werden neue Verknüpfungen, die durch jene leidentli- chen Verbindungen der Jdeen in der Phantasie veran- lasset, und durch die selbstthätige Dichtkraft befestiget, auch zum Theil durch die letztere selbst gemacht wer- den.*)
Die leidentlichen Eindrücke reizen die Kraft der Seele zur Thätigkeit; und aus diesen Grundwirkun- gen erwachsen die nähern Anlagen und endlich die Fer- tigkeiten in der Kraft. Eigentlich sind es die leident- lichen Empfindungen für sich allein, welche die Nah- rung unserer Vorstellungen, in Hinsicht ihres Stoffs oder ihrer Materie, hergeben. Dagegen die darauf folgenden Kraftäußerungen, welche durch sie veranlasset werden, dasjenige sind, was die thätigen Vermögen der Seele zum Denken und zum Handeln wachsen macht. Bey der Ausbildung der Seele läßt sich eher gewahrnehmen, daß sie in einer Epigenesis bestehe, die durch die Evolution veranlasset wird, als bey der Aus- bildung des Körpers. Und ohne Zweifel ist dieß die Ursache, warum die Psychologen fast alle Epigenesisten geblieben sind, da man in der Physiologie die Evolu- tion angenommen hat.
Aber wie die Entwickelung des Körpers die Ent- wickelungsart der Seele, wenigstens in etwas, aufklärt: so finden wir hingegen bey der letztern einen Umstand, der, wenn wir ihn analogisch gebrauchen, uns wiederum zur Vergeltung einiges bey der Entwickelung des Kör- pers deutlicher zeigen kann. Die Art, nämlich wie die Seelenvermögen wachsen, ist folgende. Jede Empfin- dung hinterläßt eine Spur von sich, welche eine Leich- tigkeit auf die vorige Art sich nachmals entweder mo- dificiren zu lassen, oder selbst zu modificiren, zur Folge hat, oder auch in dieser Leichtigkeit selbst bestehet. Die
ähnli-
*) Erster Versuch XV. 9.
M m 3
und Entwickelung des Menſchen.
werden neue Verknuͤpfungen, die durch jene leidentli- chen Verbindungen der Jdeen in der Phantaſie veran- laſſet, und durch die ſelbſtthaͤtige Dichtkraft befeſtiget, auch zum Theil durch die letztere ſelbſt gemacht wer- den.*)
Die leidentlichen Eindruͤcke reizen die Kraft der Seele zur Thaͤtigkeit; und aus dieſen Grundwirkun- gen erwachſen die naͤhern Anlagen und endlich die Fer- tigkeiten in der Kraft. Eigentlich ſind es die leident- lichen Empfindungen fuͤr ſich allein, welche die Nah- rung unſerer Vorſtellungen, in Hinſicht ihres Stoffs oder ihrer Materie, hergeben. Dagegen die darauf folgenden Kraftaͤußerungen, welche durch ſie veranlaſſet werden, dasjenige ſind, was die thaͤtigen Vermoͤgen der Seele zum Denken und zum Handeln wachſen macht. Bey der Ausbildung der Seele laͤßt ſich eher gewahrnehmen, daß ſie in einer Epigeneſis beſtehe, die durch die Evolution veranlaſſet wird, als bey der Aus- bildung des Koͤrpers. Und ohne Zweifel iſt dieß die Urſache, warum die Pſychologen faſt alle Epigeneſiſten geblieben ſind, da man in der Phyſiologie die Evolu- tion angenommen hat.
Aber wie die Entwickelung des Koͤrpers die Ent- wickelungsart der Seele, wenigſtens in etwas, aufklaͤrt: ſo finden wir hingegen bey der letztern einen Umſtand, der, wenn wir ihn analogiſch gebrauchen, uns wiederum zur Vergeltung einiges bey der Entwickelung des Koͤr- pers deutlicher zeigen kann. Die Art, naͤmlich wie die Seelenvermoͤgen wachſen, iſt folgende. Jede Empfin- dung hinterlaͤßt eine Spur von ſich, welche eine Leich- tigkeit auf die vorige Art ſich nachmals entweder mo- dificiren zu laſſen, oder ſelbſt zu modificiren, zur Folge hat, oder auch in dieſer Leichtigkeit ſelbſt beſtehet. Die
aͤhnli-
*) Erſter Verſuch XV. 9.
M m 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0579"n="549"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">und Entwickelung des Menſchen.</hi></fw><lb/>
werden neue Verknuͤpfungen, die durch jene <hirendition="#fr">leidentli-<lb/>
chen</hi> Verbindungen der Jdeen in der Phantaſie veran-<lb/>
laſſet, und durch die ſelbſtthaͤtige Dichtkraft befeſtiget,<lb/>
auch zum Theil durch die letztere ſelbſt gemacht wer-<lb/>
den.<noteplace="foot"n="*)">Erſter Verſuch <hirendition="#aq">XV.</hi> 9.</note></p><lb/><p>Die leidentlichen Eindruͤcke reizen die Kraft der<lb/>
Seele zur Thaͤtigkeit; und aus dieſen <hirendition="#fr">Grundwirkun-<lb/>
gen</hi> erwachſen die naͤhern Anlagen und endlich die Fer-<lb/>
tigkeiten in der Kraft. Eigentlich ſind es die leident-<lb/>
lichen Empfindungen fuͤr ſich allein, welche die Nah-<lb/>
rung unſerer Vorſtellungen, in Hinſicht ihres Stoffs<lb/>
oder ihrer Materie, hergeben. Dagegen die darauf<lb/>
folgenden Kraftaͤußerungen, welche durch ſie veranlaſſet<lb/>
werden, dasjenige ſind, was die thaͤtigen Vermoͤgen<lb/>
der Seele zum Denken und zum Handeln wachſen<lb/>
macht. Bey der Ausbildung der Seele laͤßt ſich eher<lb/>
gewahrnehmen, daß ſie in einer Epigeneſis beſtehe, die<lb/>
durch die Evolution veranlaſſet wird, als bey der Aus-<lb/>
bildung des Koͤrpers. Und ohne Zweifel iſt dieß die<lb/>
Urſache, warum die Pſychologen faſt alle Epigeneſiſten<lb/>
geblieben ſind, da man in der Phyſiologie die Evolu-<lb/>
tion angenommen hat.</p><lb/><p>Aber wie die Entwickelung des Koͤrpers die Ent-<lb/>
wickelungsart der Seele, wenigſtens in etwas, aufklaͤrt:<lb/>ſo finden wir hingegen bey der letztern einen Umſtand,<lb/>
der, wenn wir ihn analogiſch gebrauchen, uns wiederum<lb/>
zur Vergeltung einiges bey der Entwickelung des Koͤr-<lb/>
pers deutlicher zeigen kann. Die Art, naͤmlich wie die<lb/>
Seelenvermoͤgen wachſen, iſt folgende. Jede Empfin-<lb/>
dung hinterlaͤßt eine Spur von ſich, welche eine Leich-<lb/>
tigkeit auf die vorige Art ſich nachmals entweder mo-<lb/>
dificiren zu laſſen, oder ſelbſt zu modificiren, zur Folge<lb/>
hat, oder auch in dieſer Leichtigkeit ſelbſt beſtehet. Die<lb/><fwplace="bottom"type="sig">M m 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">aͤhnli-</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[549/0579]
und Entwickelung des Menſchen.
werden neue Verknuͤpfungen, die durch jene leidentli-
chen Verbindungen der Jdeen in der Phantaſie veran-
laſſet, und durch die ſelbſtthaͤtige Dichtkraft befeſtiget,
auch zum Theil durch die letztere ſelbſt gemacht wer-
den. *)
Die leidentlichen Eindruͤcke reizen die Kraft der
Seele zur Thaͤtigkeit; und aus dieſen Grundwirkun-
gen erwachſen die naͤhern Anlagen und endlich die Fer-
tigkeiten in der Kraft. Eigentlich ſind es die leident-
lichen Empfindungen fuͤr ſich allein, welche die Nah-
rung unſerer Vorſtellungen, in Hinſicht ihres Stoffs
oder ihrer Materie, hergeben. Dagegen die darauf
folgenden Kraftaͤußerungen, welche durch ſie veranlaſſet
werden, dasjenige ſind, was die thaͤtigen Vermoͤgen
der Seele zum Denken und zum Handeln wachſen
macht. Bey der Ausbildung der Seele laͤßt ſich eher
gewahrnehmen, daß ſie in einer Epigeneſis beſtehe, die
durch die Evolution veranlaſſet wird, als bey der Aus-
bildung des Koͤrpers. Und ohne Zweifel iſt dieß die
Urſache, warum die Pſychologen faſt alle Epigeneſiſten
geblieben ſind, da man in der Phyſiologie die Evolu-
tion angenommen hat.
Aber wie die Entwickelung des Koͤrpers die Ent-
wickelungsart der Seele, wenigſtens in etwas, aufklaͤrt:
ſo finden wir hingegen bey der letztern einen Umſtand,
der, wenn wir ihn analogiſch gebrauchen, uns wiederum
zur Vergeltung einiges bey der Entwickelung des Koͤr-
pers deutlicher zeigen kann. Die Art, naͤmlich wie die
Seelenvermoͤgen wachſen, iſt folgende. Jede Empfin-
dung hinterlaͤßt eine Spur von ſich, welche eine Leich-
tigkeit auf die vorige Art ſich nachmals entweder mo-
dificiren zu laſſen, oder ſelbſt zu modificiren, zur Folge
hat, oder auch in dieſer Leichtigkeit ſelbſt beſtehet. Die
aͤhnli-
*) Erſter Verſuch XV. 9.
M m 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 549. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/579>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.