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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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und Entwickelung des Menschen.
Grund sey, warum die Säfte so und nicht anders ver-
theilet werden.

Hr. Wolf hält die wesentliche Kraft und die Be-
schaffenheit der Säfte für den zureichenden Grund der
Bildung und glaubt, daß auch die erste Anlage zur
Organisation eine Wirkung sey, die davon abhänge,
daß Säfte, die in einem gewissen Grade gerinnbar sind,
von einem Wachstriebe bearbeitet werden, der einen ge-
wissen Grad der Stärke und des Anhaltens besitzet.
Allein hierinn scheinet der forschende Mann sich offenbar
geirret zu haben. Nicht zu sagen, daß selbst die ver-
schiedenen Grade in der wesentlichen Kraft sich von neuem
auf eine gewisse Verbindung der Partikeln in der Mas-
se, der sie beywohnet, beziehen müssen, so bald man sich
einen verständlichen Begriff davon machen will: so ist
auch die angegebene Ursache zu unbestimmt, in Hinsicht
auf ihre Wirkung, die sie hervorbringen soll. Hr.
Wolf *) hält das Problem für auflöslich: "Aus der
"gegebenen Größe oder Stärke der vertheilenden und
"treibenden Kraft in einer Pflanze, und aus dem gege-
"benen Grade der Gerinnbarkeit in den Säften, die
"Figur der Pflanzen zu bestimmen." Allein, genauer
betrachtet, kann keine bestimmte Auflösung auf diese Art
erwartet werden, da die data unzureichend und zu unbe-
stimmt sind. Denn wenn man selbst die von ihm so scharf
beobachteten Beyspiele der Vegetation des weißen Kohls
und der Blätter der Kastanie ansieht: so zeiget sich ja
sogleich bey dem Anfange der Vegetation eine Verschie-
denheit in der Struktur des neuen Anwuchses, in den
Richtungen, welche die aus dem Vegetationspunkte her-
vordringenden Säfte nehmen, und in der Lage, die sie
bekommen, wenn sie gerinnen. Beides setzet nothwen-
dig eine eigene Beschaffenheit und Lage der Partikeln
gegen einander auf der Fläche voraus, wo sie hervor-

dringen.
*) §. 93.

und Entwickelung des Menſchen.
Grund ſey, warum die Saͤfte ſo und nicht anders ver-
theilet werden.

Hr. Wolf haͤlt die weſentliche Kraft und die Be-
ſchaffenheit der Saͤfte fuͤr den zureichenden Grund der
Bildung und glaubt, daß auch die erſte Anlage zur
Organiſation eine Wirkung ſey, die davon abhaͤnge,
daß Saͤfte, die in einem gewiſſen Grade gerinnbar ſind,
von einem Wachstriebe bearbeitet werden, der einen ge-
wiſſen Grad der Staͤrke und des Anhaltens beſitzet.
Allein hierinn ſcheinet der forſchende Mann ſich offenbar
geirret zu haben. Nicht zu ſagen, daß ſelbſt die ver-
ſchiedenen Grade in der weſentlichen Kraft ſich von neuem
auf eine gewiſſe Verbindung der Partikeln in der Maſ-
ſe, der ſie beywohnet, beziehen muͤſſen, ſo bald man ſich
einen verſtaͤndlichen Begriff davon machen will: ſo iſt
auch die angegebene Urſache zu unbeſtimmt, in Hinſicht
auf ihre Wirkung, die ſie hervorbringen ſoll. Hr.
Wolf *) haͤlt das Problem fuͤr aufloͤslich: „Aus der
„gegebenen Groͤße oder Staͤrke der vertheilenden und
„treibenden Kraft in einer Pflanze, und aus dem gege-
„benen Grade der Gerinnbarkeit in den Saͤften, die
„Figur der Pflanzen zu beſtimmen.‟ Allein, genauer
betrachtet, kann keine beſtimmte Aufloͤſung auf dieſe Art
erwartet werden, da die data unzureichend und zu unbe-
ſtimmt ſind. Denn wenn man ſelbſt die von ihm ſo ſcharf
beobachteten Beyſpiele der Vegetation des weißen Kohls
und der Blaͤtter der Kaſtanie anſieht: ſo zeiget ſich ja
ſogleich bey dem Anfange der Vegetation eine Verſchie-
denheit in der Struktur des neuen Anwuchſes, in den
Richtungen, welche die aus dem Vegetationspunkte her-
vordringenden Saͤfte nehmen, und in der Lage, die ſie
bekommen, wenn ſie gerinnen. Beides ſetzet nothwen-
dig eine eigene Beſchaffenheit und Lage der Partikeln
gegen einander auf der Flaͤche voraus, wo ſie hervor-

dringen.
*) §. 93.
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[461/0491] und Entwickelung des Menſchen. Grund ſey, warum die Saͤfte ſo und nicht anders ver- theilet werden. Hr. Wolf haͤlt die weſentliche Kraft und die Be- ſchaffenheit der Saͤfte fuͤr den zureichenden Grund der Bildung und glaubt, daß auch die erſte Anlage zur Organiſation eine Wirkung ſey, die davon abhaͤnge, daß Saͤfte, die in einem gewiſſen Grade gerinnbar ſind, von einem Wachstriebe bearbeitet werden, der einen ge- wiſſen Grad der Staͤrke und des Anhaltens beſitzet. Allein hierinn ſcheinet der forſchende Mann ſich offenbar geirret zu haben. Nicht zu ſagen, daß ſelbſt die ver- ſchiedenen Grade in der weſentlichen Kraft ſich von neuem auf eine gewiſſe Verbindung der Partikeln in der Maſ- ſe, der ſie beywohnet, beziehen muͤſſen, ſo bald man ſich einen verſtaͤndlichen Begriff davon machen will: ſo iſt auch die angegebene Urſache zu unbeſtimmt, in Hinſicht auf ihre Wirkung, die ſie hervorbringen ſoll. Hr. Wolf *) haͤlt das Problem fuͤr aufloͤslich: „Aus der „gegebenen Groͤße oder Staͤrke der vertheilenden und „treibenden Kraft in einer Pflanze, und aus dem gege- „benen Grade der Gerinnbarkeit in den Saͤften, die „Figur der Pflanzen zu beſtimmen.‟ Allein, genauer betrachtet, kann keine beſtimmte Aufloͤſung auf dieſe Art erwartet werden, da die data unzureichend und zu unbe- ſtimmt ſind. Denn wenn man ſelbſt die von ihm ſo ſcharf beobachteten Beyſpiele der Vegetation des weißen Kohls und der Blaͤtter der Kaſtanie anſieht: ſo zeiget ſich ja ſogleich bey dem Anfange der Vegetation eine Verſchie- denheit in der Struktur des neuen Anwuchſes, in den Richtungen, welche die aus dem Vegetationspunkte her- vordringenden Saͤfte nehmen, und in der Lage, die ſie bekommen, wenn ſie gerinnen. Beides ſetzet nothwen- dig eine eigene Beſchaffenheit und Lage der Partikeln gegen einander auf der Flaͤche voraus, wo ſie hervor- dringen. *) §. 93.

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/491>, abgerufen am 21.11.2024.