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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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und Entwickelung des Menschen.
gegengesetzten Richtungen. So weit läßt sich die Ent-
wickelung der vorhandenen Formen, und die der Ver-
mehrung ähnlicher Formen, begreiflich machen.

Ferner treffen wir in der Art, wie neue Jdeen-
associationen in der Phantasie entstehen, einen Grund
an, die Entstehung neuer Formen in den Fibern
des Gehirns,
und überhaupt in dem organischen Kör-
per, uns auf eine ähnliche Weise vorzustellen. Die
neuen Associationen und die selbst geschaffenen Jdeen
entstehen durch Trennung und Auflösung, und dann
durch Verbindung und Vermischung. Die erstern
Arbeiten sind nur die Vorbereitungen, indem das Neue
in den Formen eigentlich durch die neuen Verbindun-
gen, Vereinigungen und Vermischungen hervorkommt.

Diese neuen Verbindungen entstehen, so oft zwo
Vorstellungen zugleich gegenwärtig sind, oder zunächst
auf einander folgen und bearbeitet werden. Die gleich-
zeitige Bearbeitung derselben verursacht ihre Verbin-
dung. Man kann, wenn es um ein allgemeines Prin-
cip zu thun ist, alle neuen Jdeenverbindungen sich vor-
stellen, als wenn sie eine Folge von einer Coexistenz der
Jdeen in uns sind. *) Dasselbige Gesetz finden wir
wieder bey den organischen Associationen der Bewegun-
gen in dem Körper. Sinnglieder und Bewegungs-
glieder, die zugleich gebraucht werden, associiren sich,
so daß die Bewegungen in dem einen die in dem andern
wiedererwecken. **) Daraus läßt sich das allgemeine
Gesetz für die Körper, wie für die Seele, folgern: "daß
"Gefäße, die sich zugleich entwickeln und aneinander
"liegen, sich auch miteinander zu verbinden, zu ver-
"mischen, zu vereinigen und gleichsam zu anastomisi-
"ren geneigt werden." Jedes Gefäß dehnet sich für

sich
*) Erster Versuch XV. 2. 8.
**) Dreyzehnter Versuch IX. Erste Abtheilung 10.
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und Entwickelung des Menſchen.
gegengeſetzten Richtungen. So weit laͤßt ſich die Ent-
wickelung der vorhandenen Formen, und die der Ver-
mehrung aͤhnlicher Formen, begreiflich machen.

Ferner treffen wir in der Art, wie neue Jdeen-
aſſociationen in der Phantaſie entſtehen, einen Grund
an, die Entſtehung neuer Formen in den Fibern
des Gehirns,
und uͤberhaupt in dem organiſchen Koͤr-
per, uns auf eine aͤhnliche Weiſe vorzuſtellen. Die
neuen Aſſociationen und die ſelbſt geſchaffenen Jdeen
entſtehen durch Trennung und Aufloͤſung, und dann
durch Verbindung und Vermiſchung. Die erſtern
Arbeiten ſind nur die Vorbereitungen, indem das Neue
in den Formen eigentlich durch die neuen Verbindun-
gen, Vereinigungen und Vermiſchungen hervorkommt.

Dieſe neuen Verbindungen entſtehen, ſo oft zwo
Vorſtellungen zugleich gegenwaͤrtig ſind, oder zunaͤchſt
auf einander folgen und bearbeitet werden. Die gleich-
zeitige Bearbeitung derſelben verurſacht ihre Verbin-
dung. Man kann, wenn es um ein allgemeines Prin-
cip zu thun iſt, alle neuen Jdeenverbindungen ſich vor-
ſtellen, als wenn ſie eine Folge von einer Coexiſtenz der
Jdeen in uns ſind. *) Daſſelbige Geſetz finden wir
wieder bey den organiſchen Aſſociationen der Bewegun-
gen in dem Koͤrper. Sinnglieder und Bewegungs-
glieder, die zugleich gebraucht werden, aſſociiren ſich,
ſo daß die Bewegungen in dem einen die in dem andern
wiedererwecken. **) Daraus laͤßt ſich das allgemeine
Geſetz fuͤr die Koͤrper, wie fuͤr die Seele, folgern: „daß
„Gefaͤße, die ſich zugleich entwickeln und aneinander
„liegen, ſich auch miteinander zu verbinden, zu ver-
„miſchen, zu vereinigen und gleichſam zu anaſtomiſi-
„ren geneigt werden.‟ Jedes Gefaͤß dehnet ſich fuͤr

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*) Erſter Verſuch XV. 2. 8.
**) Dreyzehnter Verſuch IX. Erſte Abtheilung 10.
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[551/0581] und Entwickelung des Menſchen. gegengeſetzten Richtungen. So weit laͤßt ſich die Ent- wickelung der vorhandenen Formen, und die der Ver- mehrung aͤhnlicher Formen, begreiflich machen. Ferner treffen wir in der Art, wie neue Jdeen- aſſociationen in der Phantaſie entſtehen, einen Grund an, die Entſtehung neuer Formen in den Fibern des Gehirns, und uͤberhaupt in dem organiſchen Koͤr- per, uns auf eine aͤhnliche Weiſe vorzuſtellen. Die neuen Aſſociationen und die ſelbſt geſchaffenen Jdeen entſtehen durch Trennung und Aufloͤſung, und dann durch Verbindung und Vermiſchung. Die erſtern Arbeiten ſind nur die Vorbereitungen, indem das Neue in den Formen eigentlich durch die neuen Verbindun- gen, Vereinigungen und Vermiſchungen hervorkommt. Dieſe neuen Verbindungen entſtehen, ſo oft zwo Vorſtellungen zugleich gegenwaͤrtig ſind, oder zunaͤchſt auf einander folgen und bearbeitet werden. Die gleich- zeitige Bearbeitung derſelben verurſacht ihre Verbin- dung. Man kann, wenn es um ein allgemeines Prin- cip zu thun iſt, alle neuen Jdeenverbindungen ſich vor- ſtellen, als wenn ſie eine Folge von einer Coexiſtenz der Jdeen in uns ſind. *) Daſſelbige Geſetz finden wir wieder bey den organiſchen Aſſociationen der Bewegun- gen in dem Koͤrper. Sinnglieder und Bewegungs- glieder, die zugleich gebraucht werden, aſſociiren ſich, ſo daß die Bewegungen in dem einen die in dem andern wiedererwecken. **) Daraus laͤßt ſich das allgemeine Geſetz fuͤr die Koͤrper, wie fuͤr die Seele, folgern: „daß „Gefaͤße, die ſich zugleich entwickeln und aneinander „liegen, ſich auch miteinander zu verbinden, zu ver- „miſchen, zu vereinigen und gleichſam zu anaſtomiſi- „ren geneigt werden.‟ Jedes Gefaͤß dehnet ſich fuͤr ſich *) Erſter Verſuch XV. 2. 8. **) Dreyzehnter Verſuch IX. Erſte Abtheilung 10. M m 4

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 551. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/581>, abgerufen am 22.11.2024.