ket. Dieß ist unläugbar, und wenn auch die Bemer- kung des Herrn Search's*) ohne Einschränkung rich- tig wäre, daß sie niemals sich selbst anders, als nur mittelbar modificire, indem sie außer sich auf das Ge- hirn ihre Kraft äußert, und dann selbst durch eine Reak- tion des Gehirns eine Veränderung in sich aufnimmt. Eine Jdee, die nicht so weit von der gewöhnlichen ab- weichet, als es bey dem ersten Anblick scheinen mag, die ich aber hier nicht untersuche.
Daher vermag die Seele etwas über sich selbst, besitzet Kraft und Vermögen, auf sich selbst zu wirken.
Aber dieß Vermögen, auf sich selbst zu wirken, ist noch nicht das, was Freyheit genennt wird, und was ich hier die Selbstmacht über sich nenne. Wo ihre Thätigkeit als eine Freye Thätigkeit wirket, da muß sie auch unthätig oder auf eine andere Art thätig seyn kön- nen, als sie es ist. Denn wenn sie nicht anders wir- ken kann, als sie wirket, sie mag in und auf sich selbst, oder auf den Körper wirken, so kann sie nicht unthätig seyn, anstatt daß sie thätig ist, und ihre Wirksamkeit nicht in sich selbst zurückhalten, wenn diese hervorgeht, noch sie in eine andere Richtung bringen, als die ist, welche sie nimmt; und so handelt sie nicht mehr frey, als das Wasser, welches aus dem Gefäße herausspringt, an der Stelle, wo ihm eine Oeffnung gemacht ist, in der Richtung und mit der Geschwindigkeit, die ihm durch die Umstände beygebracht wird; nicht freyer, als eine Kugel, welche herunterfällt, wenn der Faden durchschnit- ten wird, an dem sie vorher festgehalten ward. Die Selbstmacht über sich, die positive Kraft, wodurch wir uns in unserer Gewalt haben, wenn wir thätig sind, erfordert ein gleichzeitiges inneres Vermögen oder Fähigkeit, unter denselbigen Umständen das Gegen-
theil
*) Licht der Natur Erst. B. Erst. Th. Kap. 1.
XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit
ket. Dieß iſt unlaͤugbar, und wenn auch die Bemer- kung des Herrn Search’s*) ohne Einſchraͤnkung rich- tig waͤre, daß ſie niemals ſich ſelbſt anders, als nur mittelbar modificire, indem ſie außer ſich auf das Ge- hirn ihre Kraft aͤußert, und dann ſelbſt durch eine Reak- tion des Gehirns eine Veraͤnderung in ſich aufnimmt. Eine Jdee, die nicht ſo weit von der gewoͤhnlichen ab- weichet, als es bey dem erſten Anblick ſcheinen mag, die ich aber hier nicht unterſuche.
Daher vermag die Seele etwas uͤber ſich ſelbſt, beſitzet Kraft und Vermoͤgen, auf ſich ſelbſt zu wirken.
Aber dieß Vermoͤgen, auf ſich ſelbſt zu wirken, iſt noch nicht das, was Freyheit genennt wird, und was ich hier die Selbſtmacht uͤber ſich nenne. Wo ihre Thaͤtigkeit als eine Freye Thaͤtigkeit wirket, da muß ſie auch unthaͤtig oder auf eine andere Art thaͤtig ſeyn koͤn- nen, als ſie es iſt. Denn wenn ſie nicht anders wir- ken kann, als ſie wirket, ſie mag in und auf ſich ſelbſt, oder auf den Koͤrper wirken, ſo kann ſie nicht unthaͤtig ſeyn, anſtatt daß ſie thaͤtig iſt, und ihre Wirkſamkeit nicht in ſich ſelbſt zuruͤckhalten, wenn dieſe hervorgeht, noch ſie in eine andere Richtung bringen, als die iſt, welche ſie nimmt; und ſo handelt ſie nicht mehr frey, als das Waſſer, welches aus dem Gefaͤße herausſpringt, an der Stelle, wo ihm eine Oeffnung gemacht iſt, in der Richtung und mit der Geſchwindigkeit, die ihm durch die Umſtaͤnde beygebracht wird; nicht freyer, als eine Kugel, welche herunterfaͤllt, wenn der Faden durchſchnit- ten wird, an dem ſie vorher feſtgehalten ward. Die Selbſtmacht uͤber ſich, die poſitive Kraft, wodurch wir uns in unſerer Gewalt haben, wenn wir thaͤtig ſind, erfordert ein gleichzeitiges inneres Vermoͤgen oder Faͤhigkeit, unter denſelbigen Umſtaͤnden das Gegen-
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*) Licht der Natur Erſt. B. Erſt. Th. Kap. 1.
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XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit
ket. Dieß iſt unlaͤugbar, und wenn auch die Bemer-
kung des Herrn Search’s *) ohne Einſchraͤnkung rich-
tig waͤre, daß ſie niemals ſich ſelbſt anders, als nur
mittelbar modificire, indem ſie außer ſich auf das Ge-
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Eine Jdee, die nicht ſo weit von der gewoͤhnlichen ab-
weichet, als es bey dem erſten Anblick ſcheinen mag, die
ich aber hier nicht unterſuche.
Daher vermag die Seele etwas uͤber ſich ſelbſt,
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Aber dieß Vermoͤgen, auf ſich ſelbſt zu wirken, iſt
noch nicht das, was Freyheit genennt wird, und was
ich hier die Selbſtmacht uͤber ſich nenne. Wo ihre
Thaͤtigkeit als eine Freye Thaͤtigkeit wirket, da muß ſie
auch unthaͤtig oder auf eine andere Art thaͤtig ſeyn koͤn-
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ken kann, als ſie wirket, ſie mag in und auf ſich ſelbſt,
oder auf den Koͤrper wirken, ſo kann ſie nicht unthaͤtig
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nicht in ſich ſelbſt zuruͤckhalten, wenn dieſe hervorgeht,
noch ſie in eine andere Richtung bringen, als die iſt,
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als das Waſſer, welches aus dem Gefaͤße herausſpringt,
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die Umſtaͤnde beygebracht wird; nicht freyer, als eine
Kugel, welche herunterfaͤllt, wenn der Faden durchſchnit-
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Selbſtmacht uͤber ſich, die poſitive Kraft, wodurch
wir uns in unſerer Gewalt haben, wenn wir thaͤtig ſind,
erfordert ein gleichzeitiges inneres Vermoͤgen oder
Faͤhigkeit, unter denſelbigen Umſtaͤnden das Gegen-
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*) Licht der Natur Erſt. B. Erſt. Th. Kap. 1.
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/36>, abgerufen am 31.01.2025.
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