Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tewes, Hermann: Menschenrassen und Völkertypen. Bd. 2. 2. Aufl. Leipzig, 1913.

Bild:
<< vorherige Seite

rühmten Kriegern und Greisen wurden dabei die Ehrenplätze ein-
geräumt; aber berechtigt war jeder, seine Ansicht auszusprechen,
und jedem, was er auch sagen mochte, hörten alle andern auf-
merksam zu, ohne ihn zu unterbrechen. Die Reden, die bei solcher
Gelegenheit gehalten wurden, waren meist sehr bilderreich, an-
schaulich und voll Feuer. Die Kunst der Rede stand bei den Sioux
wie bei allen Prärieindianern in hohem Ansehen, und der Krieger,
der im Rate etwas Wichtiges vorzubringen hatte und vorbringen
wollte, verschmähte es nicht, sich auf seine Rede sorgfältig vor-
zubereiten. Der beredte Mann genoß nicht geringeres Ansehen als
der tapfere Krieger und der schlaue Jäger. Gewöhnlich aber waren
Mut, Schlauheit und Beredsamkeit vereinigt, und unter den Männern,
die als Anführer in den vielen, wennschon vergeblichen Kriegen
mit den weißen Ansiedlern aufgetreten sind, zeichneten sich fast
alle durch die Gabe der Rede aus.

Den Sieg über den Feind feierte man mit Gesang und Lust-
barkeit aller Art, die man durch grausame Martern der Gefangenen
noch zu erhöhen suchte. War der Friede geschlossen, so ging in
der Versammlung der Häuptlinge die Friedenspfeife von Mund zu
Mund; Tabakrauchen war und ist noch heute neben dem Brannt-
weintrinken ein Hauptgenuß der Indianer. Für Felle und andere
Habseligkeiten tauschten sie von den Europäern das beliebte Feuer-
wasser, wie sie den Branntwein nannten, ein, und der ungezügelte
Genuß desselben hat den Verfall des einst so mächtigen und tapferen
Volkes beschleunigt.

Die Vorliebe für Freiheit und Unabhängigkeit ist bei den
Indianern so groß, daß ihnen jede geordnete Regierung schon als
Sklaverei erscheint; so erklärt sich auch das eigensinnige Festhalten
am Jägerleben, das nach ihrer Meinung einzig und allein eines
freien Mannes würdig ist. Aber in einem zivilisierten Staate ist
für Jägervölker kein Raum, und ihr Verfall beginnt, sobald sie mit
den Ansiedlungen eines Kulturvolkes in Berührung kommen. Das-
selbe Schicksal haben auch die Sioux gehabt. Als Jägervolk der
nordamerikanischen Prärien existieren sie nicht mehr. Die Prärien
selbst sind verschwunden; sie sind zum großen Teil schon kultiviert
worden, und die Eisenbahn braust auf mehr als einem Schienen-
strange quer durch den ganzen Erdteil. Die Reste der Indianer
sind in sogenannten Reservaten untergebracht, wo sie gezwungen
sind, ihr Leben als friedliche Ackerbauer hinzubringen oder gänzlich

rühmten Kriegern und Greisen wurden dabei die Ehrenplätze ein-
geräumt; aber berechtigt war jeder, seine Ansicht auszusprechen,
und jedem, was er auch sagen mochte, hörten alle andern auf-
merksam zu, ohne ihn zu unterbrechen. Die Reden, die bei solcher
Gelegenheit gehalten wurden, waren meist sehr bilderreich, an-
schaulich und voll Feuer. Die Kunst der Rede stand bei den Sioux
wie bei allen Prärieindianern in hohem Ansehen, und der Krieger,
der im Rate etwas Wichtiges vorzubringen hatte und vorbringen
wollte, verschmähte es nicht, sich auf seine Rede sorgfältig vor-
zubereiten. Der beredte Mann genoß nicht geringeres Ansehen als
der tapfere Krieger und der schlaue Jäger. Gewöhnlich aber waren
Mut, Schlauheit und Beredsamkeit vereinigt, und unter den Männern,
die als Anführer in den vielen, wennschon vergeblichen Kriegen
mit den weißen Ansiedlern aufgetreten sind, zeichneten sich fast
alle durch die Gabe der Rede aus.

Den Sieg über den Feind feierte man mit Gesang und Lust-
barkeit aller Art, die man durch grausame Martern der Gefangenen
noch zu erhöhen suchte. War der Friede geschlossen, so ging in
der Versammlung der Häuptlinge die Friedenspfeife von Mund zu
Mund; Tabakrauchen war und ist noch heute neben dem Brannt-
weintrinken ein Hauptgenuß der Indianer. Für Felle und andere
Habseligkeiten tauschten sie von den Europäern das beliebte Feuer-
wasser, wie sie den Branntwein nannten, ein, und der ungezügelte
Genuß desselben hat den Verfall des einst so mächtigen und tapferen
Volkes beschleunigt.

Die Vorliebe für Freiheit und Unabhängigkeit ist bei den
Indianern so groß, daß ihnen jede geordnete Regierung schon als
Sklaverei erscheint; so erklärt sich auch das eigensinnige Festhalten
am Jägerleben, das nach ihrer Meinung einzig und allein eines
freien Mannes würdig ist. Aber in einem zivilisierten Staate ist
für Jägervölker kein Raum, und ihr Verfall beginnt, sobald sie mit
den Ansiedlungen eines Kulturvolkes in Berührung kommen. Das-
selbe Schicksal haben auch die Sioux gehabt. Als Jägervolk der
nordamerikanischen Prärien existieren sie nicht mehr. Die Prärien
selbst sind verschwunden; sie sind zum großen Teil schon kultiviert
worden, und die Eisenbahn braust auf mehr als einem Schienen-
strange quer durch den ganzen Erdteil. Die Reste der Indianer
sind in sogenannten Reservaten untergebracht, wo sie gezwungen
sind, ihr Leben als friedliche Ackerbauer hinzubringen oder gänzlich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0061" corresp="http://gei-digital.gei.de/viewer/image/PPN733267742/00000061" n="&#x2014; 57 &#x2014;"/>
rühmten Kriegern und Greisen wurden dabei die Ehrenplätze ein-<lb/>
geräumt; aber berechtigt war jeder, seine Ansicht auszusprechen,<lb/>
und jedem, was er auch sagen mochte, hörten alle andern auf-<lb/>
merksam zu, ohne ihn zu unterbrechen. Die Reden, die bei solcher<lb/>
Gelegenheit gehalten wurden, waren meist sehr bilderreich, an-<lb/>
schaulich und voll Feuer. Die Kunst der Rede stand bei den Sioux<lb/>
wie bei allen Prärieindianern in hohem Ansehen, und der Krieger,<lb/>
der im Rate etwas Wichtiges vorzubringen hatte und vorbringen<lb/>
wollte, verschmähte es nicht, sich auf seine Rede sorgfältig vor-<lb/>
zubereiten. Der beredte Mann genoß nicht geringeres Ansehen als<lb/>
der tapfere Krieger und der schlaue Jäger. Gewöhnlich aber waren<lb/>
Mut, Schlauheit und Beredsamkeit vereinigt, und unter den Männern,<lb/>
die als Anführer in den vielen, wennschon vergeblichen Kriegen<lb/>
mit den weißen Ansiedlern aufgetreten sind, zeichneten sich fast<lb/>
alle durch die Gabe der Rede aus.</p><lb/>
        <p>Den Sieg über den Feind feierte man mit Gesang und Lust-<lb/>
barkeit aller Art, die man durch grausame Martern der Gefangenen<lb/>
noch zu erhöhen suchte. War der Friede geschlossen, so ging in<lb/>
der Versammlung der Häuptlinge die Friedenspfeife von Mund zu<lb/>
Mund; Tabakrauchen war und ist noch heute neben dem Brannt-<lb/>
weintrinken ein Hauptgenuß der Indianer. Für Felle und andere<lb/>
Habseligkeiten tauschten sie von den Europäern das beliebte Feuer-<lb/>
wasser, wie sie den Branntwein nannten, ein, und der ungezügelte<lb/>
Genuß desselben hat den Verfall des einst so mächtigen und tapferen<lb/>
Volkes beschleunigt.</p><lb/>
        <p>Die Vorliebe für Freiheit und Unabhängigkeit ist bei den<lb/>
Indianern so groß, daß ihnen jede geordnete <orgName>Regierung</orgName> schon als<lb/>
Sklaverei erscheint; so erklärt sich auch das eigensinnige Festhalten<lb/>
am Jägerleben, das nach ihrer Meinung einzig und allein eines<lb/>
freien Mannes würdig ist. Aber in einem zivilisierten Staate ist<lb/>
für Jägervölker kein Raum, und ihr Verfall beginnt, sobald sie mit<lb/>
den Ansiedlungen eines Kulturvolkes in Berührung kommen. Das-<lb/>
selbe Schicksal haben auch die Sioux gehabt. Als Jägervolk der<lb/><placeName>nordamerikanischen Prärien</placeName> existieren sie nicht mehr. Die Prärien<lb/>
selbst sind verschwunden; sie sind zum großen Teil schon kultiviert<lb/>
worden, und die Eisenbahn braust auf mehr als einem Schienen-<lb/>
strange quer durch den ganzen Erdteil. Die Reste der Indianer<lb/>
sind in sogenannten <choice><orig>Reservationen</orig><reg>Reservaten</reg></choice> untergebracht, wo sie gezwungen<lb/>
sind, ihr Leben als friedliche Ackerbauer hinzubringen oder gänzlich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[— 57 —/0061] rühmten Kriegern und Greisen wurden dabei die Ehrenplätze ein- geräumt; aber berechtigt war jeder, seine Ansicht auszusprechen, und jedem, was er auch sagen mochte, hörten alle andern auf- merksam zu, ohne ihn zu unterbrechen. Die Reden, die bei solcher Gelegenheit gehalten wurden, waren meist sehr bilderreich, an- schaulich und voll Feuer. Die Kunst der Rede stand bei den Sioux wie bei allen Prärieindianern in hohem Ansehen, und der Krieger, der im Rate etwas Wichtiges vorzubringen hatte und vorbringen wollte, verschmähte es nicht, sich auf seine Rede sorgfältig vor- zubereiten. Der beredte Mann genoß nicht geringeres Ansehen als der tapfere Krieger und der schlaue Jäger. Gewöhnlich aber waren Mut, Schlauheit und Beredsamkeit vereinigt, und unter den Männern, die als Anführer in den vielen, wennschon vergeblichen Kriegen mit den weißen Ansiedlern aufgetreten sind, zeichneten sich fast alle durch die Gabe der Rede aus. Den Sieg über den Feind feierte man mit Gesang und Lust- barkeit aller Art, die man durch grausame Martern der Gefangenen noch zu erhöhen suchte. War der Friede geschlossen, so ging in der Versammlung der Häuptlinge die Friedenspfeife von Mund zu Mund; Tabakrauchen war und ist noch heute neben dem Brannt- weintrinken ein Hauptgenuß der Indianer. Für Felle und andere Habseligkeiten tauschten sie von den Europäern das beliebte Feuer- wasser, wie sie den Branntwein nannten, ein, und der ungezügelte Genuß desselben hat den Verfall des einst so mächtigen und tapferen Volkes beschleunigt. Die Vorliebe für Freiheit und Unabhängigkeit ist bei den Indianern so groß, daß ihnen jede geordnete Regierung schon als Sklaverei erscheint; so erklärt sich auch das eigensinnige Festhalten am Jägerleben, das nach ihrer Meinung einzig und allein eines freien Mannes würdig ist. Aber in einem zivilisierten Staate ist für Jägervölker kein Raum, und ihr Verfall beginnt, sobald sie mit den Ansiedlungen eines Kulturvolkes in Berührung kommen. Das- selbe Schicksal haben auch die Sioux gehabt. Als Jägervolk der nordamerikanischen Prärien existieren sie nicht mehr. Die Prärien selbst sind verschwunden; sie sind zum großen Teil schon kultiviert worden, und die Eisenbahn braust auf mehr als einem Schienen- strange quer durch den ganzen Erdteil. Die Reste der Indianer sind in sogenannten Reservationen untergebracht, wo sie gezwungen sind, ihr Leben als friedliche Ackerbauer hinzubringen oder gänzlich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Georg-Eckert-Institut - Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-07-21T13:10:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Maret Keller, Christian Wachter, Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-07-21T13:10:17Z)
CLARIN-D: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: ignoriert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tewes_menschenrassen_1913
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tewes_menschenrassen_1913/61
Zitationshilfe: Tewes, Hermann: Menschenrassen und Völkertypen. Bd. 2. 2. Aufl. Leipzig, 1913, S. — 57 —. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tewes_menschenrassen_1913/61>, abgerufen am 25.11.2024.