bestimmen zu einer Aktion, kann von der Aktion selbst unterschieden werden, zu der wir uns bestimmen. Dennoch ist auch die Selbstbestimmung, als eine will- kührliche Anwendung unserer Kraft eine Selbstthä- tigkeit.
Zuvörderst wiederhole ich die Erinnerung, daß ich hier die immaterielle Seele, das eigentliche Jch, von ihrem innern unzertrennlichen Organ noch nicht unter- scheide. Die Empfindungen, die Vorstellungen, das Wollen, das Thun ist in der Seele. Diese ist das leidende und wirkende Subjekt, welches empfindet, den- ket, will, thätig ist. So weit unser inneres Selbst- gefühl uns Begriffe von diesen Modifikationen giebet, so weit gehören sie zu den Veränderungen des Seelen- wesens in dem Menschen.
Dieß Wesen ist nach der Aussage aller Erfahrun- gen nicht so natürlich selbstthätig, daß es in dem Zu- stande einer regen und beobachtbaren Wirksam- keit sich befinden kann, ohne von dem Einflusse äuße- rer Dinge gereizet und unterstützt zu seyn. Jm tiefsten Schlafe, in der Ohnmacht, was wirkt die Seele dann? Sie mag wirken, sich bestreben, etwas hervor- bringen; niemals ein bloßes oder todtes Vermögen seyn; so ist doch so viel entschieden, daß sie nichts wirke, dessen wir uns nachher erinnern können. Jst sie in die- sem Zustande thätig, bestimmt sie sich, handelt sie, so liegen diese ihre Aeußerungen nicht in dem Umfange dessen, was wir beobachten, und über die unser Selbst- gefühl uns sagen könne, ob es Selbstthätigkeiten oder Leidenheiten sind? Wir bedürfen klarer Empfin- dungen von außen, um wachend zu seyn; und von den Handlungen des wachenden Menschen ist hier nur die Rede. Wenn wir auch zuweilen willkührlich im Traum handeln, so kommen diese Aktionen hier we- niger in Betracht; wie auch alsdenn die Selbstwirk-
samkeit
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und Freyheit.
beſtimmen zu einer Aktion, kann von der Aktion ſelbſt unterſchieden werden, zu der wir uns beſtimmen. Dennoch iſt auch die Selbſtbeſtimmung, als eine will- kuͤhrliche Anwendung unſerer Kraft eine Selbſtthaͤ- tigkeit.
Zuvoͤrderſt wiederhole ich die Erinnerung, daß ich hier die immaterielle Seele, das eigentliche Jch, von ihrem innern unzertrennlichen Organ noch nicht unter- ſcheide. Die Empfindungen, die Vorſtellungen, das Wollen, das Thun iſt in der Seele. Dieſe iſt das leidende und wirkende Subjekt, welches empfindet, den- ket, will, thaͤtig iſt. So weit unſer inneres Selbſt- gefuͤhl uns Begriffe von dieſen Modifikationen giebet, ſo weit gehoͤren ſie zu den Veraͤnderungen des Seelen- weſens in dem Menſchen.
Dieß Weſen iſt nach der Ausſage aller Erfahrun- gen nicht ſo natuͤrlich ſelbſtthaͤtig, daß es in dem Zu- ſtande einer regen und beobachtbaren Wirkſam- keit ſich befinden kann, ohne von dem Einfluſſe aͤuße- rer Dinge gereizet und unterſtuͤtzt zu ſeyn. Jm tiefſten Schlafe, in der Ohnmacht, was wirkt die Seele dann? Sie mag wirken, ſich beſtreben, etwas hervor- bringen; niemals ein bloßes oder todtes Vermoͤgen ſeyn; ſo iſt doch ſo viel entſchieden, daß ſie nichts wirke, deſſen wir uns nachher erinnern koͤnnen. Jſt ſie in die- ſem Zuſtande thaͤtig, beſtimmt ſie ſich, handelt ſie, ſo liegen dieſe ihre Aeußerungen nicht in dem Umfange deſſen, was wir beobachten, und uͤber die unſer Selbſt- gefuͤhl uns ſagen koͤnne, ob es Selbſtthaͤtigkeiten oder Leidenheiten ſind? Wir beduͤrfen klarer Empfin- dungen von außen, um wachend zu ſeyn; und von den Handlungen des wachenden Menſchen iſt hier nur die Rede. Wenn wir auch zuweilen willkuͤhrlich im Traum handeln, ſo kommen dieſe Aktionen hier we- niger in Betracht; wie auch alsdenn die Selbſtwirk-
ſamkeit
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und Freyheit.
beſtimmen zu einer Aktion, kann von der Aktion
ſelbſt unterſchieden werden, zu der wir uns beſtimmen.
Dennoch iſt auch die Selbſtbeſtimmung, als eine will-
kuͤhrliche Anwendung unſerer Kraft eine Selbſtthaͤ-
tigkeit.
Zuvoͤrderſt wiederhole ich die Erinnerung, daß ich
hier die immaterielle Seele, das eigentliche Jch, von
ihrem innern unzertrennlichen Organ noch nicht unter-
ſcheide. Die Empfindungen, die Vorſtellungen, das
Wollen, das Thun iſt in der Seele. Dieſe iſt das
leidende und wirkende Subjekt, welches empfindet, den-
ket, will, thaͤtig iſt. So weit unſer inneres Selbſt-
gefuͤhl uns Begriffe von dieſen Modifikationen giebet,
ſo weit gehoͤren ſie zu den Veraͤnderungen des Seelen-
weſens in dem Menſchen.
Dieß Weſen iſt nach der Ausſage aller Erfahrun-
gen nicht ſo natuͤrlich ſelbſtthaͤtig, daß es in dem Zu-
ſtande einer regen und beobachtbaren Wirkſam-
keit ſich befinden kann, ohne von dem Einfluſſe aͤuße-
rer Dinge gereizet und unterſtuͤtzt zu ſeyn. Jm
tiefſten Schlafe, in der Ohnmacht, was wirkt die Seele
dann? Sie mag wirken, ſich beſtreben, etwas hervor-
bringen; niemals ein bloßes oder todtes Vermoͤgen
ſeyn; ſo iſt doch ſo viel entſchieden, daß ſie nichts wirke,
deſſen wir uns nachher erinnern koͤnnen. Jſt ſie in die-
ſem Zuſtande thaͤtig, beſtimmt ſie ſich, handelt ſie, ſo
liegen dieſe ihre Aeußerungen nicht in dem Umfange
deſſen, was wir beobachten, und uͤber die unſer Selbſt-
gefuͤhl uns ſagen koͤnne, ob es Selbſtthaͤtigkeiten oder
Leidenheiten ſind? Wir beduͤrfen klarer Empfin-
dungen von außen, um wachend zu ſeyn; und von
den Handlungen des wachenden Menſchen iſt hier
nur die Rede. Wenn wir auch zuweilen willkuͤhrlich
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/97>, abgerufen am 22.11.2024.
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