Denn nun ist die Frage: wie weit sich die psychologi- schen Erfahrungen auf Bonnetisch erklären lassen? das ist, ob dieß System, als Hypothese betrachtet, den großen innern Vorzug vor andern besitze, den ihm schon so viele als unbezweifelt zuerkennen? ob es nämlich leichter, faßlicher, vollständiger erkläre, als die gewöhn- liche Meinung von dem Sitz der Vorstellungen in der Seele?
Von Einer Seite betrachtet scheinet es so zu seyn. Die Abhängigkeit der Seelenäußerungen von dem Kör- per, und von Ursachen, die auf den Körper wirken, und die sich darauf beziehende Fakta; der Verlust des Gedächtnisses durch Krankheiten und Alter; die Schwä- chung und Verstärkung der Seelenkraft und der Selbst- thätigkeit, welche die Veränderungen in dem Körper nach sich ziehen, so gar die in den äußern Theilen vor- gehen; und überhaupt dasjenige, was oben bey der er- sten Hypothese Schwierigkeiten verursachte: findet hier in dieser zwoten ganz leicht seine Gründe und Ursachen. Hat die Seele, als eine an sich unbestimmte und nur die sinnlichen Bewegungen des Körpers fühlende und dann in das Gehirn wirkende Kraft, gar keine Vorstel- lungen mehr, wenn sie an die Gegenstände nicht geden- ket; ist die Wiederhervorziehung der Jdeen nicht ihr Werk: was folget natürlicher, als daß sie aufhöre zu fühlen, zu denken und zu handeln, sobald das Gehirn außer Stand gesetzet ist, ihr die Objekte ihrer Thätig- keit vorzuhalten? was natürlicher, als daß alle ihre Jdeen und Gedanken dahin sind, wenn entweder ein langer Nichtgebrauch der Fiber, oder eine körperliche Ursache ihr ihre Leichtigkeiten benommen hat, auf die erfoderliche Art beweget zu werden? Denn wenn die Spuren der Empfindungen in dem Organ verloschen sind, so kann die Seele es auch nicht wissen, daß sie solche jemals gehabt habe, da sie nicht das geringste
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im Menſchen.
Denn nun iſt die Frage: wie weit ſich die pſychologi- ſchen Erfahrungen auf Bonnetiſch erklaͤren laſſen? das iſt, ob dieß Syſtem, als Hypotheſe betrachtet, den großen innern Vorzug vor andern beſitze, den ihm ſchon ſo viele als unbezweifelt zuerkennen? ob es naͤmlich leichter, faßlicher, vollſtaͤndiger erklaͤre, als die gewoͤhn- liche Meinung von dem Sitz der Vorſtellungen in der Seele?
Von Einer Seite betrachtet ſcheinet es ſo zu ſeyn. Die Abhaͤngigkeit der Seelenaͤußerungen von dem Koͤr- per, und von Urſachen, die auf den Koͤrper wirken, und die ſich darauf beziehende Fakta; der Verluſt des Gedaͤchtniſſes durch Krankheiten und Alter; die Schwaͤ- chung und Verſtaͤrkung der Seelenkraft und der Selbſt- thaͤtigkeit, welche die Veraͤnderungen in dem Koͤrper nach ſich ziehen, ſo gar die in den aͤußern Theilen vor- gehen; und uͤberhaupt dasjenige, was oben bey der er- ſten Hypotheſe Schwierigkeiten verurſachte: findet hier in dieſer zwoten ganz leicht ſeine Gruͤnde und Urſachen. Hat die Seele, als eine an ſich unbeſtimmte und nur die ſinnlichen Bewegungen des Koͤrpers fuͤhlende und dann in das Gehirn wirkende Kraft, gar keine Vorſtel- lungen mehr, wenn ſie an die Gegenſtaͤnde nicht geden- ket; iſt die Wiederhervorziehung der Jdeen nicht ihr Werk: was folget natuͤrlicher, als daß ſie aufhoͤre zu fuͤhlen, zu denken und zu handeln, ſobald das Gehirn außer Stand geſetzet iſt, ihr die Objekte ihrer Thaͤtig- keit vorzuhalten? was natuͤrlicher, als daß alle ihre Jdeen und Gedanken dahin ſind, wenn entweder ein langer Nichtgebrauch der Fiber, oder eine koͤrperliche Urſache ihr ihre Leichtigkeiten benommen hat, auf die erfoderliche Art beweget zu werden? Denn wenn die Spuren der Empfindungen in dem Organ verloſchen ſind, ſo kann die Seele es auch nicht wiſſen, daß ſie ſolche jemals gehabt habe, da ſie nicht das geringſte
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Denn nun iſt die Frage: wie weit ſich die pſychologi-
ſchen Erfahrungen auf Bonnetiſch erklaͤren laſſen? das
iſt, ob dieß Syſtem, als Hypotheſe betrachtet, den
großen innern Vorzug vor andern beſitze, den ihm ſchon
ſo viele als unbezweifelt zuerkennen? ob es naͤmlich
leichter, faßlicher, vollſtaͤndiger erklaͤre, als die gewoͤhn-
liche Meinung von dem Sitz der Vorſtellungen in der
Seele?
Von Einer Seite betrachtet ſcheinet es ſo zu ſeyn.
Die Abhaͤngigkeit der Seelenaͤußerungen von dem Koͤr-
per, und von Urſachen, die auf den Koͤrper wirken,
und die ſich darauf beziehende Fakta; der Verluſt des
Gedaͤchtniſſes durch Krankheiten und Alter; die Schwaͤ-
chung und Verſtaͤrkung der Seelenkraft und der Selbſt-
thaͤtigkeit, welche die Veraͤnderungen in dem Koͤrper
nach ſich ziehen, ſo gar die in den aͤußern Theilen vor-
gehen; und uͤberhaupt dasjenige, was oben bey der er-
ſten Hypotheſe Schwierigkeiten verurſachte: findet hier
in dieſer zwoten ganz leicht ſeine Gruͤnde und Urſachen.
Hat die Seele, als eine an ſich unbeſtimmte und nur
die ſinnlichen Bewegungen des Koͤrpers fuͤhlende und
dann in das Gehirn wirkende Kraft, gar keine Vorſtel-
lungen mehr, wenn ſie an die Gegenſtaͤnde nicht geden-
ket; iſt die Wiederhervorziehung der Jdeen nicht ihr
Werk: was folget natuͤrlicher, als daß ſie aufhoͤre zu
fuͤhlen, zu denken und zu handeln, ſobald das Gehirn
außer Stand geſetzet iſt, ihr die Objekte ihrer Thaͤtig-
keit vorzuhalten? was natuͤrlicher, als daß alle ihre
Jdeen und Gedanken dahin ſind, wenn entweder ein
langer Nichtgebrauch der Fiber, oder eine koͤrperliche
Urſache ihr ihre Leichtigkeiten benommen hat, auf die
erfoderliche Art beweget zu werden? Denn wenn die
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/293>, abgerufen am 21.11.2024.
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