als daß man ihn zu zahmen, und wenns aufs Beste ist, zu zufriedenen Menschenthieren mache: so hat man ihm wohl nicht Gerechtigkeit widerfahren lassen. Ein an- deres ist es, wenn darum keine höhere Absicht bey ihnen erreichet wird, auch vielleicht nicht werden könnte, weil in der äußern Verfassung der Welt keine Mittel sind, mehr zu erreichen. Davon will ich nachher sagen: nur daß man nicht glaube, es liege in der Natur des Pö- bels und in seinen nothwendigen körperlichen Verrich- tungen die Unmöglichkeit besser gebildet zu werden.
Was endlich die Kultur der höhern Verstandeskräf- te und der sich darauf beziehenden erhabenern Denkar- ten, Gesinnungen und Thätigkeiten des Herzens, das ist, die Entwickelung des innern geistigen Lebens betrifft, so sind die Wissenschaften die Mittel, wodurch selbige betrieben und ausgebreitet wird unter die Jndividuen. Allein wofern ihre Wirkung nicht ungemein einge- schränket seyn soll, so ist es nöthig, daß besonders die am allgemeinsten und am stärksten interessirenden Kennt- nisse, die Religion und Moral, zu Gegenständen einer freyen Untersuchung für alle, die Verstand besitzen, ge- macht werden. Wo man dem Verstande es wehret über Sachen nachzudenken, die sich auf die Religion, auf die innere Glückseligkeit, auf die Natur und Verhält- nisse des Menschen in der Welt, auf Gesetze und Ge- sellschaft beziehen, da nimmt man allen ihren übrigen Untersuchungen Geist und Leben; da ist an keine Auf- klärung des Volks zu gedenken. Die Geschichte hat kein Beyspiel, daß sich die übrigen Wissenschaften, die sich mit der körperlichen Natur beschäfftigen, lange erhalten und sich weit über die Nation verbreitet, und Licht im Verstande und Moralität im Herzen allgemeiner ge- macht haben, wo Denken und Raisonniren über die Re- ligion, die Politik und Moral eine Sünde, und anders denken, als die einmal festgesetzte Vorschrift will, ein
Ver-
und Entwickelung des Menſchen.
als daß man ihn zu zahmen, und wenns aufs Beſte iſt, zu zufriedenen Menſchenthieren mache: ſo hat man ihm wohl nicht Gerechtigkeit widerfahren laſſen. Ein an- deres iſt es, wenn darum keine hoͤhere Abſicht bey ihnen erreichet wird, auch vielleicht nicht werden koͤnnte, weil in der aͤußern Verfaſſung der Welt keine Mittel ſind, mehr zu erreichen. Davon will ich nachher ſagen: nur daß man nicht glaube, es liege in der Natur des Poͤ- bels und in ſeinen nothwendigen koͤrperlichen Verrich- tungen die Unmoͤglichkeit beſſer gebildet zu werden.
Was endlich die Kultur der hoͤhern Verſtandeskraͤf- te und der ſich darauf beziehenden erhabenern Denkar- ten, Geſinnungen und Thaͤtigkeiten des Herzens, das iſt, die Entwickelung des innern geiſtigen Lebens betrifft, ſo ſind die Wiſſenſchaften die Mittel, wodurch ſelbige betrieben und ausgebreitet wird unter die Jndividuen. Allein wofern ihre Wirkung nicht ungemein einge- ſchraͤnket ſeyn ſoll, ſo iſt es noͤthig, daß beſonders die am allgemeinſten und am ſtaͤrkſten intereſſirenden Kennt- niſſe, die Religion und Moral, zu Gegenſtaͤnden einer freyen Unterſuchung fuͤr alle, die Verſtand beſitzen, ge- macht werden. Wo man dem Verſtande es wehret uͤber Sachen nachzudenken, die ſich auf die Religion, auf die innere Gluͤckſeligkeit, auf die Natur und Verhaͤlt- niſſe des Menſchen in der Welt, auf Geſetze und Ge- ſellſchaft beziehen, da nimmt man allen ihren uͤbrigen Unterſuchungen Geiſt und Leben; da iſt an keine Auf- klaͤrung des Volks zu gedenken. Die Geſchichte hat kein Beyſpiel, daß ſich die uͤbrigen Wiſſenſchaften, die ſich mit der koͤrperlichen Natur beſchaͤfftigen, lange erhalten und ſich weit uͤber die Nation verbreitet, und Licht im Verſtande und Moralitaͤt im Herzen allgemeiner ge- macht haben, wo Denken und Raiſonniren uͤber die Re- ligion, die Politik und Moral eine Suͤnde, und anders denken, als die einmal feſtgeſetzte Vorſchrift will, ein
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und Entwickelung des Menſchen.
als daß man ihn zu zahmen, und wenns aufs Beſte iſt,
zu zufriedenen Menſchenthieren mache: ſo hat man ihm
wohl nicht Gerechtigkeit widerfahren laſſen. Ein an-
deres iſt es, wenn darum keine hoͤhere Abſicht bey ihnen
erreichet wird, auch vielleicht nicht werden koͤnnte, weil
in der aͤußern Verfaſſung der Welt keine Mittel ſind,
mehr zu erreichen. Davon will ich nachher ſagen: nur
daß man nicht glaube, es liege in der Natur des Poͤ-
bels und in ſeinen nothwendigen koͤrperlichen Verrich-
tungen die Unmoͤglichkeit beſſer gebildet zu werden.
Was endlich die Kultur der hoͤhern Verſtandeskraͤf-
te und der ſich darauf beziehenden erhabenern Denkar-
ten, Geſinnungen und Thaͤtigkeiten des Herzens, das
iſt, die Entwickelung des innern geiſtigen Lebens betrifft,
ſo ſind die Wiſſenſchaften die Mittel, wodurch ſelbige
betrieben und ausgebreitet wird unter die Jndividuen.
Allein wofern ihre Wirkung nicht ungemein einge-
ſchraͤnket ſeyn ſoll, ſo iſt es noͤthig, daß beſonders die
am allgemeinſten und am ſtaͤrkſten intereſſirenden Kennt-
niſſe, die Religion und Moral, zu Gegenſtaͤnden einer
freyen Unterſuchung fuͤr alle, die Verſtand beſitzen, ge-
macht werden. Wo man dem Verſtande es wehret uͤber
Sachen nachzudenken, die ſich auf die Religion, auf
die innere Gluͤckſeligkeit, auf die Natur und Verhaͤlt-
niſſe des Menſchen in der Welt, auf Geſetze und Ge-
ſellſchaft beziehen, da nimmt man allen ihren uͤbrigen
Unterſuchungen Geiſt und Leben; da iſt an keine Auf-
klaͤrung des Volks zu gedenken. Die Geſchichte hat kein
Beyſpiel, daß ſich die uͤbrigen Wiſſenſchaften, die ſich
mit der koͤrperlichen Natur beſchaͤfftigen, lange erhalten
und ſich weit uͤber die Nation verbreitet, und Licht im
Verſtande und Moralitaͤt im Herzen allgemeiner ge-
macht haben, wo Denken und Raiſonniren uͤber die Re-
ligion, die Politik und Moral eine Suͤnde, und anders
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 779. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/809>, abgerufen am 24.11.2024.
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