Man kann auch den steifen Alten es oft genug ansehen, wie sie ihren Körper in den jüngern Jahren geübt ha- ben. Und ohne Zweifel liegen eben so wohl Zeichen und Merkmale von der Geschicklichkeit im Spielen, Tanzen und Fechten, in ihren Fingern, Füßen und Armen, wenn wir hierinn nur Physiognomisten seyn könnten, als die Abdrücke ihrer Denkarten und Leidenschaften in ih- rem Gesicht; wenn auch gleich dorten die Züge etwas undeutlicher und unleserlicher für uns seyn mögen, als die letztern.
Es hat sich gemeiniglich diese Abnahme an Beweg- barkeit in dem Körper schon zeitiger eingestellt, als noch irgend eine Abnahme an den Fertigkeiten der Seele, die den innern Theil der menschlichen, auch der körperlichen, Fertigkeiten ausmachen, *) verspüret wird. Der Mensch muß es erst aus dem Gefühl erlernen, daß sein Körper nicht mehr so fort will, wie man sich in der gemeinen Sprache ausdrückt, oder eigentlich, nicht mehr so gelenk- sam und leicht beweglich ist, als vorher, und als es der Vorstellung, dem Wollen und Bestreben der Seele ge- mäß ist. Er äußert also vorher dieselbigen Bestrebun- gen zu handeln, und merkt innerlich so wenig eine Schwäche, daß er im Anfang sich durch seine Reflexion davon überzeugen kann, die Schwäche liege nicht an sei- ner Seele, welche noch nichts vergessen noch verlernet hat, sondern an der Steifigkeit in den Gliedern. Ehe der Alte es gewiß wird, daß ein wahres Unvermögen eingetreten, glaubt er eine Weile, es möchten nur zu- fällige Hindernisse da seyn. Er versucht es schärfer zu- zusehen und aufmerksamer zuzuhören, wenn schon das Auge und Ohr gelitten hat, in der Meinung, es fehle an seiner Aufmerksamkeit, daß die Empfindungen nicht mehr so lebhaft und deutlich sind. Dieß läßt schließen,
daß
*) Dreyzehnter Versuch. IX. Erste Abtheil. 10. 11.
XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
Man kann auch den ſteifen Alten es oft genug anſehen, wie ſie ihren Koͤrper in den juͤngern Jahren geuͤbt ha- ben. Und ohne Zweifel liegen eben ſo wohl Zeichen und Merkmale von der Geſchicklichkeit im Spielen, Tanzen und Fechten, in ihren Fingern, Fuͤßen und Armen, wenn wir hierinn nur Phyſiognomiſten ſeyn koͤnnten, als die Abdruͤcke ihrer Denkarten und Leidenſchaften in ih- rem Geſicht; wenn auch gleich dorten die Zuͤge etwas undeutlicher und unleſerlicher fuͤr uns ſeyn moͤgen, als die letztern.
Es hat ſich gemeiniglich dieſe Abnahme an Beweg- barkeit in dem Koͤrper ſchon zeitiger eingeſtellt, als noch irgend eine Abnahme an den Fertigkeiten der Seele, die den innern Theil der menſchlichen, auch der koͤrperlichen, Fertigkeiten ausmachen, *) verſpuͤret wird. Der Menſch muß es erſt aus dem Gefuͤhl erlernen, daß ſein Koͤrper nicht mehr ſo fort will, wie man ſich in der gemeinen Sprache ausdruͤckt, oder eigentlich, nicht mehr ſo gelenk- ſam und leicht beweglich iſt, als vorher, und als es der Vorſtellung, dem Wollen und Beſtreben der Seele ge- maͤß iſt. Er aͤußert alſo vorher dieſelbigen Beſtrebun- gen zu handeln, und merkt innerlich ſo wenig eine Schwaͤche, daß er im Anfang ſich durch ſeine Reflexion davon uͤberzeugen kann, die Schwaͤche liege nicht an ſei- ner Seele, welche noch nichts vergeſſen noch verlernet hat, ſondern an der Steifigkeit in den Gliedern. Ehe der Alte es gewiß wird, daß ein wahres Unvermoͤgen eingetreten, glaubt er eine Weile, es moͤchten nur zu- faͤllige Hinderniſſe da ſeyn. Er verſucht es ſchaͤrfer zu- zuſehen und aufmerkſamer zuzuhoͤren, wenn ſchon das Auge und Ohr gelitten hat, in der Meinung, es fehle an ſeiner Aufmerkſamkeit, daß die Empfindungen nicht mehr ſo lebhaft und deutlich ſind. Dieß laͤßt ſchließen,
daß
*) Dreyzehnter Verſuch. IX. Erſte Abtheil. 10. 11.
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XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
Man kann auch den ſteifen Alten es oft genug anſehen,
wie ſie ihren Koͤrper in den juͤngern Jahren geuͤbt ha-
ben. Und ohne Zweifel liegen eben ſo wohl Zeichen und
Merkmale von der Geſchicklichkeit im Spielen, Tanzen
und Fechten, in ihren Fingern, Fuͤßen und Armen,
wenn wir hierinn nur Phyſiognomiſten ſeyn koͤnnten, als
die Abdruͤcke ihrer Denkarten und Leidenſchaften in ih-
rem Geſicht; wenn auch gleich dorten die Zuͤge etwas
undeutlicher und unleſerlicher fuͤr uns ſeyn moͤgen, als
die letztern.
Es hat ſich gemeiniglich dieſe Abnahme an Beweg-
barkeit in dem Koͤrper ſchon zeitiger eingeſtellt, als noch
irgend eine Abnahme an den Fertigkeiten der Seele, die
den innern Theil der menſchlichen, auch der koͤrperlichen,
Fertigkeiten ausmachen, *) verſpuͤret wird. Der Menſch
muß es erſt aus dem Gefuͤhl erlernen, daß ſein Koͤrper
nicht mehr ſo fort will, wie man ſich in der gemeinen
Sprache ausdruͤckt, oder eigentlich, nicht mehr ſo gelenk-
ſam und leicht beweglich iſt, als vorher, und als es der
Vorſtellung, dem Wollen und Beſtreben der Seele ge-
maͤß iſt. Er aͤußert alſo vorher dieſelbigen Beſtrebun-
gen zu handeln, und merkt innerlich ſo wenig eine
Schwaͤche, daß er im Anfang ſich durch ſeine Reflexion
davon uͤberzeugen kann, die Schwaͤche liege nicht an ſei-
ner Seele, welche noch nichts vergeſſen noch verlernet
hat, ſondern an der Steifigkeit in den Gliedern. Ehe
der Alte es gewiß wird, daß ein wahres Unvermoͤgen
eingetreten, glaubt er eine Weile, es moͤchten nur zu-
faͤllige Hinderniſſe da ſeyn. Er verſucht es ſchaͤrfer zu-
zuſehen und aufmerkſamer zuzuhoͤren, wenn ſchon das
Auge und Ohr gelitten hat, in der Meinung, es fehle
an ſeiner Aufmerkſamkeit, daß die Empfindungen nicht
mehr ſo lebhaft und deutlich ſind. Dieß laͤßt ſchließen,
daß
*) Dreyzehnter Verſuch. IX. Erſte Abtheil. 10. 11.
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 746. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/776>, abgerufen am 21.11.2024.
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