embryonischen Zustande an verbunden, daß wir diese vorzüglich perfektible Selbstthätigkeit noch immer als ein Grundmerkmal gebrauchen können, wenn wir in der Vergleichung der Menschenseelen und der Thiersee- len nicht weiter als auf jenen ersten embryonischen Stand, wo die Ausbildung zum völligen Thiere schon angefan- gen hat, hinausgehen wollen. Und dieß wäre schon weit genug gegangen.
Wenn die vorzügliche Selbstmacht als ein Unter- scheidungsmerkmal der Urkraft der Seele angesehen wird, so wird ein Schluß gemacht von der Anlage, vorzüglich selbstthätig zu werden, auf ein wirklich vorhandenes vor- zügliches Vermögen, auf eine schon in ihr existirende Selbstkraft. Jst diese Folgerung nicht etwas bedenk- lich? Können die wirklichen reellen Vermögen in einem Wesen nicht dermalen geringer und schwächer seyn, als in einem andern, wenn jenes gleich aufgelegt ist, meh- rere als dieß letztere anzunehmen, und in der Folge sich über dieses zu erheben? Jst die treibende Kraft in dem Saamen der Eiche darum innerlich größer, stärker, mächtiger, als in dem Saamen der schneller nach allen Dimensionen sich entwickelnden Kohlstaude, weil jene noch immerfort mehr Vermögen annehmen, sich immer mehr entwickeln und wachsen, und die letztere so weit hinter sich zurücklassen kann?
Wir verlieren uns in die Dunkelheit der Begriffe von Kräften, Vermögen, Anlagen, Graden und Entwickelungen, wenn wir weiter hierinn hin- eingehen, und sammlen höchstens noch Ein Beyspiel mehr zu so vielen andern, wie unentbehrlich zu jeder gründlichen Untersuchung über die Natur der wirklichen Dinge die Auflösung der allgemeinen Verstandesbegriffe, das ist, eine vernünstige Metaphysik sey. Es ist meiner jetzigen Absicht gemäßer, bey der Perfektibilität an Selbstmacht stehen zu bleiben, als noch weiter den Grund
dieser
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der menſchlichen Seele ⁊c.
embryoniſchen Zuſtande an verbunden, daß wir dieſe vorzuͤglich perfektible Selbſtthaͤtigkeit noch immer als ein Grundmerkmal gebrauchen koͤnnen, wenn wir in der Vergleichung der Menſchenſeelen und der Thierſee- len nicht weiter als auf jenen erſten embryoniſchen Stand, wo die Ausbildung zum voͤlligen Thiere ſchon angefan- gen hat, hinausgehen wollen. Und dieß waͤre ſchon weit genug gegangen.
Wenn die vorzuͤgliche Selbſtmacht als ein Unter- ſcheidungsmerkmal der Urkraft der Seele angeſehen wird, ſo wird ein Schluß gemacht von der Anlage, vorzuͤglich ſelbſtthaͤtig zu werden, auf ein wirklich vorhandenes vor- zuͤgliches Vermoͤgen, auf eine ſchon in ihr exiſtirende Selbſtkraft. Jſt dieſe Folgerung nicht etwas bedenk- lich? Koͤnnen die wirklichen reellen Vermoͤgen in einem Weſen nicht dermalen geringer und ſchwaͤcher ſeyn, als in einem andern, wenn jenes gleich aufgelegt iſt, meh- rere als dieß letztere anzunehmen, und in der Folge ſich uͤber dieſes zu erheben? Jſt die treibende Kraft in dem Saamen der Eiche darum innerlich groͤßer, ſtaͤrker, maͤchtiger, als in dem Saamen der ſchneller nach allen Dimenſionen ſich entwickelnden Kohlſtaude, weil jene noch immerfort mehr Vermoͤgen annehmen, ſich immer mehr entwickeln und wachſen, und die letztere ſo weit hinter ſich zuruͤcklaſſen kann?
Wir verlieren uns in die Dunkelheit der Begriffe von Kraͤften, Vermoͤgen, Anlagen, Graden und Entwickelungen, wenn wir weiter hierinn hin- eingehen, und ſammlen hoͤchſtens noch Ein Beyſpiel mehr zu ſo vielen andern, wie unentbehrlich zu jeder gruͤndlichen Unterſuchung uͤber die Natur der wirklichen Dinge die Aufloͤſung der allgemeinen Verſtandesbegriffe, das iſt, eine vernuͤnſtige Metaphyſik ſey. Es iſt meiner jetzigen Abſicht gemaͤßer, bey der Perfektibilitaͤt an Selbſtmacht ſtehen zu bleiben, als noch weiter den Grund
dieſer
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der menſchlichen Seele ⁊c.
embryoniſchen Zuſtande an verbunden, daß wir dieſe
vorzuͤglich perfektible Selbſtthaͤtigkeit noch immer
als ein Grundmerkmal gebrauchen koͤnnen, wenn wir in
der Vergleichung der Menſchenſeelen und der Thierſee-
len nicht weiter als auf jenen erſten embryoniſchen Stand,
wo die Ausbildung zum voͤlligen Thiere ſchon angefan-
gen hat, hinausgehen wollen. Und dieß waͤre ſchon weit
genug gegangen.
Wenn die vorzuͤgliche Selbſtmacht als ein Unter-
ſcheidungsmerkmal der Urkraft der Seele angeſehen wird,
ſo wird ein Schluß gemacht von der Anlage, vorzuͤglich
ſelbſtthaͤtig zu werden, auf ein wirklich vorhandenes vor-
zuͤgliches Vermoͤgen, auf eine ſchon in ihr exiſtirende
Selbſtkraft. Jſt dieſe Folgerung nicht etwas bedenk-
lich? Koͤnnen die wirklichen reellen Vermoͤgen in einem
Weſen nicht dermalen geringer und ſchwaͤcher ſeyn, als
in einem andern, wenn jenes gleich aufgelegt iſt, meh-
rere als dieß letztere anzunehmen, und in der Folge ſich
uͤber dieſes zu erheben? Jſt die treibende Kraft in dem
Saamen der Eiche darum innerlich groͤßer, ſtaͤrker,
maͤchtiger, als in dem Saamen der ſchneller nach allen
Dimenſionen ſich entwickelnden Kohlſtaude, weil jene
noch immerfort mehr Vermoͤgen annehmen, ſich immer
mehr entwickeln und wachſen, und die letztere ſo weit
hinter ſich zuruͤcklaſſen kann?
Wir verlieren uns in die Dunkelheit der Begriffe
von Kraͤften, Vermoͤgen, Anlagen, Graden
und Entwickelungen, wenn wir weiter hierinn hin-
eingehen, und ſammlen hoͤchſtens noch Ein Beyſpiel
mehr zu ſo vielen andern, wie unentbehrlich zu jeder
gruͤndlichen Unterſuchung uͤber die Natur der wirklichen
Dinge die Aufloͤſung der allgemeinen Verſtandesbegriffe,
das iſt, eine vernuͤnſtige Metaphyſik ſey. Es iſt meiner
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 759. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/819>, abgerufen am 24.11.2024.
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