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Thaer, Albrecht: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Bd. 1. Berlin, 1809.

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Fähigkeiten des Subjekts.
der erforderlichen Thätigkeit doch eine gewisse Ruhe des Gemüths eine nothwendige
Bedingung.

Der Landwirth muß jedes unverschuldete Unglück oder jede verfehlte Erwar-
tung, sobald er deren Folgen durch gehörige Vorkehrungen möglichst gemindert hat,
verschmerzen und vergessen können, entweder vermöge eines gewissen natürlichen
Phlegma, oder indem er sich höhere Trostgründe, die Philosophie oder Religion ihm
geben, vorstellt. Nur gegen das, was durch ihn oder durch andere verschuldet ist,
darf er nicht leichtsinnig seyn, und eine natürliche lebhafte Empfindlichkeit, durch
Vernunft gezügelt, beugt solchen Fehlern in der Folge vor.

§. 37.

Das Landleben hat bei allen Annehmlichkeiten so viel Einförmiges, und bei aller
Geschäftigkeit doch solche Stunden der Langeweile, daß dem lebhaften Kopfe solches
kaum genügen kann, wenn er sich nicht mit einem andern Studium beschäftigt. Un-
ter allen aber ist keins angemessener für ihn, wie das der Natur. Er kann der glück-
lichen Neigung, in der Naturwelt zu leben und ihre erhabenen Gesetze zu erforschen,
sich mehr wie jeder andere hingeben, indem er sie, ohne seinen Geschäften Abbruch zu
thun, immer befriedigen und fast in jedem Augenblicke damit vereinigen kann.

Wenn uns die moralische Welt und die gesellschaftlichen Verhältnisse fast nur
den widrigen Anblick des Widerstrebens gegen die ewig beseeligenden Gesetze der
Vernunft darbieten, wodurch sich Schmerz und Elend über die Erde verbreitet, so
zeigt uns die Natur nur um so mehr Ordnung und Einheit, je tiefer wir eindringen.
Das Beseeligende dieses Anblicks genügt nicht nur dem Gemüthe, sondern erweckt
auch den Glauben, die ewige Weisheit, welche ihr Werk in der materiellen Welt
unserem Auge offen darlegt, und die Materie in immer neuen Gebilden erscheinen
läßt, werde auch in der geistigen Welt Alles nach einem Plane, zu einem harmoni-
schen Ganzen geordnet haben, dessen Vollendung der Ewigkeit vorbehalten ist.

Dies Gefühl wird, wenn gleich nur dunkel, beim Landmanne lebhafter wie
beim Städter erregt, weshalb man auch beobachtet hat, daß bei ackerbauenden
Nationen und Ständen immer mehrere und reinere Religiosität herrschte, wie bei
denen, die Krieg und Handel zu ihren Geschäften machten.

Ohne Liebe und Kenntniß der Natur wird das landwirthschaftliche Leben dem,
der es bloß zur Erreichung des Hauptzweckes erwählt, leicht verleidet werden, und
es gehört dann sehr große Resignation dazu, sich bloß seiner Pflicht zu widmen, und
eine größere vielleicht, je gebildeter man ist. Manche, die des städtischen Lebens

Faͤhigkeiten des Subjekts.
der erforderlichen Thaͤtigkeit doch eine gewiſſe Ruhe des Gemuͤths eine nothwendige
Bedingung.

Der Landwirth muß jedes unverſchuldete Ungluͤck oder jede verfehlte Erwar-
tung, ſobald er deren Folgen durch gehoͤrige Vorkehrungen moͤglichſt gemindert hat,
verſchmerzen und vergeſſen koͤnnen, entweder vermoͤge eines gewiſſen natuͤrlichen
Phlegma, oder indem er ſich hoͤhere Troſtgruͤnde, die Philoſophie oder Religion ihm
geben, vorſtellt. Nur gegen das, was durch ihn oder durch andere verſchuldet iſt,
darf er nicht leichtſinnig ſeyn, und eine natuͤrliche lebhafte Empfindlichkeit, durch
Vernunft gezuͤgelt, beugt ſolchen Fehlern in der Folge vor.

§. 37.

Das Landleben hat bei allen Annehmlichkeiten ſo viel Einfoͤrmiges, und bei aller
Geſchaͤftigkeit doch ſolche Stunden der Langeweile, daß dem lebhaften Kopfe ſolches
kaum genuͤgen kann, wenn er ſich nicht mit einem andern Studium beſchaͤftigt. Un-
ter allen aber iſt keins angemeſſener fuͤr ihn, wie das der Natur. Er kann der gluͤck-
lichen Neigung, in der Naturwelt zu leben und ihre erhabenen Geſetze zu erforſchen,
ſich mehr wie jeder andere hingeben, indem er ſie, ohne ſeinen Geſchaͤften Abbruch zu
thun, immer befriedigen und faſt in jedem Augenblicke damit vereinigen kann.

Wenn uns die moraliſche Welt und die geſellſchaftlichen Verhaͤltniſſe faſt nur
den widrigen Anblick des Widerſtrebens gegen die ewig beſeeligenden Geſetze der
Vernunft darbieten, wodurch ſich Schmerz und Elend uͤber die Erde verbreitet, ſo
zeigt uns die Natur nur um ſo mehr Ordnung und Einheit, je tiefer wir eindringen.
Das Beſeeligende dieſes Anblicks genuͤgt nicht nur dem Gemuͤthe, ſondern erweckt
auch den Glauben, die ewige Weisheit, welche ihr Werk in der materiellen Welt
unſerem Auge offen darlegt, und die Materie in immer neuen Gebilden erſcheinen
laͤßt, werde auch in der geiſtigen Welt Alles nach einem Plane, zu einem harmoni-
ſchen Ganzen geordnet haben, deſſen Vollendung der Ewigkeit vorbehalten iſt.

Dies Gefuͤhl wird, wenn gleich nur dunkel, beim Landmanne lebhafter wie
beim Staͤdter erregt, weshalb man auch beobachtet hat, daß bei ackerbauenden
Nationen und Staͤnden immer mehrere und reinere Religioſitaͤt herrſchte, wie bei
denen, die Krieg und Handel zu ihren Geſchaͤften machten.

Ohne Liebe und Kenntniß der Natur wird das landwirthſchaftliche Leben dem,
der es bloß zur Erreichung des Hauptzweckes erwaͤhlt, leicht verleidet werden, und
es gehoͤrt dann ſehr große Reſignation dazu, ſich bloß ſeiner Pflicht zu widmen, und
eine groͤßere vielleicht, je gebildeter man iſt. Manche, die des ſtaͤdtiſchen Lebens

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[15/0045] Faͤhigkeiten des Subjekts. der erforderlichen Thaͤtigkeit doch eine gewiſſe Ruhe des Gemuͤths eine nothwendige Bedingung. Der Landwirth muß jedes unverſchuldete Ungluͤck oder jede verfehlte Erwar- tung, ſobald er deren Folgen durch gehoͤrige Vorkehrungen moͤglichſt gemindert hat, verſchmerzen und vergeſſen koͤnnen, entweder vermoͤge eines gewiſſen natuͤrlichen Phlegma, oder indem er ſich hoͤhere Troſtgruͤnde, die Philoſophie oder Religion ihm geben, vorſtellt. Nur gegen das, was durch ihn oder durch andere verſchuldet iſt, darf er nicht leichtſinnig ſeyn, und eine natuͤrliche lebhafte Empfindlichkeit, durch Vernunft gezuͤgelt, beugt ſolchen Fehlern in der Folge vor. §. 37. Das Landleben hat bei allen Annehmlichkeiten ſo viel Einfoͤrmiges, und bei aller Geſchaͤftigkeit doch ſolche Stunden der Langeweile, daß dem lebhaften Kopfe ſolches kaum genuͤgen kann, wenn er ſich nicht mit einem andern Studium beſchaͤftigt. Un- ter allen aber iſt keins angemeſſener fuͤr ihn, wie das der Natur. Er kann der gluͤck- lichen Neigung, in der Naturwelt zu leben und ihre erhabenen Geſetze zu erforſchen, ſich mehr wie jeder andere hingeben, indem er ſie, ohne ſeinen Geſchaͤften Abbruch zu thun, immer befriedigen und faſt in jedem Augenblicke damit vereinigen kann. Wenn uns die moraliſche Welt und die geſellſchaftlichen Verhaͤltniſſe faſt nur den widrigen Anblick des Widerſtrebens gegen die ewig beſeeligenden Geſetze der Vernunft darbieten, wodurch ſich Schmerz und Elend uͤber die Erde verbreitet, ſo zeigt uns die Natur nur um ſo mehr Ordnung und Einheit, je tiefer wir eindringen. Das Beſeeligende dieſes Anblicks genuͤgt nicht nur dem Gemuͤthe, ſondern erweckt auch den Glauben, die ewige Weisheit, welche ihr Werk in der materiellen Welt unſerem Auge offen darlegt, und die Materie in immer neuen Gebilden erſcheinen laͤßt, werde auch in der geiſtigen Welt Alles nach einem Plane, zu einem harmoni- ſchen Ganzen geordnet haben, deſſen Vollendung der Ewigkeit vorbehalten iſt. Dies Gefuͤhl wird, wenn gleich nur dunkel, beim Landmanne lebhafter wie beim Staͤdter erregt, weshalb man auch beobachtet hat, daß bei ackerbauenden Nationen und Staͤnden immer mehrere und reinere Religioſitaͤt herrſchte, wie bei denen, die Krieg und Handel zu ihren Geſchaͤften machten. Ohne Liebe und Kenntniß der Natur wird das landwirthſchaftliche Leben dem, der es bloß zur Erreichung des Hauptzweckes erwaͤhlt, leicht verleidet werden, und es gehoͤrt dann ſehr große Reſignation dazu, ſich bloß ſeiner Pflicht zu widmen, und eine groͤßere vielleicht, je gebildeter man iſt. Manche, die des ſtaͤdtiſchen Lebens

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Zitationshilfe: Thaer, Albrecht: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thaer_landwirthschaft01_1809/45>, abgerufen am 28.03.2024.