Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

und Entwickelung des Menschen.
Reiz fehlt, um in wirkliches Bestreben überzugehen.
Jnsbesondere findet sich in der unangenehmen Trägheit,
die mit der Ermüdung verbunden ist, ein Bestreben
alles zu entfernen, was die Kraft reizen und rege ma-
chen kann. Es scheint also der Hang zur Ruhe ein
positiver Hang der Seele zu seyn, sich aus dem
Stande der Thätigkeit und des Bewußtseyns ihrer
selbst herauszusetzen. Sie will nicht mehr fühlen noch
empfinden, oder unterhalten seyn, weil dieß alles sie
zu stark angreift. Jst nun alles das ein positives Ver-
gnügen, was mit ihren dermaligen Bestrebungen über-
einstimmt, so wird auch dieses dahin zu rechnen seyn,
was sie empfindet, wenn die äußern Eindrücke und die
innern Bewegungen weggehen, die ihre Kraft zur Thä-
tigkeit reizen und ihre Entspannung aufhalten. So
scheint es mir wirklich sich zu verhalten, obgleich die
Richtung der Kraft alsdenn dahin gehet, sich unthätig
zu machen, und, so zu sagen, abzulaufen. Es ist
wenigstens so, sofern man sich selbst fühlet. Denn sonst
mag die Grundkraft immer nur ihre Richtung verän-
dern, wie die Psychologen es erklären, die die Seele
im tiefsten Schlaf eben so stark beschäftiget seyn lassen, als
im Wachen, nur daß sie alsdenn mehr mit dem ganzen
Jnbegrif ihrer dunkeln Vorstellungen zu thun hat, als
mit den hervorstechenden klaren und deutlichen Gedanken,
die sie im Wachen bearbeitet. Eine Jdee, die selbst
nach den Anzeigen, welche man in den Beobachtungen
findet, nicht unwahrscheinlich, und gewiß nicht ganz und
gar falsch ist.

Jn Hinsicht des Körpers ist es nicht schwer sich vor-
zustellen, wie in ihm ein Trieb entstehen könne zu Ver-
änderungen, die seine Fibern entspannen und ihn unthä-
tig machen. Die Kräfte der Organisation erschöpfen
sich, und es häufen sich die Hindernisse gegen ihre wei-
tere Wirksamkeit. Dieß ändert durch eine Rückwir-

kung

und Entwickelung des Menſchen.
Reiz fehlt, um in wirkliches Beſtreben uͤberzugehen.
Jnsbeſondere findet ſich in der unangenehmen Traͤgheit,
die mit der Ermuͤdung verbunden iſt, ein Beſtreben
alles zu entfernen, was die Kraft reizen und rege ma-
chen kann. Es ſcheint alſo der Hang zur Ruhe ein
poſitiver Hang der Seele zu ſeyn, ſich aus dem
Stande der Thaͤtigkeit und des Bewußtſeyns ihrer
ſelbſt herauszuſetzen. Sie will nicht mehr fuͤhlen noch
empfinden, oder unterhalten ſeyn, weil dieß alles ſie
zu ſtark angreift. Jſt nun alles das ein poſitives Ver-
gnuͤgen, was mit ihren dermaligen Beſtrebungen uͤber-
einſtimmt, ſo wird auch dieſes dahin zu rechnen ſeyn,
was ſie empfindet, wenn die aͤußern Eindruͤcke und die
innern Bewegungen weggehen, die ihre Kraft zur Thaͤ-
tigkeit reizen und ihre Entſpannung aufhalten. So
ſcheint es mir wirklich ſich zu verhalten, obgleich die
Richtung der Kraft alsdenn dahin gehet, ſich unthaͤtig
zu machen, und, ſo zu ſagen, abzulaufen. Es iſt
wenigſtens ſo, ſofern man ſich ſelbſt fuͤhlet. Denn ſonſt
mag die Grundkraft immer nur ihre Richtung veraͤn-
dern, wie die Pſychologen es erklaͤren, die die Seele
im tiefſten Schlaf eben ſo ſtark beſchaͤftiget ſeyn laſſen, als
im Wachen, nur daß ſie alsdenn mehr mit dem ganzen
Jnbegrif ihrer dunkeln Vorſtellungen zu thun hat, als
mit den hervorſtechenden klaren und deutlichen Gedanken,
die ſie im Wachen bearbeitet. Eine Jdee, die ſelbſt
nach den Anzeigen, welche man in den Beobachtungen
findet, nicht unwahrſcheinlich, und gewiß nicht ganz und
gar falſch iſt.

Jn Hinſicht des Koͤrpers iſt es nicht ſchwer ſich vor-
zuſtellen, wie in ihm ein Trieb entſtehen koͤnne zu Ver-
aͤnderungen, die ſeine Fibern entſpannen und ihn unthaͤ-
tig machen. Die Kraͤfte der Organiſation erſchoͤpfen
ſich, und es haͤufen ſich die Hinderniſſe gegen ihre wei-
tere Wirkſamkeit. Dieß aͤndert durch eine Ruͤckwir-

kung
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0843" n="813"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">und Entwickelung des Men&#x017F;chen.</hi></fw><lb/>
Reiz fehlt, um in wirkliches Be&#x017F;treben u&#x0364;berzugehen.<lb/>
Jnsbe&#x017F;ondere findet &#x017F;ich in der unangenehmen Tra&#x0364;gheit,<lb/>
die mit der Ermu&#x0364;dung verbunden i&#x017F;t, ein Be&#x017F;treben<lb/>
alles zu entfernen, was die Kraft reizen und rege ma-<lb/>
chen kann. Es &#x017F;cheint al&#x017F;o der Hang zur Ruhe ein<lb/><hi rendition="#fr">po&#x017F;itiver Hang der Seele</hi> zu &#x017F;eyn, &#x017F;ich aus dem<lb/>
Stande der Tha&#x0364;tigkeit und des Bewußt&#x017F;eyns ihrer<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t herauszu&#x017F;etzen. Sie will nicht mehr fu&#x0364;hlen noch<lb/>
empfinden, oder unterhalten &#x017F;eyn, weil dieß alles &#x017F;ie<lb/>
zu &#x017F;tark angreift. J&#x017F;t nun alles das ein po&#x017F;itives Ver-<lb/>
gnu&#x0364;gen, was mit ihren dermaligen Be&#x017F;trebungen u&#x0364;ber-<lb/>
ein&#x017F;timmt, &#x017F;o wird auch die&#x017F;es dahin zu rechnen &#x017F;eyn,<lb/>
was &#x017F;ie empfindet, wenn die a&#x0364;ußern Eindru&#x0364;cke und die<lb/>
innern Bewegungen weggehen, die ihre Kraft zur Tha&#x0364;-<lb/>
tigkeit reizen und ihre Ent&#x017F;pannung aufhalten. So<lb/>
&#x017F;cheint es mir wirklich &#x017F;ich zu verhalten, obgleich die<lb/>
Richtung der Kraft alsdenn dahin gehet, &#x017F;ich untha&#x0364;tig<lb/>
zu machen, und, &#x017F;o zu &#x017F;agen, abzulaufen. Es i&#x017F;t<lb/>
wenig&#x017F;tens &#x017F;o, &#x017F;ofern man &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t fu&#x0364;hlet. Denn &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
mag die Grundkraft immer nur ihre Richtung vera&#x0364;n-<lb/>
dern, wie die P&#x017F;ychologen es erkla&#x0364;ren, die die Seele<lb/>
im tief&#x017F;ten Schlaf eben &#x017F;o &#x017F;tark be&#x017F;cha&#x0364;ftiget &#x017F;eyn la&#x017F;&#x017F;en, als<lb/>
im Wachen, nur daß &#x017F;ie alsdenn mehr mit dem ganzen<lb/>
Jnbegrif ihrer dunkeln Vor&#x017F;tellungen zu thun hat, als<lb/>
mit den hervor&#x017F;techenden klaren und deutlichen Gedanken,<lb/>
die &#x017F;ie im Wachen bearbeitet. Eine Jdee, die &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
nach den Anzeigen, welche man in den Beobachtungen<lb/>
findet, nicht unwahr&#x017F;cheinlich, und gewiß nicht ganz und<lb/>
gar fal&#x017F;ch i&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>Jn Hin&#x017F;icht des Ko&#x0364;rpers i&#x017F;t es nicht &#x017F;chwer &#x017F;ich vor-<lb/>
zu&#x017F;tellen, wie in ihm ein Trieb ent&#x017F;tehen ko&#x0364;nne zu Ver-<lb/>
a&#x0364;nderungen, die &#x017F;eine Fibern ent&#x017F;pannen und ihn untha&#x0364;-<lb/>
tig machen. Die Kra&#x0364;fte der Organi&#x017F;ation er&#x017F;cho&#x0364;pfen<lb/>
&#x017F;ich, und es ha&#x0364;ufen &#x017F;ich die Hinderni&#x017F;&#x017F;e gegen ihre wei-<lb/>
tere Wirk&#x017F;amkeit. Dieß a&#x0364;ndert durch eine Ru&#x0364;ckwir-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">kung</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[813/0843] und Entwickelung des Menſchen. Reiz fehlt, um in wirkliches Beſtreben uͤberzugehen. Jnsbeſondere findet ſich in der unangenehmen Traͤgheit, die mit der Ermuͤdung verbunden iſt, ein Beſtreben alles zu entfernen, was die Kraft reizen und rege ma- chen kann. Es ſcheint alſo der Hang zur Ruhe ein poſitiver Hang der Seele zu ſeyn, ſich aus dem Stande der Thaͤtigkeit und des Bewußtſeyns ihrer ſelbſt herauszuſetzen. Sie will nicht mehr fuͤhlen noch empfinden, oder unterhalten ſeyn, weil dieß alles ſie zu ſtark angreift. Jſt nun alles das ein poſitives Ver- gnuͤgen, was mit ihren dermaligen Beſtrebungen uͤber- einſtimmt, ſo wird auch dieſes dahin zu rechnen ſeyn, was ſie empfindet, wenn die aͤußern Eindruͤcke und die innern Bewegungen weggehen, die ihre Kraft zur Thaͤ- tigkeit reizen und ihre Entſpannung aufhalten. So ſcheint es mir wirklich ſich zu verhalten, obgleich die Richtung der Kraft alsdenn dahin gehet, ſich unthaͤtig zu machen, und, ſo zu ſagen, abzulaufen. Es iſt wenigſtens ſo, ſofern man ſich ſelbſt fuͤhlet. Denn ſonſt mag die Grundkraft immer nur ihre Richtung veraͤn- dern, wie die Pſychologen es erklaͤren, die die Seele im tiefſten Schlaf eben ſo ſtark beſchaͤftiget ſeyn laſſen, als im Wachen, nur daß ſie alsdenn mehr mit dem ganzen Jnbegrif ihrer dunkeln Vorſtellungen zu thun hat, als mit den hervorſtechenden klaren und deutlichen Gedanken, die ſie im Wachen bearbeitet. Eine Jdee, die ſelbſt nach den Anzeigen, welche man in den Beobachtungen findet, nicht unwahrſcheinlich, und gewiß nicht ganz und gar falſch iſt. Jn Hinſicht des Koͤrpers iſt es nicht ſchwer ſich vor- zuſtellen, wie in ihm ein Trieb entſtehen koͤnne zu Ver- aͤnderungen, die ſeine Fibern entſpannen und ihn unthaͤ- tig machen. Die Kraͤfte der Organiſation erſchoͤpfen ſich, und es haͤufen ſich die Hinderniſſe gegen ihre wei- tere Wirkſamkeit. Dieß aͤndert durch eine Ruͤckwir- kung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/843
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 813. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/843>, abgerufen am 18.05.2024.