Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

und Entwickelung des Menschen.
let, und ihr Besitz, ohne Rücksicht auf den Nutzen,
den sie durch ihren Gebrauch gewähren, angenehm ge-
fühlet
werde. Dieß geschieht, so bald nur Vorstel-
lungen von ihnen und von ihrem Werth erlanget sind.
Jnsofern ist die Tugend, die größte und edelste aller
Seelenvermögen, für sich selbst ein Gut, das blos durch
seinen Besitz glücklich macht, den man fühlet und dessen
man sich bewußt ist. Und eben dasselbige läßt sich in
seiner Maße von jeder Kunst und Geschicklichkeit sagen,
sogar von körperlichen Eigenschaften, wie von Schön-
heit, Gesundheit und Stärke. So weit Eitelkeit,
Stolz und Selbstzufriedenheit reichet, das ist, durch die
ganze Menschheit, zeiget sichs, welch süßes, Geist und
Muth erhebendes, Gefühl in dem Bewußtseyn liege, daß
man diese oder jene scheinbare oder wahre Vollkom-
menheit besitze, wenn solche gleich nichts mehr ist, als
eine Macht, die man nicht gebrauchet, sondern nur ge-
brauchen kann.

Es darf nicht geläugnet werden, was Helvetius und
andere zu beweisen gesucht, daß der erste Grund von die-
sem angenehmen Gefühl aus dem Besitz eines Vermö-
gens in der Rücksicht auf die Vortheile liege, die mit
dem Gebrauch der Vermögen verbunden sind. Die
Vorstellung von dem Nutzen ist mit dem Gefühl des
Vermögens selbst vereiniget. Aber dennoch macht jene
dieß letztere nicht ganz aus. Die Jdeenassociation macht
uns nur auf das Gefühl der Kräfte aufmerksam. So
bald wir aber mit diesem Gefühl selbst bekannter sind,
und solches etwas mehr verstärket und verfeinert haben,
gewähret es unmittelbar freudige Empfindungen, die
das Herz erwärmen, oft es entzünden und zuweilen ver-
brennen. Gemeiniglich nimmt der Mensch in Hinsicht
seiner Vollkommenheiten die Denkungsart des Geizigen

an,

und Entwickelung des Menſchen.
let, und ihr Beſitz, ohne Ruͤckſicht auf den Nutzen,
den ſie durch ihren Gebrauch gewaͤhren, angenehm ge-
fuͤhlet
werde. Dieß geſchieht, ſo bald nur Vorſtel-
lungen von ihnen und von ihrem Werth erlanget ſind.
Jnſofern iſt die Tugend, die groͤßte und edelſte aller
Seelenvermoͤgen, fuͤr ſich ſelbſt ein Gut, das blos durch
ſeinen Beſitz gluͤcklich macht, den man fuͤhlet und deſſen
man ſich bewußt iſt. Und eben daſſelbige laͤßt ſich in
ſeiner Maße von jeder Kunſt und Geſchicklichkeit ſagen,
ſogar von koͤrperlichen Eigenſchaften, wie von Schoͤn-
heit, Geſundheit und Staͤrke. So weit Eitelkeit,
Stolz und Selbſtzufriedenheit reichet, das iſt, durch die
ganze Menſchheit, zeiget ſichs, welch ſuͤßes, Geiſt und
Muth erhebendes, Gefuͤhl in dem Bewußtſeyn liege, daß
man dieſe oder jene ſcheinbare oder wahre Vollkom-
menheit beſitze, wenn ſolche gleich nichts mehr iſt, als
eine Macht, die man nicht gebrauchet, ſondern nur ge-
brauchen kann.

Es darf nicht gelaͤugnet werden, was Helvetius und
andere zu beweiſen geſucht, daß der erſte Grund von die-
ſem angenehmen Gefuͤhl aus dem Beſitz eines Vermoͤ-
gens in der Ruͤckſicht auf die Vortheile liege, die mit
dem Gebrauch der Vermoͤgen verbunden ſind. Die
Vorſtellung von dem Nutzen iſt mit dem Gefuͤhl des
Vermoͤgens ſelbſt vereiniget. Aber dennoch macht jene
dieß letztere nicht ganz aus. Die Jdeenaſſociation macht
uns nur auf das Gefuͤhl der Kraͤfte aufmerkſam. So
bald wir aber mit dieſem Gefuͤhl ſelbſt bekannter ſind,
und ſolches etwas mehr verſtaͤrket und verfeinert haben,
gewaͤhret es unmittelbar freudige Empfindungen, die
das Herz erwaͤrmen, oft es entzuͤnden und zuweilen ver-
brennen. Gemeiniglich nimmt der Menſch in Hinſicht
ſeiner Vollkommenheiten die Denkungsart des Geizigen

an,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0857" n="827"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">und Entwickelung des Men&#x017F;chen.</hi></fw><lb/>
let, und <hi rendition="#fr">ihr Be&#x017F;itz,</hi> ohne Ru&#x0364;ck&#x017F;icht auf den Nutzen,<lb/>
den &#x017F;ie durch ihren Gebrauch gewa&#x0364;hren, <hi rendition="#fr">angenehm ge-<lb/>
fu&#x0364;hlet</hi> werde. Dieß ge&#x017F;chieht, &#x017F;o bald nur Vor&#x017F;tel-<lb/>
lungen von ihnen und von ihrem Werth erlanget &#x017F;ind.<lb/>
Jn&#x017F;ofern i&#x017F;t die Tugend, die gro&#x0364;ßte und edel&#x017F;te aller<lb/>
Seelenvermo&#x0364;gen, fu&#x0364;r &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t ein Gut, das blos durch<lb/>
&#x017F;einen Be&#x017F;itz glu&#x0364;cklich macht, den man fu&#x0364;hlet und de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
man &#x017F;ich bewußt i&#x017F;t. Und eben da&#x017F;&#x017F;elbige la&#x0364;ßt &#x017F;ich in<lb/>
&#x017F;einer Maße von jeder Kun&#x017F;t und Ge&#x017F;chicklichkeit &#x017F;agen,<lb/>
&#x017F;ogar von ko&#x0364;rperlichen Eigen&#x017F;chaften, wie von Scho&#x0364;n-<lb/>
heit, Ge&#x017F;undheit und Sta&#x0364;rke. So weit Eitelkeit,<lb/>
Stolz und Selb&#x017F;tzufriedenheit reichet, das i&#x017F;t, durch die<lb/>
ganze Men&#x017F;chheit, zeiget &#x017F;ichs, welch &#x017F;u&#x0364;ßes, Gei&#x017F;t und<lb/>
Muth erhebendes, Gefu&#x0364;hl in dem Bewußt&#x017F;eyn liege, daß<lb/>
man die&#x017F;e oder jene &#x017F;cheinbare oder wahre Vollkom-<lb/>
menheit be&#x017F;itze, wenn &#x017F;olche gleich nichts mehr i&#x017F;t, als<lb/>
eine Macht, die man nicht gebrauchet, &#x017F;ondern nur ge-<lb/>
brauchen kann.</p><lb/>
            <p>Es darf nicht gela&#x0364;ugnet werden, was Helvetius und<lb/>
andere zu bewei&#x017F;en ge&#x017F;ucht, daß der er&#x017F;te Grund von die-<lb/>
&#x017F;em angenehmen Gefu&#x0364;hl aus dem Be&#x017F;itz eines Vermo&#x0364;-<lb/>
gens in der Ru&#x0364;ck&#x017F;icht auf die Vortheile liege, die mit<lb/>
dem Gebrauch der Vermo&#x0364;gen verbunden &#x017F;ind. Die<lb/>
Vor&#x017F;tellung von dem <hi rendition="#fr">Nutzen</hi> i&#x017F;t mit dem Gefu&#x0364;hl des<lb/>
Vermo&#x0364;gens &#x017F;elb&#x017F;t vereiniget. Aber dennoch macht jene<lb/>
dieß letztere nicht ganz aus. Die Jdeena&#x017F;&#x017F;ociation macht<lb/>
uns nur auf das Gefu&#x0364;hl der Kra&#x0364;fte aufmerk&#x017F;am. So<lb/>
bald wir aber mit die&#x017F;em Gefu&#x0364;hl &#x017F;elb&#x017F;t bekannter &#x017F;ind,<lb/>
und &#x017F;olches etwas mehr ver&#x017F;ta&#x0364;rket und verfeinert haben,<lb/>
gewa&#x0364;hret es unmittelbar freudige Empfindungen, die<lb/>
das Herz erwa&#x0364;rmen, oft es entzu&#x0364;nden und zuweilen ver-<lb/>
brennen. Gemeiniglich nimmt der Men&#x017F;ch in Hin&#x017F;icht<lb/>
&#x017F;einer Vollkommenheiten die Denkungsart des Geizigen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">an,</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[827/0857] und Entwickelung des Menſchen. let, und ihr Beſitz, ohne Ruͤckſicht auf den Nutzen, den ſie durch ihren Gebrauch gewaͤhren, angenehm ge- fuͤhlet werde. Dieß geſchieht, ſo bald nur Vorſtel- lungen von ihnen und von ihrem Werth erlanget ſind. Jnſofern iſt die Tugend, die groͤßte und edelſte aller Seelenvermoͤgen, fuͤr ſich ſelbſt ein Gut, das blos durch ſeinen Beſitz gluͤcklich macht, den man fuͤhlet und deſſen man ſich bewußt iſt. Und eben daſſelbige laͤßt ſich in ſeiner Maße von jeder Kunſt und Geſchicklichkeit ſagen, ſogar von koͤrperlichen Eigenſchaften, wie von Schoͤn- heit, Geſundheit und Staͤrke. So weit Eitelkeit, Stolz und Selbſtzufriedenheit reichet, das iſt, durch die ganze Menſchheit, zeiget ſichs, welch ſuͤßes, Geiſt und Muth erhebendes, Gefuͤhl in dem Bewußtſeyn liege, daß man dieſe oder jene ſcheinbare oder wahre Vollkom- menheit beſitze, wenn ſolche gleich nichts mehr iſt, als eine Macht, die man nicht gebrauchet, ſondern nur ge- brauchen kann. Es darf nicht gelaͤugnet werden, was Helvetius und andere zu beweiſen geſucht, daß der erſte Grund von die- ſem angenehmen Gefuͤhl aus dem Beſitz eines Vermoͤ- gens in der Ruͤckſicht auf die Vortheile liege, die mit dem Gebrauch der Vermoͤgen verbunden ſind. Die Vorſtellung von dem Nutzen iſt mit dem Gefuͤhl des Vermoͤgens ſelbſt vereiniget. Aber dennoch macht jene dieß letztere nicht ganz aus. Die Jdeenaſſociation macht uns nur auf das Gefuͤhl der Kraͤfte aufmerkſam. So bald wir aber mit dieſem Gefuͤhl ſelbſt bekannter ſind, und ſolches etwas mehr verſtaͤrket und verfeinert haben, gewaͤhret es unmittelbar freudige Empfindungen, die das Herz erwaͤrmen, oft es entzuͤnden und zuweilen ver- brennen. Gemeiniglich nimmt der Menſch in Hinſicht ſeiner Vollkommenheiten die Denkungsart des Geizigen an,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/857
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 827. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/857>, abgerufen am 06.05.2024.