geforschet würde. Sie sind indessen Kräfte materiel- ler, körperlicher Wesen, und wirken mit den Seelen- kräften in Verbindung in dem Thiere, und zwar in so inniger Verbindung, daß es auch darum, wenn nicht ganz unmöglich, doch lange noch schwer seyn wird, ihre Natur und Wirkungsart für sich allein besonders zu be- trachten. Aus jener Verbindung entstehet die thieri- sche Natur des Menschen. Das Thier ist das aus Seele und organisirtem Körper bestehende Ganze.
Der Mensch als ein Wesen, welches empfindet, Vorstellungen hat, denkt und will, besitzet eine geisti- ge Natur, oder, wenn man nur auf das Allgemeinere Rücksicht nimmt, das auch den vernunftlosen Thieren zukommt, eine Seelennatur. Jst auch diese ein zu- sammengesetztes Eins, und sind die Kräfte und Ver- mögen, die wir der Seele zuschreiben, und für See- lenkräfte ansehen, auch etwa nur Kräfte des Zusam- mengesetzten, die in einer Verbindung von Kräften ei- nes unkörperlichen einfachen Wesens mit den Kräften eines innern körperlichen Seelenorgans ihren Grund haben?
Jn dieser dunkeln Gegend, die zu dem Jnnern der Menschheit gehört, habe ich, mit dem Senkbley der Beobachtung in der Hand, etwas herumgeforschet. Von dem Wege, den ich genommen habe, und von dem Erfolg meiner Bemühungen will ich in diesem Ver- suche Nachricht geben. Jch denke nicht einmal auf eine Entschuldigung bey dem philosophischen Leser, auch bey dem nicht, der am Ende wohl mit gutem Grunde sagen mag: "Nichts mehr, als das?"
Wenn wir unsere Empfindungen, Vorstellungen, Gedanken und Neigungen und die dazu gehörigen Thä- tigkeiten so nehmen, wie wir sie mit unserm Selbstge- fühl fassen und gewahrnehmen, und dieß alles als See- lenveränderungen und Seelenwirkungen ansehen, es
unter
XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
geforſchet wuͤrde. Sie ſind indeſſen Kraͤfte materiel- ler, koͤrperlicher Weſen, und wirken mit den Seelen- kraͤften in Verbindung in dem Thiere, und zwar in ſo inniger Verbindung, daß es auch darum, wenn nicht ganz unmoͤglich, doch lange noch ſchwer ſeyn wird, ihre Natur und Wirkungsart fuͤr ſich allein beſonders zu be- trachten. Aus jener Verbindung entſtehet die thieri- ſche Natur des Menſchen. Das Thier iſt das aus Seele und organiſirtem Koͤrper beſtehende Ganze.
Der Menſch als ein Weſen, welches empfindet, Vorſtellungen hat, denkt und will, beſitzet eine geiſti- ge Natur, oder, wenn man nur auf das Allgemeinere Ruͤckſicht nimmt, das auch den vernunftloſen Thieren zukommt, eine Seelennatur. Jſt auch dieſe ein zu- ſammengeſetztes Eins, und ſind die Kraͤfte und Ver- moͤgen, die wir der Seele zuſchreiben, und fuͤr See- lenkraͤfte anſehen, auch etwa nur Kraͤfte des Zuſam- mengeſetzten, die in einer Verbindung von Kraͤften ei- nes unkoͤrperlichen einfachen Weſens mit den Kraͤften eines innern koͤrperlichen Seelenorgans ihren Grund haben?
Jn dieſer dunkeln Gegend, die zu dem Jnnern der Menſchheit gehoͤrt, habe ich, mit dem Senkbley der Beobachtung in der Hand, etwas herumgeforſchet. Von dem Wege, den ich genommen habe, und von dem Erfolg meiner Bemuͤhungen will ich in dieſem Ver- ſuche Nachricht geben. Jch denke nicht einmal auf eine Entſchuldigung bey dem philoſophiſchen Leſer, auch bey dem nicht, der am Ende wohl mit gutem Grunde ſagen mag: „Nichts mehr, als das?‟
Wenn wir unſere Empfindungen, Vorſtellungen, Gedanken und Neigungen und die dazu gehoͤrigen Thaͤ- tigkeiten ſo nehmen, wie wir ſie mit unſerm Selbſtge- fuͤhl faſſen und gewahrnehmen, und dieß alles als See- lenveraͤnderungen und Seelenwirkungen anſehen, es
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XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
geforſchet wuͤrde. Sie ſind indeſſen Kraͤfte materiel-
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kraͤften in Verbindung in dem Thiere, und zwar in ſo
inniger Verbindung, daß es auch darum, wenn nicht
ganz unmoͤglich, doch lange noch ſchwer ſeyn wird, ihre
Natur und Wirkungsart fuͤr ſich allein beſonders zu be-
trachten. Aus jener Verbindung entſtehet die thieri-
ſche Natur des Menſchen. Das Thier iſt das aus
Seele und organiſirtem Koͤrper beſtehende Ganze.
Der Menſch als ein Weſen, welches empfindet,
Vorſtellungen hat, denkt und will, beſitzet eine geiſti-
ge Natur, oder, wenn man nur auf das Allgemeinere
Ruͤckſicht nimmt, das auch den vernunftloſen Thieren
zukommt, eine Seelennatur. Jſt auch dieſe ein zu-
ſammengeſetztes Eins, und ſind die Kraͤfte und Ver-
moͤgen, die wir der Seele zuſchreiben, und fuͤr See-
lenkraͤfte anſehen, auch etwa nur Kraͤfte des Zuſam-
mengeſetzten, die in einer Verbindung von Kraͤften ei-
nes unkoͤrperlichen einfachen Weſens mit den Kraͤften
eines innern koͤrperlichen Seelenorgans ihren Grund
haben?
Jn dieſer dunkeln Gegend, die zu dem Jnnern
der Menſchheit gehoͤrt, habe ich, mit dem Senkbley der
Beobachtung in der Hand, etwas herumgeforſchet.
Von dem Wege, den ich genommen habe, und von
dem Erfolg meiner Bemuͤhungen will ich in dieſem Ver-
ſuche Nachricht geben. Jch denke nicht einmal auf eine
Entſchuldigung bey dem philoſophiſchen Leſer, auch bey
dem nicht, der am Ende wohl mit gutem Grunde ſagen
mag: „Nichts mehr, als das?‟
Wenn wir unſere Empfindungen, Vorſtellungen,
Gedanken und Neigungen und die dazu gehoͤrigen Thaͤ-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/180>, abgerufen am 26.11.2024.
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