Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

XIII. Versuch. Ueber das Seelenwesen
empfindet, so sey auch wiederum dieß letztere Gefühl
etwas, das in ihr selbst ist, wie es auch nach der Vor-
stellung des Hrn. Bonnets es ist: folget denn, daß sie
nun auch nothwendig ein solches Selbstgefühl haben
müsse, als zum Bewußtwerden, das ist, um diesen
Aktus des Gefühls von andern Aeußerungen auszuken-
nen, erfodert wird? Das meine ich nicht. Denn
wenn man auf das angezogene Beyspiel von dem Spie-
ler wieder zurücksiehet, der von allen seinen Aktionen,
die er vornimmt, wenn er spielet, nichts weiß, als aus
ihren Wirkungen, theils nämlich aus den Gefühlen in
seinen Fingern, theils und vornehmlich aber aus den
Tönen, die er mittelst des Jnstruments hervorbringet:
so deucht mich, es lasse sich eben so gut gedenken, daß
die Seele in ihrem Jnnern mit ihrem Vermögen wir-
ken könne, ohne sich selbst zu fühlen, als der Spieler
wirken kann, ohne etwas von dieser Wirksamkeit zu ver-
nehmen, wenn das Jnstrument keine Töne angiebt,
und er auch der übrigen Gefühle in seinen Fingern be-
raubt seyn würde. Wir kommen am Ende zwar zu
dem obigen Satz hin, daß die Seele sich selbst und ihre
Aktus nicht anders fühle, als nur in den Wirkungen,
die davon in ihren Organen entstehen: aber es folget
daraus nicht, daß sie nicht in ihrem Jnnern ihre Kraft
bestimmen und sich selbst modificiren könne, wenn gleich
außer ihr das gehörige Objekt fehlet, das ihre Wirkun-
gen aufnimmt, auf sie zurück wirket, und alsdenn von
ihr gefühlet wird.

Wollte man dennoch glauben, da die Gegenwart
der Vorstellungen so sehr von dem Organ abhange, so
sey es natürlich, dieses für die Stelle anzusehen, wo sie
sitzen: so würde ich antworten, daß, da Hr. Bonnet
selbst die Gegenwart der Vorstellungen in so weit, daß
sie entweder länger unterhalten werden, oder geschwin-
der wieder zurückfallen, von der Aktion der Seele

abhängig

XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
empfindet, ſo ſey auch wiederum dieß letztere Gefuͤhl
etwas, das in ihr ſelbſt iſt, wie es auch nach der Vor-
ſtellung des Hrn. Bonnets es iſt: folget denn, daß ſie
nun auch nothwendig ein ſolches Selbſtgefuͤhl haben
muͤſſe, als zum Bewußtwerden, das iſt, um dieſen
Aktus des Gefuͤhls von andern Aeußerungen auszuken-
nen, erfodert wird? Das meine ich nicht. Denn
wenn man auf das angezogene Beyſpiel von dem Spie-
ler wieder zuruͤckſiehet, der von allen ſeinen Aktionen,
die er vornimmt, wenn er ſpielet, nichts weiß, als aus
ihren Wirkungen, theils naͤmlich aus den Gefuͤhlen in
ſeinen Fingern, theils und vornehmlich aber aus den
Toͤnen, die er mittelſt des Jnſtruments hervorbringet:
ſo deucht mich, es laſſe ſich eben ſo gut gedenken, daß
die Seele in ihrem Jnnern mit ihrem Vermoͤgen wir-
ken koͤnne, ohne ſich ſelbſt zu fuͤhlen, als der Spieler
wirken kann, ohne etwas von dieſer Wirkſamkeit zu ver-
nehmen, wenn das Jnſtrument keine Toͤne angiebt,
und er auch der uͤbrigen Gefuͤhle in ſeinen Fingern be-
raubt ſeyn wuͤrde. Wir kommen am Ende zwar zu
dem obigen Satz hin, daß die Seele ſich ſelbſt und ihre
Aktus nicht anders fuͤhle, als nur in den Wirkungen,
die davon in ihren Organen entſtehen: aber es folget
daraus nicht, daß ſie nicht in ihrem Jnnern ihre Kraft
beſtimmen und ſich ſelbſt modificiren koͤnne, wenn gleich
außer ihr das gehoͤrige Objekt fehlet, das ihre Wirkun-
gen aufnimmt, auf ſie zuruͤck wirket, und alsdenn von
ihr gefuͤhlet wird.

Wollte man dennoch glauben, da die Gegenwart
der Vorſtellungen ſo ſehr von dem Organ abhange, ſo
ſey es natuͤrlich, dieſes fuͤr die Stelle anzuſehen, wo ſie
ſitzen: ſo wuͤrde ich antworten, daß, da Hr. Bonnet
ſelbſt die Gegenwart der Vorſtellungen in ſo weit, daß
ſie entweder laͤnger unterhalten werden, oder geſchwin-
der wieder zuruͤckfallen, von der Aktion der Seele

abhaͤngig
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0302" n="272"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XIII.</hi> Ver&#x017F;uch. Ueber das Seelenwe&#x017F;en</hi></fw><lb/>
empfindet, &#x017F;o &#x017F;ey auch wiederum dieß letztere Gefu&#x0364;hl<lb/>
etwas, das in ihr &#x017F;elb&#x017F;t i&#x017F;t, wie es auch nach der Vor-<lb/>
&#x017F;tellung des Hrn. <hi rendition="#fr">Bonnets</hi> es i&#x017F;t: folget denn, daß &#x017F;ie<lb/>
nun auch nothwendig ein &#x017F;olches Selb&#x017F;tgefu&#x0364;hl haben<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, als zum Bewußtwerden, das i&#x017F;t, um die&#x017F;en<lb/>
Aktus des Gefu&#x0364;hls von andern Aeußerungen auszuken-<lb/>
nen, erfodert wird? Das meine ich nicht. Denn<lb/>
wenn man auf das angezogene Bey&#x017F;piel von dem Spie-<lb/>
ler wieder zuru&#x0364;ck&#x017F;iehet, der von allen &#x017F;einen Aktionen,<lb/>
die er vornimmt, wenn er &#x017F;pielet, nichts weiß, als aus<lb/>
ihren Wirkungen, theils na&#x0364;mlich aus den Gefu&#x0364;hlen in<lb/>
&#x017F;einen Fingern, theils und vornehmlich aber aus den<lb/>
To&#x0364;nen, die er mittel&#x017F;t des Jn&#x017F;truments hervorbringet:<lb/>
&#x017F;o deucht mich, es la&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ich eben &#x017F;o gut gedenken, daß<lb/>
die Seele in ihrem Jnnern mit ihrem Vermo&#x0364;gen wir-<lb/>
ken ko&#x0364;nne, ohne &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zu fu&#x0364;hlen, als der Spieler<lb/>
wirken kann, ohne etwas von die&#x017F;er Wirk&#x017F;amkeit zu ver-<lb/>
nehmen, wenn das Jn&#x017F;trument keine To&#x0364;ne angiebt,<lb/>
und er auch der u&#x0364;brigen Gefu&#x0364;hle in &#x017F;einen Fingern be-<lb/>
raubt &#x017F;eyn wu&#x0364;rde. Wir kommen am Ende zwar zu<lb/>
dem obigen Satz hin, daß die Seele &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t und ihre<lb/>
Aktus nicht anders fu&#x0364;hle, als nur in den Wirkungen,<lb/>
die davon in ihren Organen ent&#x017F;tehen: aber es folget<lb/>
daraus nicht, daß &#x017F;ie nicht in ihrem Jnnern ihre Kraft<lb/>
be&#x017F;timmen und &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t modificiren ko&#x0364;nne, wenn gleich<lb/>
außer ihr das geho&#x0364;rige Objekt fehlet, das ihre Wirkun-<lb/>
gen aufnimmt, auf &#x017F;ie zuru&#x0364;ck wirket, und alsdenn von<lb/>
ihr gefu&#x0364;hlet wird.</p><lb/>
            <p>Wollte man dennoch glauben, da die Gegenwart<lb/>
der Vor&#x017F;tellungen &#x017F;o &#x017F;ehr von dem Organ abhange, &#x017F;o<lb/>
&#x017F;ey es natu&#x0364;rlich, die&#x017F;es fu&#x0364;r die Stelle anzu&#x017F;ehen, wo &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;itzen: &#x017F;o wu&#x0364;rde ich antworten, daß, da Hr. <hi rendition="#fr">Bonnet</hi><lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t die Gegenwart der Vor&#x017F;tellungen in &#x017F;o weit, daß<lb/>
&#x017F;ie entweder la&#x0364;nger unterhalten werden, oder ge&#x017F;chwin-<lb/>
der wieder zuru&#x0364;ckfallen, von der Aktion der Seele<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">abha&#x0364;ngig</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[272/0302] XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen empfindet, ſo ſey auch wiederum dieß letztere Gefuͤhl etwas, das in ihr ſelbſt iſt, wie es auch nach der Vor- ſtellung des Hrn. Bonnets es iſt: folget denn, daß ſie nun auch nothwendig ein ſolches Selbſtgefuͤhl haben muͤſſe, als zum Bewußtwerden, das iſt, um dieſen Aktus des Gefuͤhls von andern Aeußerungen auszuken- nen, erfodert wird? Das meine ich nicht. Denn wenn man auf das angezogene Beyſpiel von dem Spie- ler wieder zuruͤckſiehet, der von allen ſeinen Aktionen, die er vornimmt, wenn er ſpielet, nichts weiß, als aus ihren Wirkungen, theils naͤmlich aus den Gefuͤhlen in ſeinen Fingern, theils und vornehmlich aber aus den Toͤnen, die er mittelſt des Jnſtruments hervorbringet: ſo deucht mich, es laſſe ſich eben ſo gut gedenken, daß die Seele in ihrem Jnnern mit ihrem Vermoͤgen wir- ken koͤnne, ohne ſich ſelbſt zu fuͤhlen, als der Spieler wirken kann, ohne etwas von dieſer Wirkſamkeit zu ver- nehmen, wenn das Jnſtrument keine Toͤne angiebt, und er auch der uͤbrigen Gefuͤhle in ſeinen Fingern be- raubt ſeyn wuͤrde. Wir kommen am Ende zwar zu dem obigen Satz hin, daß die Seele ſich ſelbſt und ihre Aktus nicht anders fuͤhle, als nur in den Wirkungen, die davon in ihren Organen entſtehen: aber es folget daraus nicht, daß ſie nicht in ihrem Jnnern ihre Kraft beſtimmen und ſich ſelbſt modificiren koͤnne, wenn gleich außer ihr das gehoͤrige Objekt fehlet, das ihre Wirkun- gen aufnimmt, auf ſie zuruͤck wirket, und alsdenn von ihr gefuͤhlet wird. Wollte man dennoch glauben, da die Gegenwart der Vorſtellungen ſo ſehr von dem Organ abhange, ſo ſey es natuͤrlich, dieſes fuͤr die Stelle anzuſehen, wo ſie ſitzen: ſo wuͤrde ich antworten, daß, da Hr. Bonnet ſelbſt die Gegenwart der Vorſtellungen in ſo weit, daß ſie entweder laͤnger unterhalten werden, oder geſchwin- der wieder zuruͤckfallen, von der Aktion der Seele abhaͤngig

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/302
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/302>, abgerufen am 19.05.2024.