></TEI>
[94/0108]
Unſer Herr
Noch eh Jeſus zum andern- ſchon wie er zum
erſtenmal an Pilatus ausgeliefert ward, that
Judas einen männlichen, auch des Rükſchritts,
der darauf folgte, ungeachtet, ädlen, eines Apoſtels
J. C. würdigen Schritt! — Ach, hätt er
Glauben gehabt, oder den gehabten Glauben
nur erhalten, hätt er, bei alle dem Mitleid,
was izt in ſeinem Herzen für Jeſum rege ward,
auch nur Zutrauen, uneingeſchränktes Zutrauen
zu ihm, in ſeiner bewegten Sele unterhalten, Zu-
trauen zu dem, der auch ſeine, mit der Verzweif-
ung kämpfende, Sele zur Ruh bringen konnte und
wollte: wie würd er dermaleinſt ſich ganz bekeh-
ret, wie ſeine Brüder geſtärkt haben!
Die Prieſter nahmen das Geld, was Judas
ihnen vor die Füße geworfen hatte, auf, legten
es aber nicht wieder in den Tempelſchaz, ſondern
beſtimmten es zum Ankauf für arme Pilger. O
der gefühlloſen, nichtswürdigen, feigherzigen,
Menſchen, o der frömmelnder Betrüger!
Zum andernmal ſtand Jeſus vor Pilatus,
und zum erſtenmal ſtand er ihm Rede. Ich mögte
dies Geſpräch (denn dies war es mehr, wie ein
Verhör, wenn ich in den Text, und aus ihm in die
Welt und auf die ädlere Gattung von Menſchen
ſehe, wovon ich den Pilatus nicht ganz ausſchlieſ-
ſen kann), ſo kurz umſchreiben:
Pilatus. Iſts wahr, was man wider dich
ausſagt, du habeſt dich für einen Judenkönig
ausgegeben?
Jeſus. Iſt das deine eigne richterliche An-
frage, oder biſt du geſtimmt, deine Prüfung
mit mir in dem Ton anzuheben?
Pi-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794/108>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.