Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

und Entwickelung des Menschen.
gen. Einige von ihnen sind in unserer Gewalt, andere
nicht; die meisten sind es zum Theil. Um also auf
eine bestimmtere Weise einzusehen, was und wie viel
durch menschlichen Fleiß und durch die willkürlichen
Veranstaltungen zur Erziehung auszurichten sey, ist die
verhältnißmäßige Stärke dieser verschiedenen Ursachen
gegen einander zu erwägen.

1) Erstlich gehören zu diesen äußern Ursachen die
zufälligen Umstände.
Hierunter sind alle Ver-
hältnisse und Beziehungen auf die äußere Welt begrif-
fen, worunter der Mensch sich von der Geburt an be-
findet. Die körperlichen Gegenstände, die Luft, die
Wärme, die Nahrung, von der Milch der Mutter an,
wirken auf die reizbaren Muskeln des Körpers und
auf die empfindlichen Nerven, und erregen Bewegun-
gen, und Empfindungen, und Leidenschaften und Triebe.
Aber auch die moralischen und politischen Beziehungen
des Menschen auf Menschen, und die hievon entsprin-
genden Beziehungen auf die leblosen und beseelten Ob-
jekte, gehören hieher; die rechtlichen Vermögen, Reich-
thum und Armuth, Herrschaft und Knechtschaft, Frey-
heit und Sklaverey und dergleichen. Helvetius hat
den Einfluß aller dieser Umstände auf die Ausbildung
des Menschen die Erziehung des Zufalls genannt.
Jndessen wirket doch der Mensch auf den Menschen
noch auf eine eigene Art, auf die in gleicher Maße
kein anders Wesen in der Welt, weder Thiere noch un-
beseelte Körper, auf ihn wirken können. Der Mensch
ist ein Muster für Menschen zur Nachahmung. Alles
übrige macht nur gewisse physische Eindrücke auf die
Muskeln und Sinnglieder, und rühret dadurch die in-
nere Kraft der Seele; aber der Anblick des Menschen
wirket außer diesem auf das Nachbildungsvermögen
mit einer sich auszeichnenden Stärke. Er bringt eine
Form und Nachbildung hervor, ohne daß weder der,

welcher
O o 4

und Entwickelung des Menſchen.
gen. Einige von ihnen ſind in unſerer Gewalt, andere
nicht; die meiſten ſind es zum Theil. Um alſo auf
eine beſtimmtere Weiſe einzuſehen, was und wie viel
durch menſchlichen Fleiß und durch die willkuͤrlichen
Veranſtaltungen zur Erziehung auszurichten ſey, iſt die
verhaͤltnißmaͤßige Staͤrke dieſer verſchiedenen Urſachen
gegen einander zu erwaͤgen.

1) Erſtlich gehoͤren zu dieſen aͤußern Urſachen die
zufaͤlligen Umſtaͤnde.
Hierunter ſind alle Ver-
haͤltniſſe und Beziehungen auf die aͤußere Welt begrif-
fen, worunter der Menſch ſich von der Geburt an be-
findet. Die koͤrperlichen Gegenſtaͤnde, die Luft, die
Waͤrme, die Nahrung, von der Milch der Mutter an,
wirken auf die reizbaren Muskeln des Koͤrpers und
auf die empfindlichen Nerven, und erregen Bewegun-
gen, und Empfindungen, und Leidenſchaften und Triebe.
Aber auch die moraliſchen und politiſchen Beziehungen
des Menſchen auf Menſchen, und die hievon entſprin-
genden Beziehungen auf die lebloſen und beſeelten Ob-
jekte, gehoͤren hieher; die rechtlichen Vermoͤgen, Reich-
thum und Armuth, Herrſchaft und Knechtſchaft, Frey-
heit und Sklaverey und dergleichen. Helvetius hat
den Einfluß aller dieſer Umſtaͤnde auf die Ausbildung
des Menſchen die Erziehung des Zufalls genannt.
Jndeſſen wirket doch der Menſch auf den Menſchen
noch auf eine eigene Art, auf die in gleicher Maße
kein anders Weſen in der Welt, weder Thiere noch un-
beſeelte Koͤrper, auf ihn wirken koͤnnen. Der Menſch
iſt ein Muſter fuͤr Menſchen zur Nachahmung. Alles
uͤbrige macht nur gewiſſe phyſiſche Eindruͤcke auf die
Muskeln und Sinnglieder, und ruͤhret dadurch die in-
nere Kraft der Seele; aber der Anblick des Menſchen
wirket außer dieſem auf das Nachbildungsvermoͤgen
mit einer ſich auszeichnenden Staͤrke. Er bringt eine
Form und Nachbildung hervor, ohne daß weder der,

welcher
O o 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0613" n="583"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">und Entwickelung des Men&#x017F;chen.</hi></fw><lb/>
gen. Einige von ihnen &#x017F;ind in un&#x017F;erer Gewalt, andere<lb/>
nicht; die mei&#x017F;ten &#x017F;ind es zum Theil. Um al&#x017F;o auf<lb/>
eine be&#x017F;timmtere Wei&#x017F;e einzu&#x017F;ehen, was und wie viel<lb/>
durch men&#x017F;chlichen Fleiß und durch die willku&#x0364;rlichen<lb/>
Veran&#x017F;taltungen zur Erziehung auszurichten &#x017F;ey, i&#x017F;t die<lb/>
verha&#x0364;ltnißma&#x0364;ßige Sta&#x0364;rke die&#x017F;er ver&#x017F;chiedenen Ur&#x017F;achen<lb/>
gegen einander zu erwa&#x0364;gen.</p><lb/>
              <p>1) Er&#x017F;tlich geho&#x0364;ren zu die&#x017F;en a&#x0364;ußern Ur&#x017F;achen <hi rendition="#fr">die<lb/>
zufa&#x0364;lligen Um&#x017F;ta&#x0364;nde.</hi> Hierunter &#x017F;ind alle Ver-<lb/>
ha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e und Beziehungen auf die a&#x0364;ußere Welt begrif-<lb/>
fen, worunter der Men&#x017F;ch &#x017F;ich von der Geburt an be-<lb/>
findet. Die ko&#x0364;rperlichen Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde, die Luft, die<lb/>
Wa&#x0364;rme, die Nahrung, von der Milch der Mutter an,<lb/>
wirken auf die reizbaren Muskeln des Ko&#x0364;rpers und<lb/>
auf die empfindlichen Nerven, und erregen Bewegun-<lb/>
gen, und Empfindungen, und Leiden&#x017F;chaften und Triebe.<lb/>
Aber auch die morali&#x017F;chen und politi&#x017F;chen Beziehungen<lb/>
des Men&#x017F;chen auf Men&#x017F;chen, und die hievon ent&#x017F;prin-<lb/>
genden Beziehungen auf die leblo&#x017F;en und be&#x017F;eelten Ob-<lb/>
jekte, geho&#x0364;ren hieher; die rechtlichen Vermo&#x0364;gen, Reich-<lb/>
thum und Armuth, Herr&#x017F;chaft und Knecht&#x017F;chaft, Frey-<lb/>
heit und Sklaverey und dergleichen. <hi rendition="#fr">Helvetius</hi> hat<lb/>
den Einfluß aller die&#x017F;er Um&#x017F;ta&#x0364;nde auf die Ausbildung<lb/>
des Men&#x017F;chen die <hi rendition="#fr">Erziehung des Zufalls</hi> genannt.<lb/>
Jnde&#x017F;&#x017F;en wirket doch der Men&#x017F;ch auf den Men&#x017F;chen<lb/>
noch auf eine eigene Art, auf die in gleicher Maße<lb/>
kein anders We&#x017F;en in der Welt, weder Thiere noch un-<lb/>
be&#x017F;eelte Ko&#x0364;rper, auf ihn wirken ko&#x0364;nnen. Der Men&#x017F;ch<lb/>
i&#x017F;t ein Mu&#x017F;ter fu&#x0364;r Men&#x017F;chen zur Nachahmung. Alles<lb/>
u&#x0364;brige macht nur gewi&#x017F;&#x017F;e phy&#x017F;i&#x017F;che Eindru&#x0364;cke auf die<lb/>
Muskeln und Sinnglieder, und ru&#x0364;hret dadurch die in-<lb/>
nere Kraft der Seele; aber der Anblick des Men&#x017F;chen<lb/>
wirket außer die&#x017F;em auf das Nachbildungsvermo&#x0364;gen<lb/>
mit einer &#x017F;ich auszeichnenden Sta&#x0364;rke. Er bringt eine<lb/>
Form und Nachbildung hervor, ohne daß weder der,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">O o 4</fw><fw place="bottom" type="catch">welcher</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[583/0613] und Entwickelung des Menſchen. gen. Einige von ihnen ſind in unſerer Gewalt, andere nicht; die meiſten ſind es zum Theil. Um alſo auf eine beſtimmtere Weiſe einzuſehen, was und wie viel durch menſchlichen Fleiß und durch die willkuͤrlichen Veranſtaltungen zur Erziehung auszurichten ſey, iſt die verhaͤltnißmaͤßige Staͤrke dieſer verſchiedenen Urſachen gegen einander zu erwaͤgen. 1) Erſtlich gehoͤren zu dieſen aͤußern Urſachen die zufaͤlligen Umſtaͤnde. Hierunter ſind alle Ver- haͤltniſſe und Beziehungen auf die aͤußere Welt begrif- fen, worunter der Menſch ſich von der Geburt an be- findet. Die koͤrperlichen Gegenſtaͤnde, die Luft, die Waͤrme, die Nahrung, von der Milch der Mutter an, wirken auf die reizbaren Muskeln des Koͤrpers und auf die empfindlichen Nerven, und erregen Bewegun- gen, und Empfindungen, und Leidenſchaften und Triebe. Aber auch die moraliſchen und politiſchen Beziehungen des Menſchen auf Menſchen, und die hievon entſprin- genden Beziehungen auf die lebloſen und beſeelten Ob- jekte, gehoͤren hieher; die rechtlichen Vermoͤgen, Reich- thum und Armuth, Herrſchaft und Knechtſchaft, Frey- heit und Sklaverey und dergleichen. Helvetius hat den Einfluß aller dieſer Umſtaͤnde auf die Ausbildung des Menſchen die Erziehung des Zufalls genannt. Jndeſſen wirket doch der Menſch auf den Menſchen noch auf eine eigene Art, auf die in gleicher Maße kein anders Weſen in der Welt, weder Thiere noch un- beſeelte Koͤrper, auf ihn wirken koͤnnen. Der Menſch iſt ein Muſter fuͤr Menſchen zur Nachahmung. Alles uͤbrige macht nur gewiſſe phyſiſche Eindruͤcke auf die Muskeln und Sinnglieder, und ruͤhret dadurch die in- nere Kraft der Seele; aber der Anblick des Menſchen wirket außer dieſem auf das Nachbildungsvermoͤgen mit einer ſich auszeichnenden Staͤrke. Er bringt eine Form und Nachbildung hervor, ohne daß weder der, welcher O o 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/613
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 583. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/613>, abgerufen am 21.11.2024.