hin zu wirken, mit und in der die Kraftäußerung er- folget. Sie ist das sich darbietende Objekt; sie ist wie der leichteste Weg, auf dem die wirksame, innerlich ohne sie völlig bestimmte Kraft ihre Wirksamkeit auslässet. Es handelt also die Seele, da wo sie sich selbst bestimmt, aus voller Eigenmacht.
Dieser Satz ist, meiner Meinung nach, eigentlich der Schlüssel, der unsere Selbstgefühle von den freyen Handlungen entziffert. Jch bitte meine scharssinnigen Leser, ihn zu erproben, ob er allenthalben passe. Oben (IX. 2.) habe ichs erinnert, wo die Schwierigkeiten lie- gen. Wir fühlen uns, wenn wir willkürlich und frey wollen und handeln, innerlich nicht bestimmt mehr zum Wollen, als zum Nichtwollen, nicht mehr zum Thun als zum Lassen; nicht mehr zum Sowollen, als zum Anderswollen.
Aber die gefallende Vorstellung gab der Aktion, welche erfolgte, doch ihre eigenen Bestimmungen. Woher diese? Sie haben keinen zureichenden Grund, und bedürfen keines; antwortet der Jndeterminist. Sie müssen einen haben; und daher ist es außer Zweifel, daß wir nicht so unbestimmt vor der Aktion haben seyn können, als die Empfindung es uns wol überreden will. Dieß ist die Antwort der Gegner.
Wie aber, wenn die ganze Voraussetzung zum Theil irrig ist; wenn in der Aktion, welche erfolget, keine besondere Beschaffenheiten vorhanden sind, die sich nicht auch in ihrem Gegentheil finden; so bedarf es auch keines zureichenden Grundes in dem innern Princip vor der Handlung, warum sie mehr erfolgt, als nicht erfolgt, so erfolgt, und nicht anders; so wenig, als es eines besondern Bestimmungsgrundes in dem innern Druck des Wassers am Boden eines Gefäßes bedarf, warum es an der Seite herausspringet, wenn ihm hier die Oeffnung gemacht wird, und nicht vielmehr gerade
unter-
XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit
hin zu wirken, mit und in der die Kraftaͤußerung er- folget. Sie iſt das ſich darbietende Objekt; ſie iſt wie der leichteſte Weg, auf dem die wirkſame, innerlich ohne ſie voͤllig beſtimmte Kraft ihre Wirkſamkeit auslaͤſſet. Es handelt alſo die Seele, da wo ſie ſich ſelbſt beſtimmt, aus voller Eigenmacht.
Dieſer Satz iſt, meiner Meinung nach, eigentlich der Schluͤſſel, der unſere Selbſtgefuͤhle von den freyen Handlungen entziffert. Jch bitte meine ſcharſſinnigen Leſer, ihn zu erproben, ob er allenthalben paſſe. Oben (IX. 2.) habe ichs erinnert, wo die Schwierigkeiten lie- gen. Wir fuͤhlen uns, wenn wir willkuͤrlich und frey wollen und handeln, innerlich nicht beſtimmt mehr zum Wollen, als zum Nichtwollen, nicht mehr zum Thun als zum Laſſen; nicht mehr zum Sowollen, als zum Anderswollen.
Aber die gefallende Vorſtellung gab der Aktion, welche erfolgte, doch ihre eigenen Beſtimmungen. Woher dieſe? Sie haben keinen zureichenden Grund, und beduͤrfen keines; antwortet der Jndeterminiſt. Sie muͤſſen einen haben; und daher iſt es außer Zweifel, daß wir nicht ſo unbeſtimmt vor der Aktion haben ſeyn koͤnnen, als die Empfindung es uns wol uͤberreden will. Dieß iſt die Antwort der Gegner.
Wie aber, wenn die ganze Vorausſetzung zum Theil irrig iſt; wenn in der Aktion, welche erfolget, keine beſondere Beſchaffenheiten vorhanden ſind, die ſich nicht auch in ihrem Gegentheil finden; ſo bedarf es auch keines zureichenden Grundes in dem innern Princip vor der Handlung, warum ſie mehr erfolgt, als nicht erfolgt, ſo erfolgt, und nicht anders; ſo wenig, als es eines beſondern Beſtimmungsgrundes in dem innern Druck des Waſſers am Boden eines Gefaͤßes bedarf, warum es an der Seite herausſpringet, wenn ihm hier die Oeffnung gemacht wird, und nicht vielmehr gerade
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XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit
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der leichteſte Weg, auf dem die wirkſame, innerlich
ohne ſie voͤllig beſtimmte Kraft ihre Wirkſamkeit
auslaͤſſet. Es handelt alſo die Seele, da wo ſie ſich
ſelbſt beſtimmt, aus voller Eigenmacht.
Dieſer Satz iſt, meiner Meinung nach, eigentlich
der Schluͤſſel, der unſere Selbſtgefuͤhle von den freyen
Handlungen entziffert. Jch bitte meine ſcharſſinnigen
Leſer, ihn zu erproben, ob er allenthalben paſſe. Oben
(IX. 2.) habe ichs erinnert, wo die Schwierigkeiten lie-
gen. Wir fuͤhlen uns, wenn wir willkuͤrlich und frey
wollen und handeln, innerlich nicht beſtimmt mehr zum
Wollen, als zum Nichtwollen, nicht mehr zum Thun
als zum Laſſen; nicht mehr zum Sowollen, als zum
Anderswollen.
Aber die gefallende Vorſtellung gab der Aktion,
welche erfolgte, doch ihre eigenen Beſtimmungen.
Woher dieſe? Sie haben keinen zureichenden Grund,
und beduͤrfen keines; antwortet der Jndeterminiſt. Sie
muͤſſen einen haben; und daher iſt es außer Zweifel,
daß wir nicht ſo unbeſtimmt vor der Aktion haben ſeyn
koͤnnen, als die Empfindung es uns wol uͤberreden will.
Dieß iſt die Antwort der Gegner.
Wie aber, wenn die ganze Vorausſetzung zum
Theil irrig iſt; wenn in der Aktion, welche erfolget,
keine beſondere Beſchaffenheiten vorhanden ſind, die ſich
nicht auch in ihrem Gegentheil finden; ſo bedarf es auch
keines zureichenden Grundes in dem innern Princip
vor der Handlung, warum ſie mehr erfolgt, als nicht
erfolgt, ſo erfolgt, und nicht anders; ſo wenig, als es
eines beſondern Beſtimmungsgrundes in dem innern
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/122>, abgerufen am 23.11.2024.
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