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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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im Menschen.
beyzubringen, wenn entweder sie selbst, oder die Fiber
schon dazu eingerichtet ist, daß sie ohne eine neue Jm-
pression von außen ihren ehemaligen Zustand leichter an-
nimmt? Jst denn die Fortsetzung der Oscillation in
der Fiber durch eine innere Kraft nicht eben dasselbige
Werk, als die erste Hervorbringung derselben? Einer
Kraft, die das Eine vermag, sollte so gänzlich das
Vermögen zu dem andern fehlen? Kann die Seele aber
eine ehemals vorhandene sinnliche Bewegung durch ihre
eigene Kraft wieder hervorbringen: so besitzet sie ein un-
mittelbares Vermögen zu reproduciren.

Was man aus Beyspielen an den Körpern hierauf
sagen könne, weis ich wohl. Die Schwere in dem
Perpendikel kann die Schwingungen unterhalten, aber
nicht anfangen; es muß das Gewicht zuerst ange-
stoßen, oder durch eine andere Ursache beweget werden,
wenn er einmal in Ruhe ist; und die gespannte Klavier-
saite wird durch ihre elastische Kraft nicht aus ihrer Ru-
he gebracht, aber in ihrer Schwingung unterhalten,
wenn diese ihr einmal beygebracht worden ist. So et-
was ähnliches müßte auch im Gehirn geschehen, wenn
die Seele die Fiberschwingungen zwar nicht anfangen,
aber wohl fortsetzen kann. Allein wenn man diese an-
geführten Beyspiele etwas genauer ansieht, so ist die
Erläuterung, die sie geben, gar nicht zum Vortheil der
bonnetischen Hypothese. Denn was ist es, was in der
That die Schwingungen des Perpentikels und der Sai-
ten zuerst anfängt? Es ist dieselbige Schwere, oder
dieselbige Elasticität, dieselbige Kraft, die sie fortsetzet;
nur daß vorher eine andere Ursache wirken muß, die
den Perpendikel und die Saite aus ihrer ersten Lage
bringe, damit die Schwere oder Elasticität zur Wirk-
samkeit komme. Soll die Aktion der Seele aufs Ge-
hirn nur darinn bestehen, daß sie die Schwungskraft
der Fibern zur Thätigkeit bringet, wie der Druck des

Fingers
S 4

im Menſchen.
beyzubringen, wenn entweder ſie ſelbſt, oder die Fiber
ſchon dazu eingerichtet iſt, daß ſie ohne eine neue Jm-
preſſion von außen ihren ehemaligen Zuſtand leichter an-
nimmt? Jſt denn die Fortſetzung der Oſcillation in
der Fiber durch eine innere Kraft nicht eben daſſelbige
Werk, als die erſte Hervorbringung derſelben? Einer
Kraft, die das Eine vermag, ſollte ſo gaͤnzlich das
Vermoͤgen zu dem andern fehlen? Kann die Seele aber
eine ehemals vorhandene ſinnliche Bewegung durch ihre
eigene Kraft wieder hervorbringen: ſo beſitzet ſie ein un-
mittelbares Vermoͤgen zu reproduciren.

Was man aus Beyſpielen an den Koͤrpern hierauf
ſagen koͤnne, weis ich wohl. Die Schwere in dem
Perpendikel kann die Schwingungen unterhalten, aber
nicht anfangen; es muß das Gewicht zuerſt ange-
ſtoßen, oder durch eine andere Urſache beweget werden,
wenn er einmal in Ruhe iſt; und die geſpannte Klavier-
ſaite wird durch ihre elaſtiſche Kraft nicht aus ihrer Ru-
he gebracht, aber in ihrer Schwingung unterhalten,
wenn dieſe ihr einmal beygebracht worden iſt. So et-
was aͤhnliches muͤßte auch im Gehirn geſchehen, wenn
die Seele die Fiberſchwingungen zwar nicht anfangen,
aber wohl fortſetzen kann. Allein wenn man dieſe an-
gefuͤhrten Beyſpiele etwas genauer anſieht, ſo iſt die
Erlaͤuterung, die ſie geben, gar nicht zum Vortheil der
bonnetiſchen Hypotheſe. Denn was iſt es, was in der
That die Schwingungen des Perpentikels und der Sai-
ten zuerſt anfaͤngt? Es iſt dieſelbige Schwere, oder
dieſelbige Elaſticitaͤt, dieſelbige Kraft, die ſie fortſetzet;
nur daß vorher eine andere Urſache wirken muß, die
den Perpendikel und die Saite aus ihrer erſten Lage
bringe, damit die Schwere oder Elaſticitaͤt zur Wirk-
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hirn nur darinn beſtehen, daß ſie die Schwungskraft
der Fibern zur Thaͤtigkeit bringet, wie der Druck des

Fingers
S 4
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[279/0309] im Menſchen. beyzubringen, wenn entweder ſie ſelbſt, oder die Fiber ſchon dazu eingerichtet iſt, daß ſie ohne eine neue Jm- preſſion von außen ihren ehemaligen Zuſtand leichter an- nimmt? Jſt denn die Fortſetzung der Oſcillation in der Fiber durch eine innere Kraft nicht eben daſſelbige Werk, als die erſte Hervorbringung derſelben? Einer Kraft, die das Eine vermag, ſollte ſo gaͤnzlich das Vermoͤgen zu dem andern fehlen? Kann die Seele aber eine ehemals vorhandene ſinnliche Bewegung durch ihre eigene Kraft wieder hervorbringen: ſo beſitzet ſie ein un- mittelbares Vermoͤgen zu reproduciren. Was man aus Beyſpielen an den Koͤrpern hierauf ſagen koͤnne, weis ich wohl. Die Schwere in dem Perpendikel kann die Schwingungen unterhalten, aber nicht anfangen; es muß das Gewicht zuerſt ange- ſtoßen, oder durch eine andere Urſache beweget werden, wenn er einmal in Ruhe iſt; und die geſpannte Klavier- ſaite wird durch ihre elaſtiſche Kraft nicht aus ihrer Ru- he gebracht, aber in ihrer Schwingung unterhalten, wenn dieſe ihr einmal beygebracht worden iſt. So et- was aͤhnliches muͤßte auch im Gehirn geſchehen, wenn die Seele die Fiberſchwingungen zwar nicht anfangen, aber wohl fortſetzen kann. Allein wenn man dieſe an- gefuͤhrten Beyſpiele etwas genauer anſieht, ſo iſt die Erlaͤuterung, die ſie geben, gar nicht zum Vortheil der bonnetiſchen Hypotheſe. Denn was iſt es, was in der That die Schwingungen des Perpentikels und der Sai- ten zuerſt anfaͤngt? Es iſt dieſelbige Schwere, oder dieſelbige Elaſticitaͤt, dieſelbige Kraft, die ſie fortſetzet; nur daß vorher eine andere Urſache wirken muß, die den Perpendikel und die Saite aus ihrer erſten Lage bringe, damit die Schwere oder Elaſticitaͤt zur Wirk- ſamkeit komme. Soll die Aktion der Seele aufs Ge- hirn nur darinn beſtehen, daß ſie die Schwungskraft der Fibern zur Thaͤtigkeit bringet, wie der Druck des Fingers S 4

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/309>, abgerufen am 23.11.2024.