Die vorhergehenden allgemeinen Erfahrungssätze führen uns zu einer entferntern Ursache, wovon das un- gleiche Verhältniß entstehet, in welchem die Grundver- mögen der Seele, das Gefühl, der Verstand und die Thätigkeitskraft bey verschiedenen Jndividuen entwickelt werden. Die nächste Folgerung aus dem vorhergehen- den ist diese: Da die äußere Welt für die Menschen- seelen, im Anfang wenigstens für die Kinder fast diesel- bige ist, da jedweder gutorganisirter Mensch, durch alle Sinne gleichartige Eindrücke von gleichen Gegenständen empfängt, so kann, wenn alles übrige gleich ist, die ver- schiedene Art, womit die von außen auffallenden Verän- derungen aufgenommen und zu Empfindungen ge- macht werden, allein schon den Unterschied zwischen den Menschen von Empfindung, von Verstande und von Geschäftigkeit, veranlassen. Laß die Organe so einge- richtet seyn, daß sie überhaupt die Eindrücke von den Objekten etwas mäßigen, sie zerstreuen, auseinander setzen; oder laß sie ihrer Feinheit wegen mehr solche durch- lassen, die so beschaffen sind, als andere; oder laß die Receptivität der Seele selbst ein wenig mehr von einer zerstreuenden Kraft, wenn das Vermögen die auf- fallenden Eindrücke auseinander zu setzen, und sie da- durch gemäßigter und deutlicher zu machen, so genennet werden darf, an sich haben; oder endlich, laß beides, die harmonische Disposition in den Organen, und in der Seelenkraft -- nach welcher psychologischen Hypothese man sichs vorstellen will, -- zu dieser Zertheilung und Mäßigung der Jmpressionen beytragen; so ist die An- lage schon vorhanden zu einer vorzüglichen Entwickelung der Vorstellungskraft und des Verstandes. Solche Eindrücke sind es eben, die am leichtesten bey der Ab- wesenheit ihrer ersten Ursachen durch die Anwendung der innern Kraft hervorgezogen und erneuert werden können,
wozu
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der Vorſtellungskraft ⁊c.
8.
Die vorhergehenden allgemeinen Erfahrungsſaͤtze fuͤhren uns zu einer entferntern Urſache, wovon das un- gleiche Verhaͤltniß entſtehet, in welchem die Grundver- moͤgen der Seele, das Gefuͤhl, der Verſtand und die Thaͤtigkeitskraft bey verſchiedenen Jndividuen entwickelt werden. Die naͤchſte Folgerung aus dem vorhergehen- den iſt dieſe: Da die aͤußere Welt fuͤr die Menſchen- ſeelen, im Anfang wenigſtens fuͤr die Kinder faſt dieſel- bige iſt, da jedweder gutorganiſirter Menſch, durch alle Sinne gleichartige Eindruͤcke von gleichen Gegenſtaͤnden empfaͤngt, ſo kann, wenn alles uͤbrige gleich iſt, die ver- ſchiedene Art, womit die von außen auffallenden Veraͤn- derungen aufgenommen und zu Empfindungen ge- macht werden, allein ſchon den Unterſchied zwiſchen den Menſchen von Empfindung, von Verſtande und von Geſchaͤftigkeit, veranlaſſen. Laß die Organe ſo einge- richtet ſeyn, daß ſie uͤberhaupt die Eindruͤcke von den Objekten etwas maͤßigen, ſie zerſtreuen, auseinander ſetzen; oder laß ſie ihrer Feinheit wegen mehr ſolche durch- laſſen, die ſo beſchaffen ſind, als andere; oder laß die Receptivitaͤt der Seele ſelbſt ein wenig mehr von einer zerſtreuenden Kraft, wenn das Vermoͤgen die auf- fallenden Eindruͤcke auseinander zu ſetzen, und ſie da- durch gemaͤßigter und deutlicher zu machen, ſo genennet werden darf, an ſich haben; oder endlich, laß beides, die harmoniſche Diſpoſition in den Organen, und in der Seelenkraft — nach welcher pſychologiſchen Hypotheſe man ſichs vorſtellen will, — zu dieſer Zertheilung und Maͤßigung der Jmpreſſionen beytragen; ſo iſt die An- lage ſchon vorhanden zu einer vorzuͤglichen Entwickelung der Vorſtellungskraft und des Verſtandes. Solche Eindruͤcke ſind es eben, die am leichteſten bey der Ab- weſenheit ihrer erſten Urſachen durch die Anwendung der innern Kraft hervorgezogen und erneuert werden koͤnnen,
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der Vorſtellungskraft ⁊c.
8.
Die vorhergehenden allgemeinen Erfahrungsſaͤtze
fuͤhren uns zu einer entferntern Urſache, wovon das un-
gleiche Verhaͤltniß entſtehet, in welchem die Grundver-
moͤgen der Seele, das Gefuͤhl, der Verſtand und die
Thaͤtigkeitskraft bey verſchiedenen Jndividuen entwickelt
werden. Die naͤchſte Folgerung aus dem vorhergehen-
den iſt dieſe: Da die aͤußere Welt fuͤr die Menſchen-
ſeelen, im Anfang wenigſtens fuͤr die Kinder faſt dieſel-
bige iſt, da jedweder gutorganiſirter Menſch, durch alle
Sinne gleichartige Eindruͤcke von gleichen Gegenſtaͤnden
empfaͤngt, ſo kann, wenn alles uͤbrige gleich iſt, die ver-
ſchiedene Art, womit die von außen auffallenden Veraͤn-
derungen aufgenommen und zu Empfindungen ge-
macht werden, allein ſchon den Unterſchied zwiſchen den
Menſchen von Empfindung, von Verſtande und von
Geſchaͤftigkeit, veranlaſſen. Laß die Organe ſo einge-
richtet ſeyn, daß ſie uͤberhaupt die Eindruͤcke von den
Objekten etwas maͤßigen, ſie zerſtreuen, auseinander
ſetzen; oder laß ſie ihrer Feinheit wegen mehr ſolche durch-
laſſen, die ſo beſchaffen ſind, als andere; oder laß die
Receptivitaͤt der Seele ſelbſt ein wenig mehr von einer
zerſtreuenden Kraft, wenn das Vermoͤgen die auf-
fallenden Eindruͤcke auseinander zu ſetzen, und ſie da-
durch gemaͤßigter und deutlicher zu machen, ſo genennet
werden darf, an ſich haben; oder endlich, laß beides,
die harmoniſche Diſpoſition in den Organen, und in der
Seelenkraft — nach welcher pſychologiſchen Hypotheſe
man ſichs vorſtellen will, — zu dieſer Zertheilung und
Maͤßigung der Jmpreſſionen beytragen; ſo iſt die An-
lage ſchon vorhanden zu einer vorzuͤglichen Entwickelung
der Vorſtellungskraft und des Verſtandes. Solche
Eindruͤcke ſind es eben, die am leichteſten bey der Ab-
weſenheit ihrer erſten Urſachen durch die Anwendung der
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 727. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/787>, abgerufen am 03.12.2024.
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