Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

im Menschen.
halten die Beywirkung der Seele dazu für nothwendig.
Wenn dieß nur dahin erklärt wird, daß der Trieb in
der Seele, der aus der Beängstigung entstehet, wenn
der Umlauf des Bluts gehindert wird, die allgemeine
Ursache sey, welche die organischen Kräfte des Körpers
in Bewegung setzet: so würde dieser Antheil der Seele
nicht hindern, daß die Reihe von Veränderungen, wo-
durch die Brustmuskeln auf einen Eindruck des Geblüts
in Bewegung kommen, nicht eine bloß organische Reihe
seyn könnte, in der die Wirkung von der Ursache der
Struktur des Körpers gemäß bestimmt wird. Durch
jenen allgemeinen Einfluß der Seele in die Körper-
kräfte, wird sie nichts mehr, als eine den Körper be-
lebende Kraft,
dergleichen die vis vegetativa der Al-
ten war. Sie kann insoweit als eine mittelbare Kör-
perkraft angesehen werden, die aber den Wirkungen keine
Form noch Richtung giebt. Auf eine ähnliche Art
läßt sich auch das Saugen der Kinder erklären. Wenn
man aber der Seele noch mehr von diesen Wirkungen
zuschreibet, und sie die organischen Kräfte in eine Rich-
tung bringen soll, die sie sonsten vermöge der Struktur
des Körpers und des vorhergegangenen Eindruckes nicht
genommen haben würden: so giebt man Erklärungen,
wodurch das Athemholen und das Saugen unter die
willkürlichen Bewegungen gesetzet wird.

Der zweete Charakter der organischen Bewegungen,
daß sie nur bloß in Hinsicht der Thätigkeitsarten be-
stimmt sind, ist auch nicht mehr als ein so genanntes
verneinendes Merkmal. Jede körperliche Bewegung
zu einem bestimmten Gegenstande hin, wie das Greifen
nach dem Degen, den Jemand an der Seite trägt,
gehört bey den Menschen insofern zu den willkürlichen
Bewegungen, welche eine Vorstellung dieses Gegen-
standes in der Seele voraussetzen, und die von dieser
Vorstellung entweder wirklich regieret werden, oder doch

im
X 3

im Menſchen.
halten die Beywirkung der Seele dazu fuͤr nothwendig.
Wenn dieß nur dahin erklaͤrt wird, daß der Trieb in
der Seele, der aus der Beaͤngſtigung entſtehet, wenn
der Umlauf des Bluts gehindert wird, die allgemeine
Urſache ſey, welche die organiſchen Kraͤfte des Koͤrpers
in Bewegung ſetzet: ſo wuͤrde dieſer Antheil der Seele
nicht hindern, daß die Reihe von Veraͤnderungen, wo-
durch die Bruſtmuskeln auf einen Eindruck des Gebluͤts
in Bewegung kommen, nicht eine bloß organiſche Reihe
ſeyn koͤnnte, in der die Wirkung von der Urſache der
Struktur des Koͤrpers gemaͤß beſtimmt wird. Durch
jenen allgemeinen Einfluß der Seele in die Koͤrper-
kraͤfte, wird ſie nichts mehr, als eine den Koͤrper be-
lebende Kraft,
dergleichen die vis vegetativa der Al-
ten war. Sie kann inſoweit als eine mittelbare Koͤr-
perkraft angeſehen werden, die aber den Wirkungen keine
Form noch Richtung giebt. Auf eine aͤhnliche Art
laͤßt ſich auch das Saugen der Kinder erklaͤren. Wenn
man aber der Seele noch mehr von dieſen Wirkungen
zuſchreibet, und ſie die organiſchen Kraͤfte in eine Rich-
tung bringen ſoll, die ſie ſonſten vermoͤge der Struktur
des Koͤrpers und des vorhergegangenen Eindruckes nicht
genommen haben wuͤrden: ſo giebt man Erklaͤrungen,
wodurch das Athemholen und das Saugen unter die
willkuͤrlichen Bewegungen geſetzet wird.

Der zweete Charakter der organiſchen Bewegungen,
daß ſie nur bloß in Hinſicht der Thaͤtigkeitsarten be-
ſtimmt ſind, iſt auch nicht mehr als ein ſo genanntes
verneinendes Merkmal. Jede koͤrperliche Bewegung
zu einem beſtimmten Gegenſtande hin, wie das Greifen
nach dem Degen, den Jemand an der Seite traͤgt,
gehoͤrt bey den Menſchen inſofern zu den willkuͤrlichen
Bewegungen, welche eine Vorſtellung dieſes Gegen-
ſtandes in der Seele vorausſetzen, und die von dieſer
Vorſtellung entweder wirklich regieret werden, oder doch

im
X 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0355" n="325"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">im Men&#x017F;chen.</hi></fw><lb/>
halten die Beywirkung der Seele dazu fu&#x0364;r nothwendig.<lb/>
Wenn dieß nur dahin erkla&#x0364;rt wird, daß der Trieb in<lb/>
der Seele, der aus der Bea&#x0364;ng&#x017F;tigung ent&#x017F;tehet, wenn<lb/>
der Umlauf des Bluts gehindert wird, die allgemeine<lb/>
Ur&#x017F;ache &#x017F;ey, welche die organi&#x017F;chen Kra&#x0364;fte des Ko&#x0364;rpers<lb/>
in Bewegung &#x017F;etzet: &#x017F;o wu&#x0364;rde die&#x017F;er Antheil der Seele<lb/>
nicht hindern, daß die Reihe von Vera&#x0364;nderungen, wo-<lb/>
durch die Bru&#x017F;tmuskeln auf einen Eindruck des Geblu&#x0364;ts<lb/>
in Bewegung kommen, nicht eine bloß organi&#x017F;che Reihe<lb/>
&#x017F;eyn ko&#x0364;nnte, in der die Wirkung von der Ur&#x017F;ache der<lb/>
Struktur des Ko&#x0364;rpers gema&#x0364;ß be&#x017F;timmt wird. Durch<lb/>
jenen <hi rendition="#fr">allgemeinen Einfluß</hi> der Seele in die Ko&#x0364;rper-<lb/>
kra&#x0364;fte, wird &#x017F;ie nichts mehr, als eine den Ko&#x0364;rper <hi rendition="#fr">be-<lb/>
lebende Kraft,</hi> dergleichen die <hi rendition="#aq">vis vegetativa</hi> der Al-<lb/>
ten war. Sie kann in&#x017F;oweit als eine mittelbare Ko&#x0364;r-<lb/>
perkraft ange&#x017F;ehen werden, die aber den Wirkungen keine<lb/>
Form noch Richtung giebt. Auf eine a&#x0364;hnliche Art<lb/>
la&#x0364;ßt &#x017F;ich auch das Saugen der Kinder erkla&#x0364;ren. Wenn<lb/>
man aber der Seele noch mehr von die&#x017F;en Wirkungen<lb/>
zu&#x017F;chreibet, und &#x017F;ie die organi&#x017F;chen Kra&#x0364;fte in eine Rich-<lb/>
tung bringen &#x017F;oll, die &#x017F;ie &#x017F;on&#x017F;ten vermo&#x0364;ge der Struktur<lb/>
des Ko&#x0364;rpers und des vorhergegangenen Eindruckes nicht<lb/>
genommen haben wu&#x0364;rden: &#x017F;o giebt man Erkla&#x0364;rungen,<lb/>
wodurch das Athemholen und das Saugen unter die<lb/>
willku&#x0364;rlichen Bewegungen ge&#x017F;etzet wird.</p><lb/>
              <p>Der zweete Charakter der organi&#x017F;chen Bewegungen,<lb/>
daß &#x017F;ie nur bloß in Hin&#x017F;icht der Tha&#x0364;tigkeitsarten be-<lb/>
&#x017F;timmt &#x017F;ind, i&#x017F;t auch nicht mehr als ein &#x017F;o genanntes<lb/><hi rendition="#fr">verneinendes</hi> Merkmal. Jede ko&#x0364;rperliche Bewegung<lb/>
zu einem be&#x017F;timmten Gegen&#x017F;tande hin, wie das Greifen<lb/>
nach dem Degen, den Jemand an der Seite tra&#x0364;gt,<lb/>
geho&#x0364;rt bey den Men&#x017F;chen in&#x017F;ofern zu den <hi rendition="#fr">willku&#x0364;rlichen</hi><lb/>
Bewegungen, welche eine Vor&#x017F;tellung die&#x017F;es Gegen-<lb/>
&#x017F;tandes in der Seele voraus&#x017F;etzen, und die von die&#x017F;er<lb/>
Vor&#x017F;tellung entweder wirklich regieret werden, oder doch<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">X 3</fw><fw place="bottom" type="catch">im</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[325/0355] im Menſchen. halten die Beywirkung der Seele dazu fuͤr nothwendig. Wenn dieß nur dahin erklaͤrt wird, daß der Trieb in der Seele, der aus der Beaͤngſtigung entſtehet, wenn der Umlauf des Bluts gehindert wird, die allgemeine Urſache ſey, welche die organiſchen Kraͤfte des Koͤrpers in Bewegung ſetzet: ſo wuͤrde dieſer Antheil der Seele nicht hindern, daß die Reihe von Veraͤnderungen, wo- durch die Bruſtmuskeln auf einen Eindruck des Gebluͤts in Bewegung kommen, nicht eine bloß organiſche Reihe ſeyn koͤnnte, in der die Wirkung von der Urſache der Struktur des Koͤrpers gemaͤß beſtimmt wird. Durch jenen allgemeinen Einfluß der Seele in die Koͤrper- kraͤfte, wird ſie nichts mehr, als eine den Koͤrper be- lebende Kraft, dergleichen die vis vegetativa der Al- ten war. Sie kann inſoweit als eine mittelbare Koͤr- perkraft angeſehen werden, die aber den Wirkungen keine Form noch Richtung giebt. Auf eine aͤhnliche Art laͤßt ſich auch das Saugen der Kinder erklaͤren. Wenn man aber der Seele noch mehr von dieſen Wirkungen zuſchreibet, und ſie die organiſchen Kraͤfte in eine Rich- tung bringen ſoll, die ſie ſonſten vermoͤge der Struktur des Koͤrpers und des vorhergegangenen Eindruckes nicht genommen haben wuͤrden: ſo giebt man Erklaͤrungen, wodurch das Athemholen und das Saugen unter die willkuͤrlichen Bewegungen geſetzet wird. Der zweete Charakter der organiſchen Bewegungen, daß ſie nur bloß in Hinſicht der Thaͤtigkeitsarten be- ſtimmt ſind, iſt auch nicht mehr als ein ſo genanntes verneinendes Merkmal. Jede koͤrperliche Bewegung zu einem beſtimmten Gegenſtande hin, wie das Greifen nach dem Degen, den Jemand an der Seite traͤgt, gehoͤrt bey den Menſchen inſofern zu den willkuͤrlichen Bewegungen, welche eine Vorſtellung dieſes Gegen- ſtandes in der Seele vorausſetzen, und die von dieſer Vorſtellung entweder wirklich regieret werden, oder doch im X 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/355
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/355>, abgerufen am 17.05.2024.