auf das weitere Fortschreiten weniger bedeuten, aber niemals sind sie ganz gleichgültig. Wenn der Baum schon im Schuß ist, so kommt er auch in einem Boden fort, worinn er im Anfange seines Wachsens erstickt seyn würde. Und dennoch ist ihm niemals die Beschaf- fenheit des Bodens gleichgültig. Jn einigen Fällen ist dieser Einfluß des Aeußern auf das Jnnere auffallend.
Es ist gewiß, daß die Seele zurückbleibet, wo das thierische Leben allzu mühselig ist. Wenn der Mensch alles Bestreben anwenden muß um sich Nahrung zu verschaffen, wie sollte er Zeit haben die höhere Denk- kraft zu üben? Jn der elenden Verfassung der Be- wohner des Feuerlandes sind zwar Bedürfnisse genug, die zur Thätigkeit treiben, aber sie sind zu dringend und zu hinreißend, als daß auch die schwächern sollten bemerkt werden. Der Jäger, der Fischer, der alle Tage darauf sinnen muß, um nicht zu verhungern, kann auf die an- genehmen Eindrücke nicht achten, die aus den schönen, weiten, abwechselnden und erhabenen Aussichten der Natur entstehen, noch sich an dem Gesang der Vögel ergötzen. Die feinere Empfindsamkeit wird also weni- ger entwickelt. Daher auch die Vorstellungskraft nicht, und noch weniger die Denkkraft. Die Erfahrung be- stätigt dieses. Jagende und fischende Völker, die sich nur kümmerlich ernähren, bleiben ungemein an innerer Selbstthätigkeit der Seele, an Empfindsamkeit und an Vernunft zurück. Nur die Körperkräfte werden geübt und entwickelt. Als Shelkirk auf Juan Fernandez Ziegen greifen mußte, um zu essen, erwarb er sich die Geschicklichkeit, wie eine Ziege zu springen und auf Felsen zu klettern; aber er verlor dagegen den größten Theil seiner Sprache und der Vernunft.
Dagegen würde der gänzliche Mangel an körperli- chen Bedürfnissen, oder ein Ueberfluß an Sachen, wo- mit man ihnen abhilft, noch ehe man sie fühlet, viel-
leicht
XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
auf das weitere Fortſchreiten weniger bedeuten, aber niemals ſind ſie ganz gleichguͤltig. Wenn der Baum ſchon im Schuß iſt, ſo kommt er auch in einem Boden fort, worinn er im Anfange ſeines Wachſens erſtickt ſeyn wuͤrde. Und dennoch iſt ihm niemals die Beſchaf- fenheit des Bodens gleichguͤltig. Jn einigen Faͤllen iſt dieſer Einfluß des Aeußern auf das Jnnere auffallend.
Es iſt gewiß, daß die Seele zuruͤckbleibet, wo das thieriſche Leben allzu muͤhſelig iſt. Wenn der Menſch alles Beſtreben anwenden muß um ſich Nahrung zu verſchaffen, wie ſollte er Zeit haben die hoͤhere Denk- kraft zu uͤben? Jn der elenden Verfaſſung der Be- wohner des Feuerlandes ſind zwar Beduͤrfniſſe genug, die zur Thaͤtigkeit treiben, aber ſie ſind zu dringend und zu hinreißend, als daß auch die ſchwaͤchern ſollten bemerkt werden. Der Jaͤger, der Fiſcher, der alle Tage darauf ſinnen muß, um nicht zu verhungern, kann auf die an- genehmen Eindruͤcke nicht achten, die aus den ſchoͤnen, weiten, abwechſelnden und erhabenen Ausſichten der Natur entſtehen, noch ſich an dem Geſang der Voͤgel ergoͤtzen. Die feinere Empfindſamkeit wird alſo weni- ger entwickelt. Daher auch die Vorſtellungskraft nicht, und noch weniger die Denkkraft. Die Erfahrung be- ſtaͤtigt dieſes. Jagende und fiſchende Voͤlker, die ſich nur kuͤmmerlich ernaͤhren, bleiben ungemein an innerer Selbſtthaͤtigkeit der Seele, an Empfindſamkeit und an Vernunft zuruͤck. Nur die Koͤrperkraͤfte werden geuͤbt und entwickelt. Als Shelkirk auf Juan Fernandez Ziegen greifen mußte, um zu eſſen, erwarb er ſich die Geſchicklichkeit, wie eine Ziege zu ſpringen und auf Felſen zu klettern; aber er verlor dagegen den groͤßten Theil ſeiner Sprache und der Vernunft.
Dagegen wuͤrde der gaͤnzliche Mangel an koͤrperli- chen Beduͤrfniſſen, oder ein Ueberfluß an Sachen, wo- mit man ihnen abhilft, noch ehe man ſie fuͤhlet, viel-
leicht
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0728"n="698"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">XIV.</hi> Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt</hi></fw><lb/>
auf das weitere Fortſchreiten weniger bedeuten, aber<lb/>
niemals ſind ſie ganz gleichguͤltig. Wenn der Baum<lb/>ſchon im Schuß iſt, ſo kommt er auch in einem Boden<lb/>
fort, worinn er im Anfange ſeines Wachſens erſtickt<lb/>ſeyn wuͤrde. Und dennoch iſt ihm niemals die Beſchaf-<lb/>
fenheit des Bodens gleichguͤltig. Jn einigen Faͤllen iſt<lb/>
dieſer Einfluß des Aeußern auf das Jnnere auffallend.</p><lb/><p>Es iſt gewiß, daß die Seele zuruͤckbleibet, wo das<lb/>
thieriſche Leben allzu muͤhſelig iſt. Wenn der Menſch<lb/>
alles Beſtreben anwenden muß um ſich Nahrung zu<lb/>
verſchaffen, wie ſollte er Zeit haben die hoͤhere Denk-<lb/>
kraft zu uͤben? Jn der elenden Verfaſſung der Be-<lb/>
wohner des Feuerlandes ſind zwar Beduͤrfniſſe genug,<lb/>
die zur Thaͤtigkeit treiben, aber ſie ſind zu dringend und<lb/>
zu hinreißend, als daß auch die ſchwaͤchern ſollten bemerkt<lb/>
werden. Der Jaͤger, der Fiſcher, der alle Tage darauf<lb/>ſinnen muß, um nicht zu verhungern, kann auf die an-<lb/>
genehmen Eindruͤcke nicht achten, die aus den ſchoͤnen,<lb/>
weiten, abwechſelnden und erhabenen Ausſichten der<lb/>
Natur entſtehen, noch ſich an dem Geſang der Voͤgel<lb/>
ergoͤtzen. Die feinere Empfindſamkeit wird alſo weni-<lb/>
ger entwickelt. Daher auch die Vorſtellungskraft nicht,<lb/>
und noch weniger die Denkkraft. Die Erfahrung be-<lb/>ſtaͤtigt dieſes. Jagende und fiſchende Voͤlker, die ſich<lb/>
nur kuͤmmerlich ernaͤhren, bleiben ungemein an innerer<lb/>
Selbſtthaͤtigkeit der Seele, an Empfindſamkeit und an<lb/>
Vernunft zuruͤck. Nur die Koͤrperkraͤfte werden geuͤbt<lb/>
und entwickelt. Als <hirendition="#fr">Shelkirk</hi> auf Juan Fernandez<lb/>
Ziegen greifen mußte, um zu eſſen, erwarb er ſich die<lb/>
Geſchicklichkeit, wie eine Ziege zu ſpringen und auf<lb/>
Felſen zu klettern; aber er verlor dagegen den groͤßten<lb/>
Theil ſeiner Sprache und der Vernunft.</p><lb/><p>Dagegen wuͤrde der gaͤnzliche Mangel an koͤrperli-<lb/>
chen Beduͤrfniſſen, oder ein Ueberfluß an Sachen, wo-<lb/>
mit man ihnen abhilft, noch ehe man ſie fuͤhlet, viel-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">leicht</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[698/0728]
XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
auf das weitere Fortſchreiten weniger bedeuten, aber
niemals ſind ſie ganz gleichguͤltig. Wenn der Baum
ſchon im Schuß iſt, ſo kommt er auch in einem Boden
fort, worinn er im Anfange ſeines Wachſens erſtickt
ſeyn wuͤrde. Und dennoch iſt ihm niemals die Beſchaf-
fenheit des Bodens gleichguͤltig. Jn einigen Faͤllen iſt
dieſer Einfluß des Aeußern auf das Jnnere auffallend.
Es iſt gewiß, daß die Seele zuruͤckbleibet, wo das
thieriſche Leben allzu muͤhſelig iſt. Wenn der Menſch
alles Beſtreben anwenden muß um ſich Nahrung zu
verſchaffen, wie ſollte er Zeit haben die hoͤhere Denk-
kraft zu uͤben? Jn der elenden Verfaſſung der Be-
wohner des Feuerlandes ſind zwar Beduͤrfniſſe genug,
die zur Thaͤtigkeit treiben, aber ſie ſind zu dringend und
zu hinreißend, als daß auch die ſchwaͤchern ſollten bemerkt
werden. Der Jaͤger, der Fiſcher, der alle Tage darauf
ſinnen muß, um nicht zu verhungern, kann auf die an-
genehmen Eindruͤcke nicht achten, die aus den ſchoͤnen,
weiten, abwechſelnden und erhabenen Ausſichten der
Natur entſtehen, noch ſich an dem Geſang der Voͤgel
ergoͤtzen. Die feinere Empfindſamkeit wird alſo weni-
ger entwickelt. Daher auch die Vorſtellungskraft nicht,
und noch weniger die Denkkraft. Die Erfahrung be-
ſtaͤtigt dieſes. Jagende und fiſchende Voͤlker, die ſich
nur kuͤmmerlich ernaͤhren, bleiben ungemein an innerer
Selbſtthaͤtigkeit der Seele, an Empfindſamkeit und an
Vernunft zuruͤck. Nur die Koͤrperkraͤfte werden geuͤbt
und entwickelt. Als Shelkirk auf Juan Fernandez
Ziegen greifen mußte, um zu eſſen, erwarb er ſich die
Geſchicklichkeit, wie eine Ziege zu ſpringen und auf
Felſen zu klettern; aber er verlor dagegen den groͤßten
Theil ſeiner Sprache und der Vernunft.
Dagegen wuͤrde der gaͤnzliche Mangel an koͤrperli-
chen Beduͤrfniſſen, oder ein Ueberfluß an Sachen, wo-
mit man ihnen abhilft, noch ehe man ſie fuͤhlet, viel-
leicht
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 698. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/728>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.