Es ist also, die Sache in ihrer Beziehung auf die Natur unserer Kenntnisse betrachtet, nicht abzusehen, wie die Vernunft zu irgend einer festen Entscheidung hierüber gelangen könne, wofern nicht den Jmmateria- listen endlich der oft versuchte Beweis gelinget, daß ein solches Wesen wie unser Jch ist, unmöglich zusammen- gesetzt und materiell seyn könne. Denn das Gegentheil, welches Lock bloß nicht für ganz unmöglich hielt, daß Gott der Materie eine Kraft zu denken beylegen könne, liegt so weit von den bisherigen Gränzen unserer Er- kenntniß, wie ich wenigstens meine, entfernt, daß, im Fall es auch eine Wahrheit enthält, doch zur Zeit kein Anschein vorhanden ist, wie diese in den Umfang un- serer gewissen Kenntnisse hineingebracht werden könne. Alles wird in Möglichkeiten, Vermuthungen und höch- stens in Wahrscheinlichkeiten bestehen müssen, wofern nicht die Vertheidiger der Jmmaterialität auf ihrer Sei- te sich endlich zur Evidenz durcharbeiten. Und da auf dieser Seite die Hoffnung am stärksten ist, so will ich es versuchen, eine Hand mit anzulegen, indem es zu mei- ner gegenwärtigen Absicht eigentlich gehöret, das zusam- men zu suchen, was über die Natur unsers Seelenwe- sens sich mit einiger Gewißheit festsetzen läßt. Man wird es also für keine Ausschweifung halten, wenn ich hier meine Gedanken so weit hersetze, als ich glaube, daß man feste Ueberzeugung erlangen könne. *)
Aber
*) Die vornehmsten der bisher für die Unkörperlich- keit der Seele geführten Beweise hat Hr. Hennings in seiner Geschichte der Seele beurtheilet. Dieß ist mit vielem metaphysischen Scharfsinne geschehen; aber doch ließen sich manche Einwürfe gegen diese oder jene Beweise aus den Beweisen selbst heben. Was das eigne Raisonnement des Hrn. Hennings aus der Willkür betrifft, so ist es wohl außer Zwei- fel, daß in diesem Vermögen der Seele sowohl, als in den
übri-
XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
Es iſt alſo, die Sache in ihrer Beziehung auf die Natur unſerer Kenntniſſe betrachtet, nicht abzuſehen, wie die Vernunft zu irgend einer feſten Entſcheidung hieruͤber gelangen koͤnne, wofern nicht den Jmmateria- liſten endlich der oft verſuchte Beweis gelinget, daß ein ſolches Weſen wie unſer Jch iſt, unmoͤglich zuſammen- geſetzt und materiell ſeyn koͤnne. Denn das Gegentheil, welches Lock bloß nicht fuͤr ganz unmoͤglich hielt, daß Gott der Materie eine Kraft zu denken beylegen koͤnne, liegt ſo weit von den bisherigen Graͤnzen unſerer Er- kenntniß, wie ich wenigſtens meine, entfernt, daß, im Fall es auch eine Wahrheit enthaͤlt, doch zur Zeit kein Anſchein vorhanden iſt, wie dieſe in den Umfang un- ſerer gewiſſen Kenntniſſe hineingebracht werden koͤnne. Alles wird in Moͤglichkeiten, Vermuthungen und hoͤch- ſtens in Wahrſcheinlichkeiten beſtehen muͤſſen, wofern nicht die Vertheidiger der Jmmaterialitaͤt auf ihrer Sei- te ſich endlich zur Evidenz durcharbeiten. Und da auf dieſer Seite die Hoffnung am ſtaͤrkſten iſt, ſo will ich es verſuchen, eine Hand mit anzulegen, indem es zu mei- ner gegenwaͤrtigen Abſicht eigentlich gehoͤret, das zuſam- men zu ſuchen, was uͤber die Natur unſers Seelenwe- ſens ſich mit einiger Gewißheit feſtſetzen laͤßt. Man wird es alſo fuͤr keine Ausſchweifung halten, wenn ich hier meine Gedanken ſo weit herſetze, als ich glaube, daß man feſte Ueberzeugung erlangen koͤnne. *)
Aber
*) Die vornehmſten der bisher fuͤr die Unkoͤrperlich- keit der Seele gefuͤhrten Beweiſe hat Hr. Hennings in ſeiner Geſchichte der Seele beurtheilet. Dieß iſt mit vielem metaphyſiſchen Scharfſinne geſchehen; aber doch ließen ſich manche Einwuͤrfe gegen dieſe oder jene Beweiſe aus den Beweiſen ſelbſt heben. Was das eigne Raiſonnement des Hrn. Hennings aus der Willkuͤr betrifft, ſo iſt es wohl außer Zwei- fel, daß in dieſem Vermoͤgen der Seele ſowohl, als in den
uͤbri-
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XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
Es iſt alſo, die Sache in ihrer Beziehung auf die
Natur unſerer Kenntniſſe betrachtet, nicht abzuſehen,
wie die Vernunft zu irgend einer feſten Entſcheidung
hieruͤber gelangen koͤnne, wofern nicht den Jmmateria-
liſten endlich der oft verſuchte Beweis gelinget, daß ein
ſolches Weſen wie unſer Jch iſt, unmoͤglich zuſammen-
geſetzt und materiell ſeyn koͤnne. Denn das Gegentheil,
welches Lock bloß nicht fuͤr ganz unmoͤglich hielt, daß
Gott der Materie eine Kraft zu denken beylegen koͤnne,
liegt ſo weit von den bisherigen Graͤnzen unſerer Er-
kenntniß, wie ich wenigſtens meine, entfernt, daß, im
Fall es auch eine Wahrheit enthaͤlt, doch zur Zeit kein
Anſchein vorhanden iſt, wie dieſe in den Umfang un-
ſerer gewiſſen Kenntniſſe hineingebracht werden koͤnne.
Alles wird in Moͤglichkeiten, Vermuthungen und hoͤch-
ſtens in Wahrſcheinlichkeiten beſtehen muͤſſen, wofern
nicht die Vertheidiger der Jmmaterialitaͤt auf ihrer Sei-
te ſich endlich zur Evidenz durcharbeiten. Und da auf
dieſer Seite die Hoffnung am ſtaͤrkſten iſt, ſo will ich
es verſuchen, eine Hand mit anzulegen, indem es zu mei-
ner gegenwaͤrtigen Abſicht eigentlich gehoͤret, das zuſam-
men zu ſuchen, was uͤber die Natur unſers Seelenwe-
ſens ſich mit einiger Gewißheit feſtſetzen laͤßt. Man
wird es alſo fuͤr keine Ausſchweifung halten, wenn ich
hier meine Gedanken ſo weit herſetze, als ich glaube,
daß man feſte Ueberzeugung erlangen koͤnne. *)
Aber
*) Die vornehmſten der bisher fuͤr die Unkoͤrperlich-
keit der Seele gefuͤhrten Beweiſe hat Hr. Hennings
in ſeiner Geſchichte der Seele beurtheilet. Dieß iſt
mit vielem metaphyſiſchen Scharfſinne geſchehen;
aber doch ließen ſich manche Einwuͤrfe gegen dieſe
oder jene Beweiſe aus den Beweiſen ſelbſt heben.
Was das eigne Raiſonnement des Hrn. Hennings
aus der Willkuͤr betrifft, ſo iſt es wohl außer Zwei-
fel, daß in dieſem Vermoͤgen der Seele ſowohl, als in den
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/210>, abgerufen am 27.11.2024.
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