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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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und Entwickelung des Menschen.

Man kann noch weiter gehen. Formen die noth-
wendig sind, wenn der Keim bis zur lebendigen Ge-
burt
entwickelt werden soll, sind dennoch entbehrlich,
wenn die Entwickelung noch unvollkommener, und
doch noch eine Art von Entwickelung bleiben soll. Soll-
ten nicht in den sogenannten Mondkälbern Beweise
liegen, daß ein Anfang von Entwickelung vorgehen
könne, obgleich solche bald in Unordnung gerathe und
endlich in eine bloße Apposition, aus der nur ein unor-
ganisches Gewächs entstehet, so weit noch etwas entste-
het, verändert werde? Hieraus folget nun zwar so viel,
daß selbst die zur vollständigen Frucht unentbehrlichen For-
men dieß nur in einer gewissen Beziehung sind, und daß
solche durch den Keim nur in einer gewissen Maße be-
stimmt sind. Einige sind es so stark, daß jene sich ohne
sie gar nicht entwickeln kann; andere sind es so weit, daß
keine lebendige Frucht in den Thieren ohne sie erzeu-
get wird; andere in der Maße, daß ohne sie keine le-
bendige Frucht entsteht, die sich zu erhalten im Stande
ist; noch andere so weit, daß ohne sie keine vollstän-
dige Frucht, mit Zeugungsvermögen begabt, entstehen
kann. Ein großer Theil der Mißgeburten ist unfähig,
sich zu erhalten. Aber die Bastarte bestehen, ohne Ver-
mögen ihr Geschlecht fortzupflanzen. Jndessen kann
man hiebey die letztere Nothwendigkeit, nämlich zu ei-
ner vollständigen Frucht, mit Recht als eine gewisse
Einheit ansehen. Formen, die dazu unentbehrlich sind,
müssen für wesentliche Formen, und ihre Bestimmung
durch die Organisation im Keim als eine wesentliche
und hinreichende Bestimmung derselben betrach-
tet werden. Alsdenn werden im Gegentheil alle
übrige, ohne welche das Thier und die Pflan-
ze ein vollständiges, sich und seine Art fortpflanzen-
des, Wesen seyn kann, unter die zufälligen und aus-
serwesentlichen
Formen gehören, die zwar mehr oder

minder
und Entwickelung des Menſchen.

Man kann noch weiter gehen. Formen die noth-
wendig ſind, wenn der Keim bis zur lebendigen Ge-
burt
entwickelt werden ſoll, ſind dennoch entbehrlich,
wenn die Entwickelung noch unvollkommener, und
doch noch eine Art von Entwickelung bleiben ſoll. Soll-
ten nicht in den ſogenannten Mondkaͤlbern Beweiſe
liegen, daß ein Anfang von Entwickelung vorgehen
koͤnne, obgleich ſolche bald in Unordnung gerathe und
endlich in eine bloße Appoſition, aus der nur ein unor-
ganiſches Gewaͤchs entſtehet, ſo weit noch etwas entſte-
het, veraͤndert werde? Hieraus folget nun zwar ſo viel,
daß ſelbſt die zur vollſtaͤndigen Frucht unentbehrlichen For-
men dieß nur in einer gewiſſen Beziehung ſind, und daß
ſolche durch den Keim nur in einer gewiſſen Maße be-
ſtimmt ſind. Einige ſind es ſo ſtark, daß jene ſich ohne
ſie gar nicht entwickeln kann; andere ſind es ſo weit, daß
keine lebendige Frucht in den Thieren ohne ſie erzeu-
get wird; andere in der Maße, daß ohne ſie keine le-
bendige Frucht entſteht, die ſich zu erhalten im Stande
iſt; noch andere ſo weit, daß ohne ſie keine vollſtaͤn-
dige Frucht, mit Zeugungsvermoͤgen begabt, entſtehen
kann. Ein großer Theil der Mißgeburten iſt unfaͤhig,
ſich zu erhalten. Aber die Baſtarte beſtehen, ohne Ver-
moͤgen ihr Geſchlecht fortzupflanzen. Jndeſſen kann
man hiebey die letztere Nothwendigkeit, naͤmlich zu ei-
ner vollſtaͤndigen Frucht, mit Recht als eine gewiſſe
Einheit anſehen. Formen, die dazu unentbehrlich ſind,
muͤſſen fuͤr weſentliche Formen, und ihre Beſtimmung
durch die Organiſation im Keim als eine weſentliche
und hinreichende Beſtimmung derſelben betrach-
tet werden. Alsdenn werden im Gegentheil alle
uͤbrige, ohne welche das Thier und die Pflan-
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[525/0555] und Entwickelung des Menſchen. Man kann noch weiter gehen. Formen die noth- wendig ſind, wenn der Keim bis zur lebendigen Ge- burt entwickelt werden ſoll, ſind dennoch entbehrlich, wenn die Entwickelung noch unvollkommener, und doch noch eine Art von Entwickelung bleiben ſoll. Soll- ten nicht in den ſogenannten Mondkaͤlbern Beweiſe liegen, daß ein Anfang von Entwickelung vorgehen koͤnne, obgleich ſolche bald in Unordnung gerathe und endlich in eine bloße Appoſition, aus der nur ein unor- ganiſches Gewaͤchs entſtehet, ſo weit noch etwas entſte- het, veraͤndert werde? Hieraus folget nun zwar ſo viel, daß ſelbſt die zur vollſtaͤndigen Frucht unentbehrlichen For- men dieß nur in einer gewiſſen Beziehung ſind, und daß ſolche durch den Keim nur in einer gewiſſen Maße be- ſtimmt ſind. Einige ſind es ſo ſtark, daß jene ſich ohne ſie gar nicht entwickeln kann; andere ſind es ſo weit, daß keine lebendige Frucht in den Thieren ohne ſie erzeu- get wird; andere in der Maße, daß ohne ſie keine le- bendige Frucht entſteht, die ſich zu erhalten im Stande iſt; noch andere ſo weit, daß ohne ſie keine vollſtaͤn- dige Frucht, mit Zeugungsvermoͤgen begabt, entſtehen kann. Ein großer Theil der Mißgeburten iſt unfaͤhig, ſich zu erhalten. Aber die Baſtarte beſtehen, ohne Ver- moͤgen ihr Geſchlecht fortzupflanzen. Jndeſſen kann man hiebey die letztere Nothwendigkeit, naͤmlich zu ei- ner vollſtaͤndigen Frucht, mit Recht als eine gewiſſe Einheit anſehen. Formen, die dazu unentbehrlich ſind, muͤſſen fuͤr weſentliche Formen, und ihre Beſtimmung durch die Organiſation im Keim als eine weſentliche und hinreichende Beſtimmung derſelben betrach- tet werden. Alsdenn werden im Gegentheil alle uͤbrige, ohne welche das Thier und die Pflan- ze ein vollſtaͤndiges, ſich und ſeine Art fortpflanzen- des, Weſen ſeyn kann, unter die zufaͤlligen und auſ- ſerweſentlichen Formen gehoͤren, die zwar mehr oder minder

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 525. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/555>, abgerufen am 21.11.2024.