Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thaer, Albrecht: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Bd. 4. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Rindviehzucht.
jenen in der Wildheit lebenden Thierarten abstamme, und nur durch Pflegung
und Wartung des Menschen diese veränderte Gestalt angenommen habe.

§. 3.

Unter unserm Rindvieh bemerken wir aber wieder eine große und mannig-Racem.
faltige Verschiedenheit der Racen, die sich in ihnen vererben. Diese Abände-
rungen können durch Klima und Lebensart, jedoch nur sehr allmählich, entstan-
den seyn; da wir nicht bemerken, daß beide einen schnellen wesentlichen Ein-
fluß auf die Abänderung der Race, wenn sie völlig rein erhalten wird, haben.
Mehr hat wahrscheinlich die Auswahl der Individuen, die man zur Fortpflan-
zung gebrauchte, zur Hervorbringung einer ausgezeichneten und konstanten Race
beigetragen, und nachmals hat wieder die Durchkreuzung besondere Racen gebildet.

In Deutschland (worunter ich die sämmtlichen Reiche und Provinzen ver-
stehe, wo die deutsche Sprache in ihren verschiedenen Dialekten vorwaltend ist)
sind die Racen besonders neuerlich so mannigfaltig und oft so planlos unterein-
ander gemengt worden, daß sie sich nicht genau bestimmen und absondern lassen.
Jedoch kann man folgende 3 Arten unterscheiden:
a) die Niederungs- oder Marschrace,
b) die gewöhnliche Höhelandsrace,
c) die Bergrace.
Aber auch diese ziemlich weit von einander stehende Racen sind häufig mit
einander vermengt worden.

§. 4.

Die Marschrace, welche sich durch ihre feinere Haut und Haar, ihrenDie Niede-
rungsracen.

großen körperlichen Umfang, stärkere Knochen und kürzeres Gehörn auszeichnet,
kömmt in verschiedenen Gegenden unter verschiedenen Namen vor; auch zeich-
net sich ein Schlag derselben von dem andren wieder durch besondere Eigenhei-
ten aus, vorzüglich in den Gegenden, wo man besondere Aufmerksamkeit auf
ihre Anzucht und die Auswahl der Individuen gewandt hat. Sie stammt
wahrscheinlich aus den zuerst kultivirten Gegenden des Niederrheins, der Elbe,
der Weser, und des Gestades der Nordsee her. Die Flamländer, welche als
ein friedliches und industriöses Volk sich schnell vermehrten, und sich in andren
Niederungen, zu deren Kultur man sie gern aufnahm, niederließen, haben wahr-

P p 2

Die Rindviehzucht.
jenen in der Wildheit lebenden Thierarten abſtamme, und nur durch Pflegung
und Wartung des Menſchen dieſe veraͤnderte Geſtalt angenommen habe.

§. 3.

Unter unſerm Rindvieh bemerken wir aber wieder eine große und mannig-Raçem.
faltige Verſchiedenheit der Raçen, die ſich in ihnen vererben. Dieſe Abaͤnde-
rungen koͤnnen durch Klima und Lebensart, jedoch nur ſehr allmaͤhlich, entſtan-
den ſeyn; da wir nicht bemerken, daß beide einen ſchnellen weſentlichen Ein-
fluß auf die Abaͤnderung der Raçe, wenn ſie voͤllig rein erhalten wird, haben.
Mehr hat wahrſcheinlich die Auswahl der Individuen, die man zur Fortpflan-
zung gebrauchte, zur Hervorbringung einer ausgezeichneten und konſtanten Raçe
beigetragen, und nachmals hat wieder die Durchkreuzung beſondere Raçen gebildet.

In Deutſchland (worunter ich die ſaͤmmtlichen Reiche und Provinzen ver-
ſtehe, wo die deutſche Sprache in ihren verſchiedenen Dialekten vorwaltend iſt)
ſind die Raçen beſonders neuerlich ſo mannigfaltig und oft ſo planlos unterein-
ander gemengt worden, daß ſie ſich nicht genau beſtimmen und abſondern laſſen.
Jedoch kann man folgende 3 Arten unterſcheiden:
a) die Niederungs- oder Marſchraçe,
b) die gewoͤhnliche Hoͤhelandsraçe,
c) die Bergraçe.
Aber auch dieſe ziemlich weit von einander ſtehende Raçen ſind haͤufig mit
einander vermengt worden.

§. 4.

Die Marſchraçe, welche ſich durch ihre feinere Haut und Haar, ihrenDie Niede-
rungsraçen.

großen koͤrperlichen Umfang, ſtaͤrkere Knochen und kuͤrzeres Gehoͤrn auszeichnet,
koͤmmt in verſchiedenen Gegenden unter verſchiedenen Namen vor; auch zeich-
net ſich ein Schlag derſelben von dem andren wieder durch beſondere Eigenhei-
ten aus, vorzuͤglich in den Gegenden, wo man beſondere Aufmerkſamkeit auf
ihre Anzucht und die Auswahl der Individuen gewandt hat. Sie ſtammt
wahrſcheinlich aus den zuerſt kultivirten Gegenden des Niederrheins, der Elbe,
der Weſer, und des Geſtades der Nordſee her. Die Flamlaͤnder, welche als
ein friedliches und induſtrioͤſes Volk ſich ſchnell vermehrten, und ſich in andren
Niederungen, zu deren Kultur man ſie gern aufnahm, niederließen, haben wahr-

P p 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0323" n="299"/><fw place="top" type="header">Die Rindviehzucht.</fw><lb/>
jenen in der Wildheit lebenden Thierarten ab&#x017F;tamme, und nur durch Pflegung<lb/>
und Wartung des Men&#x017F;chen die&#x017F;e vera&#x0364;nderte Ge&#x017F;talt angenommen habe.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 3.</head><lb/>
            <p>Unter un&#x017F;erm Rindvieh bemerken wir aber wieder eine große und mannig-<note place="right">Ra<hi rendition="#aq">ç</hi>em.</note><lb/>
faltige Ver&#x017F;chiedenheit der Ra<hi rendition="#aq">ç</hi>en, die &#x017F;ich in ihnen vererben. Die&#x017F;e Aba&#x0364;nde-<lb/>
rungen ko&#x0364;nnen durch Klima und Lebensart, jedoch nur &#x017F;ehr allma&#x0364;hlich, ent&#x017F;tan-<lb/>
den &#x017F;eyn; da wir nicht bemerken, daß beide einen &#x017F;chnellen we&#x017F;entlichen Ein-<lb/>
fluß auf die Aba&#x0364;nderung der Ra<hi rendition="#aq">ç</hi>e, wenn &#x017F;ie vo&#x0364;llig rein erhalten wird, haben.<lb/>
Mehr hat wahr&#x017F;cheinlich die Auswahl der Individuen, die man zur Fortpflan-<lb/>
zung gebrauchte, zur Hervorbringung einer ausgezeichneten und kon&#x017F;tanten Ra<hi rendition="#aq">ç</hi>e<lb/>
beigetragen, und nachmals hat wieder die Durchkreuzung be&#x017F;ondere Ra<hi rendition="#aq">ç</hi>en gebildet.</p><lb/>
            <p>In Deut&#x017F;chland (worunter ich die &#x017F;a&#x0364;mmtlichen Reiche und Provinzen ver-<lb/>
&#x017F;tehe, wo die deut&#x017F;che Sprache in ihren ver&#x017F;chiedenen Dialekten vorwaltend i&#x017F;t)<lb/>
&#x017F;ind die Ra<hi rendition="#aq">ç</hi>en be&#x017F;onders neuerlich &#x017F;o mannigfaltig und oft &#x017F;o planlos unterein-<lb/>
ander gemengt worden, daß &#x017F;ie &#x017F;ich nicht genau be&#x017F;timmen und ab&#x017F;ondern la&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Jedoch kann man folgende 3 Arten unter&#x017F;cheiden:<lb/><hi rendition="#aq">a)</hi> die <hi rendition="#g">Niederungs-</hi> oder <hi rendition="#g">Mar&#x017F;chra<hi rendition="#aq">ç</hi>e</hi>,<lb/><hi rendition="#aq">b)</hi> die gewo&#x0364;hnliche <hi rendition="#g">Ho&#x0364;helandsra<hi rendition="#aq">ç</hi>e</hi>,<lb/><hi rendition="#aq">c)</hi> die <hi rendition="#g">Bergra<hi rendition="#aq">ç</hi>e</hi>.<lb/>
Aber auch die&#x017F;e ziemlich weit von einander &#x017F;tehende Ra<hi rendition="#aq">ç</hi>en &#x017F;ind ha&#x0364;ufig mit<lb/>
einander vermengt worden.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 4.</head><lb/>
            <p>Die <hi rendition="#g">Mar&#x017F;chra<hi rendition="#aq">ç</hi>e</hi>, welche &#x017F;ich durch ihre feinere Haut und Haar, ihren<note place="right">Die Niede-<lb/>
rungsra<hi rendition="#aq">ç</hi>en.</note><lb/>
großen ko&#x0364;rperlichen Umfang, &#x017F;ta&#x0364;rkere Knochen und ku&#x0364;rzeres Geho&#x0364;rn auszeichnet,<lb/>
ko&#x0364;mmt in ver&#x017F;chiedenen Gegenden unter ver&#x017F;chiedenen Namen vor; auch zeich-<lb/>
net &#x017F;ich ein Schlag der&#x017F;elben von dem andren wieder durch be&#x017F;ondere Eigenhei-<lb/>
ten aus, vorzu&#x0364;glich in den Gegenden, wo man be&#x017F;ondere Aufmerk&#x017F;amkeit auf<lb/>
ihre Anzucht und die Auswahl der Individuen gewandt hat. Sie &#x017F;tammt<lb/>
wahr&#x017F;cheinlich aus den zuer&#x017F;t kultivirten Gegenden des Niederrheins, der Elbe,<lb/>
der We&#x017F;er, und des Ge&#x017F;tades der Nord&#x017F;ee her. Die Flamla&#x0364;nder, welche als<lb/>
ein friedliches und indu&#x017F;trio&#x0364;&#x017F;es Volk &#x017F;ich &#x017F;chnell vermehrten, und &#x017F;ich in andren<lb/>
Niederungen, zu deren Kultur man &#x017F;ie gern aufnahm, niederließen, haben wahr-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">P p 2</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[299/0323] Die Rindviehzucht. jenen in der Wildheit lebenden Thierarten abſtamme, und nur durch Pflegung und Wartung des Menſchen dieſe veraͤnderte Geſtalt angenommen habe. §. 3. Unter unſerm Rindvieh bemerken wir aber wieder eine große und mannig- faltige Verſchiedenheit der Raçen, die ſich in ihnen vererben. Dieſe Abaͤnde- rungen koͤnnen durch Klima und Lebensart, jedoch nur ſehr allmaͤhlich, entſtan- den ſeyn; da wir nicht bemerken, daß beide einen ſchnellen weſentlichen Ein- fluß auf die Abaͤnderung der Raçe, wenn ſie voͤllig rein erhalten wird, haben. Mehr hat wahrſcheinlich die Auswahl der Individuen, die man zur Fortpflan- zung gebrauchte, zur Hervorbringung einer ausgezeichneten und konſtanten Raçe beigetragen, und nachmals hat wieder die Durchkreuzung beſondere Raçen gebildet. Raçem. In Deutſchland (worunter ich die ſaͤmmtlichen Reiche und Provinzen ver- ſtehe, wo die deutſche Sprache in ihren verſchiedenen Dialekten vorwaltend iſt) ſind die Raçen beſonders neuerlich ſo mannigfaltig und oft ſo planlos unterein- ander gemengt worden, daß ſie ſich nicht genau beſtimmen und abſondern laſſen. Jedoch kann man folgende 3 Arten unterſcheiden: a) die Niederungs- oder Marſchraçe, b) die gewoͤhnliche Hoͤhelandsraçe, c) die Bergraçe. Aber auch dieſe ziemlich weit von einander ſtehende Raçen ſind haͤufig mit einander vermengt worden. §. 4. Die Marſchraçe, welche ſich durch ihre feinere Haut und Haar, ihren großen koͤrperlichen Umfang, ſtaͤrkere Knochen und kuͤrzeres Gehoͤrn auszeichnet, koͤmmt in verſchiedenen Gegenden unter verſchiedenen Namen vor; auch zeich- net ſich ein Schlag derſelben von dem andren wieder durch beſondere Eigenhei- ten aus, vorzuͤglich in den Gegenden, wo man beſondere Aufmerkſamkeit auf ihre Anzucht und die Auswahl der Individuen gewandt hat. Sie ſtammt wahrſcheinlich aus den zuerſt kultivirten Gegenden des Niederrheins, der Elbe, der Weſer, und des Geſtades der Nordſee her. Die Flamlaͤnder, welche als ein friedliches und induſtrioͤſes Volk ſich ſchnell vermehrten, und ſich in andren Niederungen, zu deren Kultur man ſie gern aufnahm, niederließen, haben wahr- Die Niede- rungsraçen. P p 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thaer_landwirthschaft04_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thaer_landwirthschaft04_1812/323
Zitationshilfe: Thaer, Albrecht: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Bd. 4. Berlin, 1812, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thaer_landwirthschaft04_1812/323>, abgerufen am 18.05.2024.