Beyhülfe von außen zu ihrer Entwickelung durch eigene innere Kraft nicht gelangen könne, womit hat Hr. Herder dieses widerlegt? Etwan damit, weil der Mensch alsdenn auch keiner Jnstruktion von außen fähig seyn würde, als welche doch auch innere Vernunftkraft voraussetze, um sie annehmen zu können? Hierinn ist nur so viel richtig, daß wo noch nicht einmal ein Anfang von Vernunft ist, da sey der Mensch auch keines eigentlichen Unterrichts fähig; aber kann er deswegen nicht angeführt, nicht gezogen, nicht geleitet werden, wie es die Thiere können! Kann sein blos thierisches Nachahmungsver- mögen nicht erwecket, und unter gewisse Umstände ge- setzet werden, unter denen die gereizte Sinnlichkeit eine solche Richtung nehmen, und ein solches Maaß halten muß, daß die Denkkraft die nächsten und leichtesten Ver- anlassungen antrifft, sich auszulassen? Beider dieser Mittel bedienen wir uns bey unsern Kindern. Süß- milch verlangte nichts mehr, wenigstens war zur Ver- theidigung seiner Meinung nichts mehr erfoderlich, als daß so eine Anführung, als wir unsern Kindern geben, schlechthin jedem Jndividuum unentbehrlich sey, um die sonst zu schwache und zu sehr gehinderte Naturkraft fort- zuhelfen.
Der Mensch hat angebohrnes Reflexionsvermögen. Recht gut. Aber ist dieses so mächtig, als ein Jnstinkt? Der beste Saame, in dem besten Erdreich, kann durch allzuviel Nässe verquellen, oder durch zu große Dörre vermodern, und beides, Nässe und Wärme ist ihm in einem gewissen Verhältniß nothwendig, um nur aus der Erde zu kommen, geschweige denn zur Blüthe zu gelangen? Wo ist der Beweis geführet worden, daß dieser noth- wendige Einfluß von außen nicht fehlen könne, wenn kein Mensch dem andern mit einem Beyspiele vorgehet, und nicht etwan ein höheres Wesen ihm eine nähere Anleitung verschaffet?
Wenn
Anhang
Beyhuͤlfe von außen zu ihrer Entwickelung durch eigene innere Kraft nicht gelangen koͤnne, womit hat Hr. Herder dieſes widerlegt? Etwan damit, weil der Menſch alsdenn auch keiner Jnſtruktion von außen faͤhig ſeyn wuͤrde, als welche doch auch innere Vernunftkraft vorausſetze, um ſie annehmen zu koͤnnen? Hierinn iſt nur ſo viel richtig, daß wo noch nicht einmal ein Anfang von Vernunft iſt, da ſey der Menſch auch keines eigentlichen Unterrichts faͤhig; aber kann er deswegen nicht angefuͤhrt, nicht gezogen, nicht geleitet werden, wie es die Thiere koͤnnen! Kann ſein blos thieriſches Nachahmungsver- moͤgen nicht erwecket, und unter gewiſſe Umſtaͤnde ge- ſetzet werden, unter denen die gereizte Sinnlichkeit eine ſolche Richtung nehmen, und ein ſolches Maaß halten muß, daß die Denkkraft die naͤchſten und leichteſten Ver- anlaſſungen antrifft, ſich auszulaſſen? Beider dieſer Mittel bedienen wir uns bey unſern Kindern. Suͤß- milch verlangte nichts mehr, wenigſtens war zur Ver- theidigung ſeiner Meinung nichts mehr erfoderlich, als daß ſo eine Anfuͤhrung, als wir unſern Kindern geben, ſchlechthin jedem Jndividuum unentbehrlich ſey, um die ſonſt zu ſchwache und zu ſehr gehinderte Naturkraft fort- zuhelfen.
Der Menſch hat angebohrnes Reflexionsvermoͤgen. Recht gut. Aber iſt dieſes ſo maͤchtig, als ein Jnſtinkt? Der beſte Saame, in dem beſten Erdreich, kann durch allzuviel Naͤſſe verquellen, oder durch zu große Doͤrre vermodern, und beides, Naͤſſe und Waͤrme iſt ihm in einem gewiſſen Verhaͤltniß nothwendig, um nur aus der Erde zu kommen, geſchweige denn zur Bluͤthe zu gelangen? Wo iſt der Beweis gefuͤhret worden, daß dieſer noth- wendige Einfluß von außen nicht fehlen koͤnne, wenn kein Menſch dem andern mit einem Beyſpiele vorgehet, und nicht etwan ein hoͤheres Weſen ihm eine naͤhere Anleitung verſchaffet?
Wenn
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0834"n="774"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Anhang</hi></fw><lb/>
Beyhuͤlfe von außen zu ihrer Entwickelung durch eigene<lb/>
innere Kraft nicht gelangen koͤnne, womit hat Hr.<lb/><hirendition="#fr">Herder</hi> dieſes widerlegt? Etwan damit, weil der<lb/>
Menſch alsdenn auch keiner Jnſtruktion von außen faͤhig<lb/>ſeyn wuͤrde, als welche doch auch innere Vernunftkraft<lb/>
vorausſetze, um ſie annehmen zu koͤnnen? Hierinn iſt nur<lb/>ſo viel richtig, daß wo noch nicht einmal ein Anfang von<lb/>
Vernunft iſt, da ſey der Menſch auch keines eigentlichen<lb/>
Unterrichts faͤhig; aber kann er deswegen nicht angefuͤhrt,<lb/>
nicht gezogen, nicht geleitet werden, wie es die Thiere<lb/>
koͤnnen! Kann ſein blos thieriſches Nachahmungsver-<lb/>
moͤgen nicht erwecket, und unter gewiſſe Umſtaͤnde ge-<lb/>ſetzet werden, unter denen die gereizte Sinnlichkeit eine<lb/>ſolche Richtung nehmen, und ein ſolches Maaß halten<lb/>
muß, daß die Denkkraft die naͤchſten und leichteſten Ver-<lb/>
anlaſſungen antrifft, ſich auszulaſſen? Beider dieſer<lb/>
Mittel bedienen wir uns bey unſern Kindern. <hirendition="#fr">Suͤß-<lb/>
milch</hi> verlangte nichts mehr, wenigſtens war zur Ver-<lb/>
theidigung ſeiner Meinung nichts mehr erfoderlich, als<lb/>
daß ſo eine Anfuͤhrung, als wir unſern Kindern geben,<lb/>ſchlechthin jedem Jndividuum unentbehrlich ſey, um die<lb/>ſonſt zu ſchwache und zu ſehr gehinderte Naturkraft fort-<lb/>
zuhelfen.</p><lb/><p>Der Menſch hat angebohrnes Reflexionsvermoͤgen.<lb/>
Recht gut. Aber iſt dieſes ſo maͤchtig, als ein Jnſtinkt?<lb/>
Der beſte Saame, in dem beſten Erdreich, kann durch<lb/>
allzuviel Naͤſſe verquellen, oder durch zu große Doͤrre<lb/>
vermodern, und beides, Naͤſſe und Waͤrme iſt ihm in<lb/>
einem gewiſſen Verhaͤltniß nothwendig, um nur aus der<lb/>
Erde zu kommen, geſchweige denn zur Bluͤthe zu gelangen?<lb/>
Wo iſt der Beweis gefuͤhret worden, daß dieſer noth-<lb/>
wendige Einfluß von außen nicht fehlen koͤnne, wenn kein<lb/>
Menſch dem andern mit einem Beyſpiele vorgehet, und<lb/>
nicht etwan ein hoͤheres Weſen ihm eine naͤhere Anleitung<lb/>
verſchaffet?</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Wenn</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[774/0834]
Anhang
Beyhuͤlfe von außen zu ihrer Entwickelung durch eigene
innere Kraft nicht gelangen koͤnne, womit hat Hr.
Herder dieſes widerlegt? Etwan damit, weil der
Menſch alsdenn auch keiner Jnſtruktion von außen faͤhig
ſeyn wuͤrde, als welche doch auch innere Vernunftkraft
vorausſetze, um ſie annehmen zu koͤnnen? Hierinn iſt nur
ſo viel richtig, daß wo noch nicht einmal ein Anfang von
Vernunft iſt, da ſey der Menſch auch keines eigentlichen
Unterrichts faͤhig; aber kann er deswegen nicht angefuͤhrt,
nicht gezogen, nicht geleitet werden, wie es die Thiere
koͤnnen! Kann ſein blos thieriſches Nachahmungsver-
moͤgen nicht erwecket, und unter gewiſſe Umſtaͤnde ge-
ſetzet werden, unter denen die gereizte Sinnlichkeit eine
ſolche Richtung nehmen, und ein ſolches Maaß halten
muß, daß die Denkkraft die naͤchſten und leichteſten Ver-
anlaſſungen antrifft, ſich auszulaſſen? Beider dieſer
Mittel bedienen wir uns bey unſern Kindern. Suͤß-
milch verlangte nichts mehr, wenigſtens war zur Ver-
theidigung ſeiner Meinung nichts mehr erfoderlich, als
daß ſo eine Anfuͤhrung, als wir unſern Kindern geben,
ſchlechthin jedem Jndividuum unentbehrlich ſey, um die
ſonſt zu ſchwache und zu ſehr gehinderte Naturkraft fort-
zuhelfen.
Der Menſch hat angebohrnes Reflexionsvermoͤgen.
Recht gut. Aber iſt dieſes ſo maͤchtig, als ein Jnſtinkt?
Der beſte Saame, in dem beſten Erdreich, kann durch
allzuviel Naͤſſe verquellen, oder durch zu große Doͤrre
vermodern, und beides, Naͤſſe und Waͤrme iſt ihm in
einem gewiſſen Verhaͤltniß nothwendig, um nur aus der
Erde zu kommen, geſchweige denn zur Bluͤthe zu gelangen?
Wo iſt der Beweis gefuͤhret worden, daß dieſer noth-
wendige Einfluß von außen nicht fehlen koͤnne, wenn kein
Menſch dem andern mit einem Beyſpiele vorgehet, und
nicht etwan ein hoͤheres Weſen ihm eine naͤhere Anleitung
verſchaffet?
Wenn
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 774. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/834>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.