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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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im Menschen.
empfand einen Magenkrampf, so oft ihn etwas lebhaft
rührte, die Ursachen seiner Leidenschaft, die einzelnen
Vorstellungen und die besondere Art der Rührung moch-
ten seyn wie sie wollten. Aber er empfand in jedem Fall
eine solche Verbindung zwischen dem Krampf in dem
Magen und der lebhaften Jdee in der Seele, daß er
versicherte, er wisse es aus eigner Empfindung recht
anschaulich, was jene Frau wohl möchte empfunden
haben, welche von sich sagte, daß sie es fühle, wie der
böse Gedanke aus dem Magen in den Kopf hinauffteige.
War die Vorstellung lebhaft, so fühlte er seinen Krampf;
und regte sich der Krampf von neuem, wenn er sich der
Jdee entschlagen | hatte, so ward auch diese letztere wie-
der erwecket. Die Vorstellungen waren sehr verschie-
den |in den verschiedenen Fällen, aber in seinen Gefüh-
len von den begleitenden Affektionen des Magens konnte
er mit aller Aufmerksamkeit nicht gewahrnehmen, daß
sie das eine Mal anders beschaffen wären als die übri-
gen Male. Sollte nicht die Verbindung zwischen den
Organsveränderungen und den Seelenveränderungen
auf eine ähnliche Art nur so unbestimmt seyn, so wie
sie hier zwischen den Modifikationen in dem Kopfe und
in dem Magen waren?

Das angeführte Beyspiel soll es nur erläutern, wor-
über hier noch Untersuchungen anzustellen sind, aber
nicht zum Beweise gebraucht werden, wie es denn auch
nichts beweisen kann. Denn nicht zu erwähnen, daß
man es noch für möglich halten kann, daß die Em-
pfindungen in dem Magen, welche das eine Mal einen
Verdruß, das andere Mal ein lebhaftes Verlangen,
und dann wieder eine vorzügliche Freude begleitete, in
diesen verschiedenen Umständen wirklich auch selbst ver-
schiedene Gefühle gewesen sind, wenn gleich ihre Ver-
schiedenheit dem Beobachter unbemerklich blieb: so wür-
de doch eine solche unbestimmte Verbindung zwischen

Kopfs-
II Theil. L

im Menſchen.
empfand einen Magenkrampf, ſo oft ihn etwas lebhaft
ruͤhrte, die Urſachen ſeiner Leidenſchaft, die einzelnen
Vorſtellungen und die beſondere Art der Ruͤhrung moch-
ten ſeyn wie ſie wollten. Aber er empfand in jedem Fall
eine ſolche Verbindung zwiſchen dem Krampf in dem
Magen und der lebhaften Jdee in der Seele, daß er
verſicherte, er wiſſe es aus eigner Empfindung recht
anſchaulich, was jene Frau wohl moͤchte empfunden
haben, welche von ſich ſagte, daß ſie es fuͤhle, wie der
boͤſe Gedanke aus dem Magen in den Kopf hinauffteige.
War die Vorſtellung lebhaft, ſo fuͤhlte er ſeinen Krampf;
und regte ſich der Krampf von neuem, wenn er ſich der
Jdee entſchlagen | hatte, ſo ward auch dieſe letztere wie-
der erwecket. Die Vorſtellungen waren ſehr verſchie-
den |in den verſchiedenen Faͤllen, aber in ſeinen Gefuͤh-
len von den begleitenden Affektionen des Magens konnte
er mit aller Aufmerkſamkeit nicht gewahrnehmen, daß
ſie das eine Mal anders beſchaffen waͤren als die uͤbri-
gen Male. Sollte nicht die Verbindung zwiſchen den
Organsveraͤnderungen und den Seelenveraͤnderungen
auf eine aͤhnliche Art nur ſo unbeſtimmt ſeyn, ſo wie
ſie hier zwiſchen den Modifikationen in dem Kopfe und
in dem Magen waren?

Das angefuͤhrte Beyſpiel ſoll es nur erlaͤutern, wor-
uͤber hier noch Unterſuchungen anzuſtellen ſind, aber
nicht zum Beweiſe gebraucht werden, wie es denn auch
nichts beweiſen kann. Denn nicht zu erwaͤhnen, daß
man es noch fuͤr moͤglich halten kann, daß die Em-
pfindungen in dem Magen, welche das eine Mal einen
Verdruß, das andere Mal ein lebhaftes Verlangen,
und dann wieder eine vorzuͤgliche Freude begleitete, in
dieſen verſchiedenen Umſtaͤnden wirklich auch ſelbſt ver-
ſchiedene Gefuͤhle geweſen ſind, wenn gleich ihre Ver-
ſchiedenheit dem Beobachter unbemerklich blieb: ſo wuͤr-
de doch eine ſolche unbeſtimmte Verbindung zwiſchen

Kopfs-
II Theil. L
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[161/0191] im Menſchen. empfand einen Magenkrampf, ſo oft ihn etwas lebhaft ruͤhrte, die Urſachen ſeiner Leidenſchaft, die einzelnen Vorſtellungen und die beſondere Art der Ruͤhrung moch- ten ſeyn wie ſie wollten. Aber er empfand in jedem Fall eine ſolche Verbindung zwiſchen dem Krampf in dem Magen und der lebhaften Jdee in der Seele, daß er verſicherte, er wiſſe es aus eigner Empfindung recht anſchaulich, was jene Frau wohl moͤchte empfunden haben, welche von ſich ſagte, daß ſie es fuͤhle, wie der boͤſe Gedanke aus dem Magen in den Kopf hinauffteige. War die Vorſtellung lebhaft, ſo fuͤhlte er ſeinen Krampf; und regte ſich der Krampf von neuem, wenn er ſich der Jdee entſchlagen | hatte, ſo ward auch dieſe letztere wie- der erwecket. Die Vorſtellungen waren ſehr verſchie- den |in den verſchiedenen Faͤllen, aber in ſeinen Gefuͤh- len von den begleitenden Affektionen des Magens konnte er mit aller Aufmerkſamkeit nicht gewahrnehmen, daß ſie das eine Mal anders beſchaffen waͤren als die uͤbri- gen Male. Sollte nicht die Verbindung zwiſchen den Organsveraͤnderungen und den Seelenveraͤnderungen auf eine aͤhnliche Art nur ſo unbeſtimmt ſeyn, ſo wie ſie hier zwiſchen den Modifikationen in dem Kopfe und in dem Magen waren? Das angefuͤhrte Beyſpiel ſoll es nur erlaͤutern, wor- uͤber hier noch Unterſuchungen anzuſtellen ſind, aber nicht zum Beweiſe gebraucht werden, wie es denn auch nichts beweiſen kann. Denn nicht zu erwaͤhnen, daß man es noch fuͤr moͤglich halten kann, daß die Em- pfindungen in dem Magen, welche das eine Mal einen Verdruß, das andere Mal ein lebhaftes Verlangen, und dann wieder eine vorzuͤgliche Freude begleitete, in dieſen verſchiedenen Umſtaͤnden wirklich auch ſelbſt ver- ſchiedene Gefuͤhle geweſen ſind, wenn gleich ihre Ver- ſchiedenheit dem Beobachter unbemerklich blieb: ſo wuͤr- de doch eine ſolche unbeſtimmte Verbindung zwiſchen Kopfs- II Theil. L

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/191>, abgerufen am 25.11.2024.