Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

im Menschen.
legen würde, weil die Strahlen nicht wiederum in be-
sondere Punkte vereiniget sind. Könnte nicht auf eine
ähnliche Art der Ort des Bildes in der Seele selbst
seyn, und in dem Gehirn etwan nichts mehr als die
Strahlen, die zwar ihre gewissen Lagen und Richtun-
gen haben, aber unauseinandergesetzt nur durchfahren?
Wo würde in diesem Fall das Bildliche in der materiel-
len Jdee seyn, und wie viel würde es seyn außer der all-
gemeinen Analogie, die zwischen jeder Ursache und ih-
rer Wirkung, zwischen der Sache und ihren Zeichen
vorhanden ist? Nur allein durch diese Analogie sind
die sogenannten materiellen Jdeen Jdeen, wie es die
Vorstellungen überhaupt sind. *)

2.

Aus den beiden angeführten Grundsätzen von der
Natur der Seele folget, wenn wir den zweeten hier schon
für eben so gewiß ansehen, als den erstern, daß man
auf die Frage: Was ist das Jch, welches empfindet,
denket, will? zunächst nichts anders antworten könne,
als dieß: "es ist ein Mensch, das empfindende, den-
"kende und wollende Ganze, das beseelte Gehirn."
Es ist weder das Gehirn allein, noch das unkörperliche
Wesen allein, was wir fühlen und uns vorstellen, wenn
wir unser Jch fühlen und uns uns selbst vorstellen.
Man kann auf die Frage, welches ist das den Ton her-
vorbringende Ding? nicht antworten, daß es der
Spieler allein sey, noch daß es das Jnstrument allein
sey. Aber der Spieler ist thätig und wirket auf
die Saiten des Jnstruments, und diese wirken auf
die Luft, und bringen eine zitternde Bewegung hervor,
die unser Ohr empfängt, die wir empfinden, und den
Schall nennen. Auf gleiche Art ist dasjenige, was in
der Seele vorgehet, mit dem, was in| dem Organ vor-

gehet,
*) Erster Versuch. X. XI.
L 5

im Menſchen.
legen wuͤrde, weil die Strahlen nicht wiederum in be-
ſondere Punkte vereiniget ſind. Koͤnnte nicht auf eine
aͤhnliche Art der Ort des Bildes in der Seele ſelbſt
ſeyn, und in dem Gehirn etwan nichts mehr als die
Strahlen, die zwar ihre gewiſſen Lagen und Richtun-
gen haben, aber unauseinandergeſetzt nur durchfahren?
Wo wuͤrde in dieſem Fall das Bildliche in der materiel-
len Jdee ſeyn, und wie viel wuͤrde es ſeyn außer der all-
gemeinen Analogie, die zwiſchen jeder Urſache und ih-
rer Wirkung, zwiſchen der Sache und ihren Zeichen
vorhanden iſt? Nur allein durch dieſe Analogie ſind
die ſogenannten materiellen Jdeen Jdeen, wie es die
Vorſtellungen uͤberhaupt ſind. *)

2.

Aus den beiden angefuͤhrten Grundſaͤtzen von der
Natur der Seele folget, wenn wir den zweeten hier ſchon
fuͤr eben ſo gewiß anſehen, als den erſtern, daß man
auf die Frage: Was iſt das Jch, welches empfindet,
denket, will? zunaͤchſt nichts anders antworten koͤnne,
als dieß: „es iſt ein Menſch, das empfindende, den-
„kende und wollende Ganze, das beſeelte Gehirn.‟
Es iſt weder das Gehirn allein, noch das unkoͤrperliche
Weſen allein, was wir fuͤhlen und uns vorſtellen, wenn
wir unſer Jch fuͤhlen und uns uns ſelbſt vorſtellen.
Man kann auf die Frage, welches iſt das den Ton her-
vorbringende Ding? nicht antworten, daß es der
Spieler allein ſey, noch daß es das Jnſtrument allein
ſey. Aber der Spieler iſt thaͤtig und wirket auf
die Saiten des Jnſtruments, und dieſe wirken auf
die Luft, und bringen eine zitternde Bewegung hervor,
die unſer Ohr empfaͤngt, die wir empfinden, und den
Schall nennen. Auf gleiche Art iſt dasjenige, was in
der Seele vorgehet, mit dem, was in| dem Organ vor-

gehet,
*) Erſter Verſuch. X. XI.
L 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0199" n="169"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">im Men&#x017F;chen.</hi></fw><lb/>
legen wu&#x0364;rde, weil die Strahlen nicht wiederum in be-<lb/>
&#x017F;ondere Punkte vereiniget &#x017F;ind. Ko&#x0364;nnte nicht auf eine<lb/>
a&#x0364;hnliche Art der Ort des Bildes in der Seele &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
&#x017F;eyn, und in dem Gehirn etwan nichts mehr als die<lb/>
Strahlen, die zwar ihre gewi&#x017F;&#x017F;en Lagen und Richtun-<lb/>
gen haben, aber unauseinanderge&#x017F;etzt nur durchfahren?<lb/>
Wo wu&#x0364;rde in die&#x017F;em Fall das Bildliche in der materiel-<lb/>
len Jdee &#x017F;eyn, und wie viel wu&#x0364;rde es &#x017F;eyn außer der all-<lb/>
gemeinen Analogie, die zwi&#x017F;chen jeder Ur&#x017F;ache und ih-<lb/>
rer Wirkung, zwi&#x017F;chen der Sache und ihren Zeichen<lb/>
vorhanden i&#x017F;t? Nur allein durch die&#x017F;e Analogie &#x017F;ind<lb/>
die &#x017F;ogenannten materiellen Jdeen Jdeen, wie es die<lb/>
Vor&#x017F;tellungen u&#x0364;berhaupt &#x017F;ind. <note place="foot" n="*)">Er&#x017F;ter Ver&#x017F;uch. <hi rendition="#aq">X. XI.</hi></note></p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>2.</head><lb/>
            <p>Aus den beiden angefu&#x0364;hrten Grund&#x017F;a&#x0364;tzen von der<lb/>
Natur der Seele folget, wenn wir den zweeten hier &#x017F;chon<lb/>
fu&#x0364;r eben &#x017F;o gewiß an&#x017F;ehen, als den er&#x017F;tern, daß man<lb/>
auf die Frage: Was i&#x017F;t das <hi rendition="#fr">Jch,</hi> welches empfindet,<lb/>
denket, will? zuna&#x0364;ch&#x017F;t nichts anders antworten ko&#x0364;nne,<lb/>
als dieß: &#x201E;es i&#x017F;t ein Men&#x017F;ch, das empfindende, den-<lb/>
&#x201E;kende und wollende Ganze, das be&#x017F;eelte Gehirn.&#x201F;<lb/>
Es i&#x017F;t weder das Gehirn allein, noch das unko&#x0364;rperliche<lb/>
We&#x017F;en allein, was wir fu&#x0364;hlen und uns vor&#x017F;tellen, wenn<lb/>
wir un&#x017F;er <hi rendition="#fr">Jch</hi> fu&#x0364;hlen und uns uns &#x017F;elb&#x017F;t vor&#x017F;tellen.<lb/>
Man kann auf die Frage, welches i&#x017F;t das den Ton her-<lb/>
vorbringende Ding? nicht antworten, daß es der<lb/>
Spieler allein &#x017F;ey, noch daß es das Jn&#x017F;trument allein<lb/>
&#x017F;ey. Aber der Spieler i&#x017F;t tha&#x0364;tig und wirket auf<lb/>
die Saiten des Jn&#x017F;truments, und die&#x017F;e wirken auf<lb/>
die Luft, und bringen eine zitternde Bewegung hervor,<lb/>
die un&#x017F;er Ohr empfa&#x0364;ngt, die wir empfinden, und den<lb/>
Schall nennen. Auf gleiche Art i&#x017F;t dasjenige, was in<lb/>
der Seele vorgehet, mit dem, was in| dem Organ vor-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">L 5</fw><fw place="bottom" type="catch">gehet,</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[169/0199] im Menſchen. legen wuͤrde, weil die Strahlen nicht wiederum in be- ſondere Punkte vereiniget ſind. Koͤnnte nicht auf eine aͤhnliche Art der Ort des Bildes in der Seele ſelbſt ſeyn, und in dem Gehirn etwan nichts mehr als die Strahlen, die zwar ihre gewiſſen Lagen und Richtun- gen haben, aber unauseinandergeſetzt nur durchfahren? Wo wuͤrde in dieſem Fall das Bildliche in der materiel- len Jdee ſeyn, und wie viel wuͤrde es ſeyn außer der all- gemeinen Analogie, die zwiſchen jeder Urſache und ih- rer Wirkung, zwiſchen der Sache und ihren Zeichen vorhanden iſt? Nur allein durch dieſe Analogie ſind die ſogenannten materiellen Jdeen Jdeen, wie es die Vorſtellungen uͤberhaupt ſind. *) 2. Aus den beiden angefuͤhrten Grundſaͤtzen von der Natur der Seele folget, wenn wir den zweeten hier ſchon fuͤr eben ſo gewiß anſehen, als den erſtern, daß man auf die Frage: Was iſt das Jch, welches empfindet, denket, will? zunaͤchſt nichts anders antworten koͤnne, als dieß: „es iſt ein Menſch, das empfindende, den- „kende und wollende Ganze, das beſeelte Gehirn.‟ Es iſt weder das Gehirn allein, noch das unkoͤrperliche Weſen allein, was wir fuͤhlen und uns vorſtellen, wenn wir unſer Jch fuͤhlen und uns uns ſelbſt vorſtellen. Man kann auf die Frage, welches iſt das den Ton her- vorbringende Ding? nicht antworten, daß es der Spieler allein ſey, noch daß es das Jnſtrument allein ſey. Aber der Spieler iſt thaͤtig und wirket auf die Saiten des Jnſtruments, und dieſe wirken auf die Luft, und bringen eine zitternde Bewegung hervor, die unſer Ohr empfaͤngt, die wir empfinden, und den Schall nennen. Auf gleiche Art iſt dasjenige, was in der Seele vorgehet, mit dem, was in| dem Organ vor- gehet, *) Erſter Verſuch. X. XI. L 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/199
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/199>, abgerufen am 21.11.2024.