der Seele gänzlich aufhöret, wenn gleich im Gehirn noch eine Bewegung vorhanden ist?
Dieß würde zum mindesten der Analogie zuwider seyn. So weit uns die Vereinigung der Seele mit dem Körper bekannt ist, scheinet die Seelenveränderung und die sinnliche Gehirnsveränderung unzertrennlich zu seyn. Zwar ist die Jnduktion, worauf diese durch- gängige Harmonie beruhet, an sich noch unvollständig, doch auch so groß, daß da wir ohnedieß keine Gründe haben, Ausnahmen zu vermuthen, die daraus entste- hende Wahrscheinlichkeit bis zu einer moralischen Ge- wißheit gehet. Sollen etwan die Jmpressionen von außen, die wir nicht gewahrwerden, nicht bis zu der Seele durchgedrungen seyn? Es ist, das Wenigste zu sagen, wahrscheinlich, daß sie wirklich bis dahin kom- men, wenn sie gleich nicht so lebhaft sind, daß ihre Ge- genwart erkannt wird, weil die Seele nicht auf sie ge- hörig Acht hat. Aber gesetzt, daß sie nicht bis zur Seele kommen, so ist es auch wahrscheinlich, daß sie nicht bis zu den innern und nächsten Organen dringen, bis zu dem Theil nämlich hin, der als das sensorium com- mune das nächste Werkzeug des Vorstellens ist. So oft dagegen in diesem eine sinnliche Bewegung vorhan- den ist, schwach oder stark, so ist es unwahrscheinlich, daß nicht zugleich auch eine entsprechende, intellektuelle Jdee in der Seele vorhanden seyn sollte. Hr. Bon- net hat selbst diese Harmonie nicht eingeschränkt.
Folget aber nicht hieraus ganz natürlich, daß, wenn die materielle Jdee im Gehirn, so wie sie eingewi- ckelt und unaufgeweckt in dem Gedächtniß ist, in einer wirklichen geschwächten oder in sich zusammen- gezogenen sinnlichen Bewegung der Fibern bestehet, wie der Verfasser des Versuchs der Psychologie, der Vorgänger des Hrn. Bonnets sich vorstellet, auch zugleich mit diesen nachgebliebenen schwachen Gehirns-
bewe-
S 2
im Menſchen.
der Seele gaͤnzlich aufhoͤret, wenn gleich im Gehirn noch eine Bewegung vorhanden iſt?
Dieß wuͤrde zum mindeſten der Analogie zuwider ſeyn. So weit uns die Vereinigung der Seele mit dem Koͤrper bekannt iſt, ſcheinet die Seelenveraͤnderung und die ſinnliche Gehirnsveraͤnderung unzertrennlich zu ſeyn. Zwar iſt die Jnduktion, worauf dieſe durch- gaͤngige Harmonie beruhet, an ſich noch unvollſtaͤndig, doch auch ſo groß, daß da wir ohnedieß keine Gruͤnde haben, Ausnahmen zu vermuthen, die daraus entſte- hende Wahrſcheinlichkeit bis zu einer moraliſchen Ge- wißheit gehet. Sollen etwan die Jmpreſſionen von außen, die wir nicht gewahrwerden, nicht bis zu der Seele durchgedrungen ſeyn? Es iſt, das Wenigſte zu ſagen, wahrſcheinlich, daß ſie wirklich bis dahin kom- men, wenn ſie gleich nicht ſo lebhaft ſind, daß ihre Ge- genwart erkannt wird, weil die Seele nicht auf ſie ge- hoͤrig Acht hat. Aber geſetzt, daß ſie nicht bis zur Seele kommen, ſo iſt es auch wahrſcheinlich, daß ſie nicht bis zu den innern und naͤchſten Organen dringen, bis zu dem Theil naͤmlich hin, der als das ſenſorium com- mune das naͤchſte Werkzeug des Vorſtellens iſt. So oft dagegen in dieſem eine ſinnliche Bewegung vorhan- den iſt, ſchwach oder ſtark, ſo iſt es unwahrſcheinlich, daß nicht zugleich auch eine entſprechende, intellektuelle Jdee in der Seele vorhanden ſeyn ſollte. Hr. Bon- net hat ſelbſt dieſe Harmonie nicht eingeſchraͤnkt.
Folget aber nicht hieraus ganz natuͤrlich, daß, wenn die materielle Jdee im Gehirn, ſo wie ſie eingewi- ckelt und unaufgeweckt in dem Gedaͤchtniß iſt, in einer wirklichen geſchwaͤchten oder in ſich zuſammen- gezogenen ſinnlichen Bewegung der Fibern beſtehet, wie der Verfaſſer des Verſuchs der Pſychologie, der Vorgaͤnger des Hrn. Bonnets ſich vorſtellet, auch zugleich mit dieſen nachgebliebenen ſchwachen Gehirns-
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im Menſchen.
der Seele gaͤnzlich aufhoͤret, wenn gleich im Gehirn
noch eine Bewegung vorhanden iſt?
Dieß wuͤrde zum mindeſten der Analogie zuwider
ſeyn. So weit uns die Vereinigung der Seele mit
dem Koͤrper bekannt iſt, ſcheinet die Seelenveraͤnderung
und die ſinnliche Gehirnsveraͤnderung unzertrennlich zu
ſeyn. Zwar iſt die Jnduktion, worauf dieſe durch-
gaͤngige Harmonie beruhet, an ſich noch unvollſtaͤndig,
doch auch ſo groß, daß da wir ohnedieß keine Gruͤnde
haben, Ausnahmen zu vermuthen, die daraus entſte-
hende Wahrſcheinlichkeit bis zu einer moraliſchen Ge-
wißheit gehet. Sollen etwan die Jmpreſſionen von
außen, die wir nicht gewahrwerden, nicht bis zu der
Seele durchgedrungen ſeyn? Es iſt, das Wenigſte zu
ſagen, wahrſcheinlich, daß ſie wirklich bis dahin kom-
men, wenn ſie gleich nicht ſo lebhaft ſind, daß ihre Ge-
genwart erkannt wird, weil die Seele nicht auf ſie ge-
hoͤrig Acht hat. Aber geſetzt, daß ſie nicht bis zur Seele
kommen, ſo iſt es auch wahrſcheinlich, daß ſie nicht bis
zu den innern und naͤchſten Organen dringen, bis zu
dem Theil naͤmlich hin, der als das ſenſorium com-
mune das naͤchſte Werkzeug des Vorſtellens iſt. So
oft dagegen in dieſem eine ſinnliche Bewegung vorhan-
den iſt, ſchwach oder ſtark, ſo iſt es unwahrſcheinlich,
daß nicht zugleich auch eine entſprechende, intellektuelle
Jdee in der Seele vorhanden ſeyn ſollte. Hr. Bon-
net hat ſelbſt dieſe Harmonie nicht eingeſchraͤnkt.
Folget aber nicht hieraus ganz natuͤrlich, daß, wenn
die materielle Jdee im Gehirn, ſo wie ſie eingewi-
ckelt und unaufgeweckt in dem Gedaͤchtniß iſt, in
einer wirklichen geſchwaͤchten oder in ſich zuſammen-
gezogenen ſinnlichen Bewegung der Fibern beſtehet,
wie der Verfaſſer des Verſuchs der Pſychologie,
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/305>, abgerufen am 23.11.2024.
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