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Tewes, Hermann: Menschenrassen und Völkertypen. Bd. 2. 2. Aufl. Leipzig, 1913.

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ganz. Jede Horde hat zwar einen erfahrenen Mann als Anführer,
der die gemeinsamen Jagdzüge leitet und die Marschordnung be-
stimmt, aber sein Einfluß ist damit auch schon erschöpft, und die
Würde eines Häuptlings oder Fürsten geht ihm ab. Wenn zwei
Stämme auf ihrer Wanderung sich begegnen, so werden Empfangs-
feierlichkeiten veranstaltet, die man durch Entsendung von Herolden
einleitet und bei denen Pferderennen, Würfel- und Kartenspiele,
vor allem aber endlose Gelage die Hauptrolle spielen. Innerhalb
der Horde geben Geburt, Eheschließung und Tod Veranlassung zu
Feierlichkeiten mancherlei Art. Der Patagonier nimmt meist nur
eine Frau. Die Toten werden sitzend, mit dem Gesicht nach Osten
gewandt und in Mäntel gehüllt, begraben; ein über der Gruft er-
richteter Steinhaufen bildet das Grabmal. Bei den erwähnten
festlichen Gelegenheiten wird meist ein besonderes Zelt hergerichtet,
in dem ein Tanz der mit weißer Farbe bemalten und mit Strauß-
federn geschmückten Männer aufgeführt wird, der die Hauptnummer
der Festordnung bildet; daneben finden auch die üblichen Pferde-
opfer statt, die zur Abwehr böser Geister dienen sollen. Gestört
wird das friedliche Leben des Stammes nicht selten durch Familien-
zwistigkeiten, die mitunter einen blutigen Ausgang nehmen, denn
die Blutrache spielt bei den Patagoniern wie bei so vielen anderen
Naturvölkern eine große Rolle.

Der Charakter der Tehueltschen wird von Reisenden gerühmt,
die sie als ehrlich, rücksichtsvoll und gastfreundlich schildern, ohne
zu verhehlen, daß man von ihnen auch, wenn sie berauscht sind,
alles zu gewärtigen habe.

Die Religion dieser Nomaden ist ein reiner Dämonenglaube.
Sie kennen zwar auch einen guten Gott, den großen Geist, der als der
Schöpfer aller Dinge betrachtet wird, und der Glaube an ihn kommt
in verschiedener Form bei allen Indianern vor, aber er beherrscht
ihr religiöses Denken nicht. Dagegen sind es die bösen Geister,
die Dämonen, von denen der Patagonier sich umgeben wähnt, an
die er sich mit Beschwörungen wendet, weil er sie fürchtet, und
die er durch Opfer zu versöhnen trachtet. Daß er darnach an
Träume und Ahnungen glaubt, in allen Dingen, Erlebnissen und
Begegnungen gute und böse Vorbedeutungen sieht, Krankheiten auf
die Einwirkung böser Geister zurückführt und die Hilfe des Zauber-
arztes, der bei ihm in hohem Ansehen steht, fleißig in Anspruch
nimmt, ist leicht erklärlich. Bei den Patagoniern ist eine religiöse

ganz. Jede Horde hat zwar einen erfahrenen Mann als Anführer,
der die gemeinsamen Jagdzüge leitet und die Marschordnung be-
stimmt, aber sein Einfluß ist damit auch schon erschöpft, und die
Würde eines Häuptlings oder Fürsten geht ihm ab. Wenn zwei
Stämme auf ihrer Wanderung sich begegnen, so werden Empfangs-
feierlichkeiten veranstaltet, die man durch Entsendung von Herolden
einleitet und bei denen Pferderennen, Würfel- und Kartenspiele,
vor allem aber endlose Gelage die Hauptrolle spielen. Innerhalb
der Horde geben Geburt, Eheschließung und Tod Veranlassung zu
Feierlichkeiten mancherlei Art. Der Patagonier nimmt meist nur
eine Frau. Die Toten werden sitzend, mit dem Gesicht nach Osten
gewandt und in Mäntel gehüllt, begraben; ein über der Gruft er-
richteter Steinhaufen bildet das Grabmal. Bei den erwähnten
festlichen Gelegenheiten wird meist ein besonderes Zelt hergerichtet,
in dem ein Tanz der mit weißer Farbe bemalten und mit Strauß-
federn geschmückten Männer aufgeführt wird, der die Hauptnummer
der Festordnung bildet; daneben finden auch die üblichen Pferde-
opfer statt, die zur Abwehr böser Geister dienen sollen. Gestört
wird das friedliche Leben des Stammes nicht selten durch Familien-
zwistigkeiten, die mitunter einen blutigen Ausgang nehmen, denn
die Blutrache spielt bei den Patagoniern wie bei so vielen anderen
Naturvölkern eine große Rolle.

Der Charakter der Tehueltschen wird von Reisenden gerühmt,
die sie als ehrlich, rücksichtsvoll und gastfreundlich schildern, ohne
zu verhehlen, daß man von ihnen auch, wenn sie berauscht sind,
alles zu gewärtigen habe.

Die Religion dieser Nomaden ist ein reiner Dämonenglaube.
Sie kennen zwar auch einen guten Gott, den großen Geist, der als der
Schöpfer aller Dinge betrachtet wird, und der Glaube an ihn kommt
in verschiedener Form bei allen Indianern vor, aber er beherrscht
ihr religiöses Denken nicht. Dagegen sind es die bösen Geister,
die Dämonen, von denen der Patagonier sich umgeben wähnt, an
die er sich mit Beschwörungen wendet, weil er sie fürchtet, und
die er durch Opfer zu versöhnen trachtet. Daß er darnach an
Träume und Ahnungen glaubt, in allen Dingen, Erlebnissen und
Begegnungen gute und böse Vorbedeutungen sieht, Krankheiten auf
die Einwirkung böser Geister zurückführt und die Hilfe des Zauber-
arztes, der bei ihm in hohem Ansehen steht, fleißig in Anspruch
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Zitationshilfe: Tewes, Hermann: Menschenrassen und Völkertypen. Bd. 2. 2. Aufl. Leipzig, 1913, S. — 46 —. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tewes_menschenrassen_1913/50>, abgerufen am 25.11.2024.