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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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im Menschen.
zen ist, in Einem Dinge beysammen. Denn die Eine
Hälfte der Beschaffenheit befindet sich als eine Beschaf-
fenheit an der Einen Hälfte der einfachen Substanzen,
und die andere Hälfte von ihr in den übrigen. So
ähnlich und gleichartig diese Bestandtheile auch seyn
mögen, so sind sie doch nicht Ein und dasselbige Ding.

Wenn nur dieses Unterscheidungsmerkmal deutlicher
entwickelt werden könnte! Denn daß es es nicht kann,
ist eben die Ursache von der Dunkelheit in so vielen der
besten Beweise, die man für die Jmmaterialität der
Seele gegeben hat. Wenn jede Veränderung in einem
Theile zugleich eine Veränderung in dem Ganzen ist,
und in demselbigen Ganzen: wie unterscheidet man es,
ob jene Theile nur Beschaffenheiten einer einfachen
Substanz sind, Seiten von ihr, substanzielle
Punkte,
wenn sie so heißen sollen; oder ob sie für
sich besonders bestehende
und trennbare Wesen
sind? Und wenn man auch erweisen kann, daß in Ei-
nem und demselbigen Dinge, worinn ein Theil von ei-
ner Modifikation sich befindet, auch die gesammte Mo-
difikation begriffen sey: so ist noch immer die Ausflucht
übrig, daß dieß Eins und dasselbige Ganze vielleicht
Eins und dasselbige zusammengesetzte, nicht aber Eins
und dasselbige Einfache, seyn könne. Es ist eine große
Verschiedenheit zwischen diesen beiden Fällen, die wir
klar genug fühlen. Denn da, wo doch etwas zwischen
zweyen vertheilet ist, da ist nicht das Ganze in Einem
und demselbigen Dinge, worinn nur die Eine Hälfte ist.
Aber daran fehlt es, daß dieser Unterschied nicht so deut-
lich gemacht werden kann, daß sich solcher noch anders
als aus dem Gefühl erkennen läßt, indem man diese
beiden unterschiedenen Vorstellungen gegen einander
hält. Dieß Gefühl des Unterschiedes scheim zu ver-
schwinden, sobald wir die Jdeen nicht mehr so völlig
anschaulich vor uns haben.

Jst

im Menſchen.
zen iſt, in Einem Dinge beyſammen. Denn die Eine
Haͤlfte der Beſchaffenheit befindet ſich als eine Beſchaf-
fenheit an der Einen Haͤlfte der einfachen Subſtanzen,
und die andere Haͤlfte von ihr in den uͤbrigen. So
aͤhnlich und gleichartig dieſe Beſtandtheile auch ſeyn
moͤgen, ſo ſind ſie doch nicht Ein und daſſelbige Ding.

Wenn nur dieſes Unterſcheidungsmerkmal deutlicher
entwickelt werden koͤnnte! Denn daß es es nicht kann,
iſt eben die Urſache von der Dunkelheit in ſo vielen der
beſten Beweiſe, die man fuͤr die Jmmaterialitaͤt der
Seele gegeben hat. Wenn jede Veraͤnderung in einem
Theile zugleich eine Veraͤnderung in dem Ganzen iſt,
und in demſelbigen Ganzen: wie unterſcheidet man es,
ob jene Theile nur Beſchaffenheiten einer einfachen
Subſtanz ſind, Seiten von ihr, ſubſtanzielle
Punkte,
wenn ſie ſo heißen ſollen; oder ob ſie fuͤr
ſich beſonders beſtehende
und trennbare Weſen
ſind? Und wenn man auch erweiſen kann, daß in Ei-
nem und demſelbigen Dinge, worinn ein Theil von ei-
ner Modifikation ſich befindet, auch die geſammte Mo-
difikation begriffen ſey: ſo iſt noch immer die Ausflucht
uͤbrig, daß dieß Eins und daſſelbige Ganze vielleicht
Eins und daſſelbige zuſammengeſetzte, nicht aber Eins
und daſſelbige Einfache, ſeyn koͤnne. Es iſt eine große
Verſchiedenheit zwiſchen dieſen beiden Faͤllen, die wir
klar genug fuͤhlen. Denn da, wo doch etwas zwiſchen
zweyen vertheilet iſt, da iſt nicht das Ganze in Einem
und demſelbigen Dinge, worinn nur die Eine Haͤlfte iſt.
Aber daran fehlt es, daß dieſer Unterſchied nicht ſo deut-
lich gemacht werden kann, daß ſich ſolcher noch anders
als aus dem Gefuͤhl erkennen laͤßt, indem man dieſe
beiden unterſchiedenen Vorſtellungen gegen einander
haͤlt. Dieß Gefuͤhl des Unterſchiedes ſcheim zu ver-
ſchwinden, ſobald wir die Jdeen nicht mehr ſo voͤllig
anſchaulich vor uns haben.

Jſt
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[189/0219] im Menſchen. zen iſt, in Einem Dinge beyſammen. Denn die Eine Haͤlfte der Beſchaffenheit befindet ſich als eine Beſchaf- fenheit an der Einen Haͤlfte der einfachen Subſtanzen, und die andere Haͤlfte von ihr in den uͤbrigen. So aͤhnlich und gleichartig dieſe Beſtandtheile auch ſeyn moͤgen, ſo ſind ſie doch nicht Ein und daſſelbige Ding. Wenn nur dieſes Unterſcheidungsmerkmal deutlicher entwickelt werden koͤnnte! Denn daß es es nicht kann, iſt eben die Urſache von der Dunkelheit in ſo vielen der beſten Beweiſe, die man fuͤr die Jmmaterialitaͤt der Seele gegeben hat. Wenn jede Veraͤnderung in einem Theile zugleich eine Veraͤnderung in dem Ganzen iſt, und in demſelbigen Ganzen: wie unterſcheidet man es, ob jene Theile nur Beſchaffenheiten einer einfachen Subſtanz ſind, Seiten von ihr, ſubſtanzielle Punkte, wenn ſie ſo heißen ſollen; oder ob ſie fuͤr ſich beſonders beſtehende und trennbare Weſen ſind? Und wenn man auch erweiſen kann, daß in Ei- nem und demſelbigen Dinge, worinn ein Theil von ei- ner Modifikation ſich befindet, auch die geſammte Mo- difikation begriffen ſey: ſo iſt noch immer die Ausflucht uͤbrig, daß dieß Eins und daſſelbige Ganze vielleicht Eins und daſſelbige zuſammengeſetzte, nicht aber Eins und daſſelbige Einfache, ſeyn koͤnne. Es iſt eine große Verſchiedenheit zwiſchen dieſen beiden Faͤllen, die wir klar genug fuͤhlen. Denn da, wo doch etwas zwiſchen zweyen vertheilet iſt, da iſt nicht das Ganze in Einem und demſelbigen Dinge, worinn nur die Eine Haͤlfte iſt. Aber daran fehlt es, daß dieſer Unterſchied nicht ſo deut- lich gemacht werden kann, daß ſich ſolcher noch anders als aus dem Gefuͤhl erkennen laͤßt, indem man dieſe beiden unterſchiedenen Vorſtellungen gegen einander haͤlt. Dieß Gefuͤhl des Unterſchiedes ſcheim zu ver- ſchwinden, ſobald wir die Jdeen nicht mehr ſo voͤllig anſchaulich vor uns haben. Jſt

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/219>, abgerufen am 05.05.2024.