gehen. Die Bewegungen in dem Körper, die von dem Wein, von der Hitze, oder von andern Ursachen entstehen, veranlassen Empfindungen in der Seele, weil sie im Gehirn einen sinnlichen Eindruck machen, welcher zu solchen Empfindungen gehöret. Aber die Seele, wenn sie einmal auf diese Empfindungen gebracht ist, über- läßt sich dem Gesetz der Association. Der Wein, der des Menschen Herz erfreuet, erreget zunächst ein Ge- fühl des Wohlseyns. Dieß Gefühl giebt der Seele den Ton in ihren Kraftäußerungen und Phantasien; und es werden Jdeen erwecket, die sich auf diesen Zu- stand beziehen, schöne Aussichten, Hoffnungen, Freu- den, nach dem Gesetz der Association; und diese Jdeen in der Seele bringen ihre zugehörigen Gehirnsbeschaf- fenheiten hervor. Jn andern Leidenschaften und in der Raserey ist die Reihe von Vorstellungen anders, und ihre Folgen sind anders; das Spiel in der Seele ist anders, und folglich auch die Reihe der Gehirnstöne. Allein in allen diesen Fällen ist die Seele der Spieler; nur daß sie durch einen oder den andern Ton, den eine fremde Ursache hervorbrachte, zuerst in den Schwung gesetzt worden ist, bey dem sie oftmals aus ihrer Fas- sung gesetzet wird.
Ueberhaupt wenn es nur auf das Vertheidigen hier ankäme, wenn sich voraussetzen ließe, die Hypothese sey mehr als eine Hypothese, entweder in Faktis völ- lig gegründet, oder doch wegen der Menge und Wich- tigkeit der Anzeigen, die für sie sind, überwiegend wahr- scheinlich in Vergleichung mit andern, die man ihr zur Seite setzen kann; wenn sich dieses schon annehmen ließe, und es also nur darum zu thun wäre, daß man zeigte, es könnten die ihr entgegengestellten Schwierig- keiten gehoben werden, ohne daß sie schlechthin dadurch umgestoßen werde: so ließe sich wohl Rath schaffen. Möchten dann gleich manche Erfahrungen leichter, ein-
facher
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im Menſchen.
gehen. Die Bewegungen in dem Koͤrper, die von dem Wein, von der Hitze, oder von andern Urſachen entſtehen, veranlaſſen Empfindungen in der Seele, weil ſie im Gehirn einen ſinnlichen Eindruck machen, welcher zu ſolchen Empfindungen gehoͤret. Aber die Seele, wenn ſie einmal auf dieſe Empfindungen gebracht iſt, uͤber- laͤßt ſich dem Geſetz der Aſſociation. Der Wein, der des Menſchen Herz erfreuet, erreget zunaͤchſt ein Ge- fuͤhl des Wohlſeyns. Dieß Gefuͤhl giebt der Seele den Ton in ihren Kraftaͤußerungen und Phantaſien; und es werden Jdeen erwecket, die ſich auf dieſen Zu- ſtand beziehen, ſchoͤne Ausſichten, Hoffnungen, Freu- den, nach dem Geſetz der Aſſociation; und dieſe Jdeen in der Seele bringen ihre zugehoͤrigen Gehirnsbeſchaf- fenheiten hervor. Jn andern Leidenſchaften und in der Raſerey iſt die Reihe von Vorſtellungen anders, und ihre Folgen ſind anders; das Spiel in der Seele iſt anders, und folglich auch die Reihe der Gehirnstoͤne. Allein in allen dieſen Faͤllen iſt die Seele der Spieler; nur daß ſie durch einen oder den andern Ton, den eine fremde Urſache hervorbrachte, zuerſt in den Schwung geſetzt worden iſt, bey dem ſie oftmals aus ihrer Faſ- ſung geſetzet wird.
Ueberhaupt wenn es nur auf das Vertheidigen hier ankaͤme, wenn ſich vorausſetzen ließe, die Hypotheſe ſey mehr als eine Hypotheſe, entweder in Faktis voͤl- lig gegruͤndet, oder doch wegen der Menge und Wich- tigkeit der Anzeigen, die fuͤr ſie ſind, uͤberwiegend wahr- ſcheinlich in Vergleichung mit andern, die man ihr zur Seite ſetzen kann; wenn ſich dieſes ſchon annehmen ließe, und es alſo nur darum zu thun waͤre, daß man zeigte, es koͤnnten die ihr entgegengeſtellten Schwierig- keiten gehoben werden, ohne daß ſie ſchlechthin dadurch umgeſtoßen werde: ſo ließe ſich wohl Rath ſchaffen. Moͤchten dann gleich manche Erfahrungen leichter, ein-
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im Menſchen.
gehen. Die Bewegungen in dem Koͤrper, die von
dem Wein, von der Hitze, oder von andern Urſachen
entſtehen, veranlaſſen Empfindungen in der Seele, weil
ſie im Gehirn einen ſinnlichen Eindruck machen, welcher
zu ſolchen Empfindungen gehoͤret. Aber die Seele,
wenn ſie einmal auf dieſe Empfindungen gebracht iſt, uͤber-
laͤßt ſich dem Geſetz der Aſſociation. Der Wein, der
des Menſchen Herz erfreuet, erreget zunaͤchſt ein Ge-
fuͤhl des Wohlſeyns. Dieß Gefuͤhl giebt der Seele
den Ton in ihren Kraftaͤußerungen und Phantaſien;
und es werden Jdeen erwecket, die ſich auf dieſen Zu-
ſtand beziehen, ſchoͤne Ausſichten, Hoffnungen, Freu-
den, nach dem Geſetz der Aſſociation; und dieſe Jdeen
in der Seele bringen ihre zugehoͤrigen Gehirnsbeſchaf-
fenheiten hervor. Jn andern Leidenſchaften und in der
Raſerey iſt die Reihe von Vorſtellungen anders, und
ihre Folgen ſind anders; das Spiel in der Seele iſt
anders, und folglich auch die Reihe der Gehirnstoͤne.
Allein in allen dieſen Faͤllen iſt die Seele der Spieler;
nur daß ſie durch einen oder den andern Ton, den eine
fremde Urſache hervorbrachte, zuerſt in den Schwung
geſetzt worden iſt, bey dem ſie oftmals aus ihrer Faſ-
ſung geſetzet wird.
Ueberhaupt wenn es nur auf das Vertheidigen hier
ankaͤme, wenn ſich vorausſetzen ließe, die Hypotheſe
ſey mehr als eine Hypotheſe, entweder in Faktis voͤl-
lig gegruͤndet, oder doch wegen der Menge und Wich-
tigkeit der Anzeigen, die fuͤr ſie ſind, uͤberwiegend wahr-
ſcheinlich in Vergleichung mit andern, die man ihr zur
Seite ſetzen kann; wenn ſich dieſes ſchon annehmen
ließe, und es alſo nur darum zu thun waͤre, daß man
zeigte, es koͤnnten die ihr entgegengeſtellten Schwierig-
keiten gehoben werden, ohne daß ſie ſchlechthin dadurch
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/259>, abgerufen am 24.11.2024.
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