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Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794.

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vor Pilatus Richterstuhl.
"und los lassen." Denn er mußte ihnen einen nach
Gewohnheit des Festes losgeben. Da schrie der gan-
ze Haufe, und sprach: "hinweg mit diesem, und gieb
&q;uns Barabbam los." Welcher warum einen Auf-
ruhr, der in der Stadtgeschah, und um eines Mords
willen, ins Gefängnis geworfen. Da rief Pi-
latus abermal zu ihnen, und wollte Jesum los-
lassen. Sie riefen aber, und sprachen: "Kreu-
&q;zige, kreuzige ihn." Er aber sprach zum drit-
tenmal zu ihnen: "was hat denn dieser übels
&q;gethan? ich finde keine Ursach des Todes an ihm,
&q;darum will ich ihn züchtigen und los lassen." Aber
sie lagen ihm an mit großem Geschrei, und foder-
ten, daß er gekreuziget würde, und ihr und der
Hohenpriester Geschrei nahm überhand. Pilatus
aber urtheilete, daß ihre Bitte geschähe. Und
ließ den los, der um Aufruhrs und Mords willen
war ins Gefängnis geworfen, um welchen sie
baten, aber Jesum übergab er ihrem Willen.

Schon wie unser Herr gebohren wurde, stand
das iüdische Neich, das nach dem Ende der kö-
niglichen Negierung mancherlei Herren gehabt
hatte, unter römischer Botmäßigkeit. Herodes
behauptete zwar noch das Ansehn eines Königs,
allein unter der Abhängigkeit vom römischen
Kaiser, und unter seinen Nachfolgern schwand
dies Ansehen immer mehr, und mit ihm der,
noch übrig gebliebne, königliche Titel. Der
römische Statthalter, der sich zu Jerusalem
aufhielt, übte und bekam immer mehr Gewalt,
auch in geistlichen Sachen. Der geistliche hohe
Rath konnte zwar einen sogenannten Religions-

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vor Pilatus Richterſtuhl.
“und los laſſen.” Denn er mußte ihnen einen nach
Gewohnheit des Feſtes losgeben. Da ſchrie der gan-
ze Haufe, und ſprach: “hinweg mit dieſem, und gieb
&q;uns Barabbam los.” Welcher warum einen Auf-
ruhr, der in der Stadtgeſchah, und um eines Mords
willen, ins Gefängnis geworfen. Da rief Pi-
latus abermal zu ihnen, und wollte Jeſum los-
laſſen. Sie riefen aber, und ſprachen: “Kreu-
&q;zige, kreuzige ihn.” Er aber ſprach zum drit-
tenmal zu ihnen: “was hat denn dieſer übels
&q;gethan? ich finde keine Urſach des Todes an ihm,
&q;darum will ich ihn züchtigen und los laſſen.” Aber
ſie lagen ihm an mit großem Geſchrei, und foder-
ten, daß er gekreuziget würde, und ihr und der
Hohenprieſter Geſchrei nahm überhand. Pilatus
aber urtheilete, daß ihre Bitte geſchähe. Und
ließ den los, der um Aufruhrs und Mords willen
war ins Gefängnis geworfen, um welchen ſie
baten, aber Jeſum übergab er ihrem Willen.

Schon wie unſer Herr gebohren wurde, ſtand
das iüdiſche Neich, das nach dem Ende der kö-
niglichen Negierung mancherlei Herren gehabt
hatte, unter römiſcher Botmäßigkeit. Herodes
behauptete zwar noch das Anſehn eines Königs,
allein unter der Abhängigkeit vom römiſchen
Kaiſer, und unter ſeinen Nachfolgern ſchwand
dies Anſehen immer mehr, und mit ihm der,
noch übrig gebliebne, königliche Titel. Der
römiſche Statthalter, der ſich zu Jeruſalem
aufhielt, übte und bekam immer mehr Gewalt,
auch in geiſtlichen Sachen. Der geiſtliche hohe
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[87/0101] vor Pilatus Richterſtuhl. “und los laſſen.” Denn er mußte ihnen einen nach Gewohnheit des Feſtes losgeben. Da ſchrie der gan- ze Haufe, und ſprach: “hinweg mit dieſem, und gieb &q;uns Barabbam los.” Welcher warum einen Auf- ruhr, der in der Stadtgeſchah, und um eines Mords willen, ins Gefängnis geworfen. Da rief Pi- latus abermal zu ihnen, und wollte Jeſum los- laſſen. Sie riefen aber, und ſprachen: “Kreu- &q;zige, kreuzige ihn.” Er aber ſprach zum drit- tenmal zu ihnen: “was hat denn dieſer übels &q;gethan? ich finde keine Urſach des Todes an ihm, &q;darum will ich ihn züchtigen und los laſſen.” Aber ſie lagen ihm an mit großem Geſchrei, und foder- ten, daß er gekreuziget würde, und ihr und der Hohenprieſter Geſchrei nahm überhand. Pilatus aber urtheilete, daß ihre Bitte geſchähe. Und ließ den los, der um Aufruhrs und Mords willen war ins Gefängnis geworfen, um welchen ſie baten, aber Jeſum übergab er ihrem Willen. Schon wie unſer Herr gebohren wurde, ſtand das iüdiſche Neich, das nach dem Ende der kö- niglichen Negierung mancherlei Herren gehabt hatte, unter römiſcher Botmäßigkeit. Herodes behauptete zwar noch das Anſehn eines Königs, allein unter der Abhängigkeit vom römiſchen Kaiſer, und unter ſeinen Nachfolgern ſchwand dies Anſehen immer mehr, und mit ihm der, noch übrig gebliebne, königliche Titel. Der römiſche Statthalter, der ſich zu Jeruſalem aufhielt, übte und bekam immer mehr Gewalt, auch in geiſtlichen Sachen. Der geiſtliche hohe Rath konnte zwar einen ſogenannten Religions- ver- F 4

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Zitationshilfe: Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794/101>, abgerufen am 21.11.2024.