Wir wollen hiemit auch dieß verbinden, daß nur allein die Seele eine psychologische Reproduktionskraft besitze. Sie soll es seyn, welche ihre gehabte Vorstel- lungen aus sich wiederum erwecket, die alsdenn in ihr eigentlich nur Wiedervorstellungen sind. Die Bewe- gungen im Gehirn, welche zu ihnen gehören, sind je- desmal neue Bewegungen, obgleich Wiederholungen anderer vorhergegangenen, denen sie ähnlich sind. Man lasse zum zweytenmal einen Stein auf der nämlichen Stelle ins Wasser fallen, wenn die Kreise, die der erste machte, nicht mehr sichtbar sind; so werden ähn- liche Kreise entstehen; aber es sind neue Kreise, die eben so von dem zweeten fallenden Stein entstehen, als die erstern, und keine Beziehung auf jene haben, welche vorhergegangen sind.
Die Seele reproducirt die Jdeen nach dem Gesetz der Association: theils nach der Verbindung, die sie schon in dem Gedächtniß haben, theils nach der Aehn- lichkeit unter sich, und mit dem gegenwärtigen Zustand der Seele. Hiebey hat die Seele sich nicht immer in ihrer Gewalt. Denn dieß Gesetz ist ein Gesetz ihrer Natur, von dem sie nicht anders abgehen kann, als in so ferne sie selbst ihren eigenen Zustand zu verändern im Stande ist. Heget sie also Jdeen wider ihren Willen, oder fällt sie auf sie mit Unmuth alle Augenblicke zurück; ist sie von ihnen bezaubert, wie ein Kaninchen von ei- ner Klapperschlange, das sich entfernen will, auch sich wirklich etwas entfernet, aber doch gleich wieder zurück- kehret und, indem es unverwandt dem Verschlinger in die funkelnden Augen siehet, sich ihm immer mehr nä- hert, und endlich zur Beute überläßt; wenn so etwas ähnliches dem Liebhaber mit der Vorstellung von seiner Geliebten begegnet, und jedem andern mit seinem Steckenpferde: so folget nicht, daß die Seele von dem Strome des Gehirns getrieben würde; es folget nur,
daß
IITheil. P
im Menſchen.
Wir wollen hiemit auch dieß verbinden, daß nur allein die Seele eine pſychologiſche Reproduktionskraft beſitze. Sie ſoll es ſeyn, welche ihre gehabte Vorſtel- lungen aus ſich wiederum erwecket, die alsdenn in ihr eigentlich nur Wiedervorſtellungen ſind. Die Bewe- gungen im Gehirn, welche zu ihnen gehoͤren, ſind je- desmal neue Bewegungen, obgleich Wiederholungen anderer vorhergegangenen, denen ſie aͤhnlich ſind. Man laſſe zum zweytenmal einen Stein auf der naͤmlichen Stelle ins Waſſer fallen, wenn die Kreiſe, die der erſte machte, nicht mehr ſichtbar ſind; ſo werden aͤhn- liche Kreiſe entſtehen; aber es ſind neue Kreiſe, die eben ſo von dem zweeten fallenden Stein entſtehen, als die erſtern, und keine Beziehung auf jene haben, welche vorhergegangen ſind.
Die Seele reproducirt die Jdeen nach dem Geſetz der Aſſociation: theils nach der Verbindung, die ſie ſchon in dem Gedaͤchtniß haben, theils nach der Aehn- lichkeit unter ſich, und mit dem gegenwaͤrtigen Zuſtand der Seele. Hiebey hat die Seele ſich nicht immer in ihrer Gewalt. Denn dieß Geſetz iſt ein Geſetz ihrer Natur, von dem ſie nicht anders abgehen kann, als in ſo ferne ſie ſelbſt ihren eigenen Zuſtand zu veraͤndern im Stande iſt. Heget ſie alſo Jdeen wider ihren Willen, oder faͤllt ſie auf ſie mit Unmuth alle Augenblicke zuruͤck; iſt ſie von ihnen bezaubert, wie ein Kaninchen von ei- ner Klapperſchlange, das ſich entfernen will, auch ſich wirklich etwas entfernet, aber doch gleich wieder zuruͤck- kehret und, indem es unverwandt dem Verſchlinger in die funkelnden Augen ſiehet, ſich ihm immer mehr naͤ- hert, und endlich zur Beute uͤberlaͤßt; wenn ſo etwas aͤhnliches dem Liebhaber mit der Vorſtellung von ſeiner Geliebten begegnet, und jedem andern mit ſeinem Steckenpferde: ſo folget nicht, daß die Seele von dem Strome des Gehirns getrieben wuͤrde; es folget nur,
daß
IITheil. P
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0255"n="225"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">im Menſchen.</hi></fw><lb/><p>Wir wollen hiemit auch dieß verbinden, daß nur<lb/>
allein die Seele eine pſychologiſche Reproduktionskraft<lb/>
beſitze. Sie ſoll es ſeyn, welche ihre gehabte Vorſtel-<lb/>
lungen aus ſich wiederum erwecket, die alsdenn in ihr<lb/>
eigentlich nur Wiedervorſtellungen ſind. Die Bewe-<lb/>
gungen im Gehirn, welche zu ihnen gehoͤren, ſind je-<lb/>
desmal neue Bewegungen, obgleich Wiederholungen<lb/>
anderer vorhergegangenen, denen ſie aͤhnlich ſind. Man<lb/>
laſſe zum zweytenmal einen Stein auf der naͤmlichen<lb/>
Stelle ins Waſſer fallen, wenn die Kreiſe, die der<lb/>
erſte machte, nicht mehr ſichtbar ſind; ſo werden aͤhn-<lb/>
liche Kreiſe entſtehen; aber es ſind neue Kreiſe, die<lb/>
eben ſo von dem zweeten fallenden Stein entſtehen, als<lb/>
die erſtern, und keine Beziehung auf jene haben, welche<lb/>
vorhergegangen ſind.</p><lb/><p>Die Seele reproducirt die Jdeen nach dem Geſetz<lb/>
der Aſſociation: theils nach der Verbindung, die ſie<lb/>ſchon in dem Gedaͤchtniß haben, theils nach der Aehn-<lb/>
lichkeit unter ſich, und mit dem gegenwaͤrtigen Zuſtand<lb/>
der Seele. Hiebey hat die Seele ſich nicht immer in<lb/>
ihrer Gewalt. Denn dieß Geſetz iſt ein Geſetz ihrer<lb/>
Natur, von dem ſie nicht anders abgehen kann, als in<lb/>ſo ferne ſie ſelbſt ihren eigenen Zuſtand zu veraͤndern im<lb/>
Stande iſt. Heget ſie alſo Jdeen wider ihren Willen,<lb/>
oder faͤllt ſie auf ſie mit Unmuth alle Augenblicke zuruͤck;<lb/>
iſt ſie von ihnen bezaubert, wie ein Kaninchen von ei-<lb/>
ner Klapperſchlange, das ſich entfernen will, auch ſich<lb/>
wirklich etwas entfernet, aber doch gleich wieder zuruͤck-<lb/>
kehret und, indem es unverwandt dem Verſchlinger in<lb/>
die funkelnden Augen ſiehet, ſich ihm immer mehr naͤ-<lb/>
hert, und endlich zur Beute uͤberlaͤßt; wenn ſo etwas<lb/>
aͤhnliches dem Liebhaber mit der Vorſtellung von ſeiner<lb/>
Geliebten begegnet, und jedem andern mit ſeinem<lb/>
Steckenpferde: ſo folget nicht, daß die Seele von dem<lb/>
Strome des Gehirns getrieben wuͤrde; es folget nur,<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#aq">II</hi><hirendition="#fr">Theil.</hi> P</fw><fwplace="bottom"type="catch">daß</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[225/0255]
im Menſchen.
Wir wollen hiemit auch dieß verbinden, daß nur
allein die Seele eine pſychologiſche Reproduktionskraft
beſitze. Sie ſoll es ſeyn, welche ihre gehabte Vorſtel-
lungen aus ſich wiederum erwecket, die alsdenn in ihr
eigentlich nur Wiedervorſtellungen ſind. Die Bewe-
gungen im Gehirn, welche zu ihnen gehoͤren, ſind je-
desmal neue Bewegungen, obgleich Wiederholungen
anderer vorhergegangenen, denen ſie aͤhnlich ſind. Man
laſſe zum zweytenmal einen Stein auf der naͤmlichen
Stelle ins Waſſer fallen, wenn die Kreiſe, die der
erſte machte, nicht mehr ſichtbar ſind; ſo werden aͤhn-
liche Kreiſe entſtehen; aber es ſind neue Kreiſe, die
eben ſo von dem zweeten fallenden Stein entſtehen, als
die erſtern, und keine Beziehung auf jene haben, welche
vorhergegangen ſind.
Die Seele reproducirt die Jdeen nach dem Geſetz
der Aſſociation: theils nach der Verbindung, die ſie
ſchon in dem Gedaͤchtniß haben, theils nach der Aehn-
lichkeit unter ſich, und mit dem gegenwaͤrtigen Zuſtand
der Seele. Hiebey hat die Seele ſich nicht immer in
ihrer Gewalt. Denn dieß Geſetz iſt ein Geſetz ihrer
Natur, von dem ſie nicht anders abgehen kann, als in
ſo ferne ſie ſelbſt ihren eigenen Zuſtand zu veraͤndern im
Stande iſt. Heget ſie alſo Jdeen wider ihren Willen,
oder faͤllt ſie auf ſie mit Unmuth alle Augenblicke zuruͤck;
iſt ſie von ihnen bezaubert, wie ein Kaninchen von ei-
ner Klapperſchlange, das ſich entfernen will, auch ſich
wirklich etwas entfernet, aber doch gleich wieder zuruͤck-
kehret und, indem es unverwandt dem Verſchlinger in
die funkelnden Augen ſiehet, ſich ihm immer mehr naͤ-
hert, und endlich zur Beute uͤberlaͤßt; wenn ſo etwas
aͤhnliches dem Liebhaber mit der Vorſtellung von ſeiner
Geliebten begegnet, und jedem andern mit ſeinem
Steckenpferde: ſo folget nicht, daß die Seele von dem
Strome des Gehirns getrieben wuͤrde; es folget nur,
daß
II Theil. P
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/255>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.