Dieß ist allen Nachmachungen gemeinschaftlich; aber ihre vornehmsten Verschiedenheiten rühren von der verschiedenen Art her: "wie die äußere Gestalt, wor- "inn die Aktion dem Nachahmer erscheint, das ist, ihre "Empfindung durch die äußern Sinne, mit der repro- "ducirten Vorstellung von derselben in dem Nachah- "mer, und mit Stimmung seiner Kräfte zu der ähnli- "chen Wirkungsart in Verbindung stehet." Jene äußere Empfindung ist es doch allein, was er empfängt, und diese allein muß ihn zum Nachmachen bestimmen, es sey nun, daß er willkührlich sich selbst zum Nachmachen entschließt, oder daß er es thut, ehe er darum gewahr wird.
Sehen wir nur auf die einfachen Fälle, und lassen die zusammengesetzten noch zurück, so stellen sich uns fol- gende dar.
Die nachzumachende Aktion sey noch niemals vor- her von dem, der sie nachmachet, unternommen worden. Also ist auch nichts weiter als ein bloßes Vermögen da- zu vorhanden, ohne eine Vorstellung von ihr; es mag das Vermögen von Natur stark seyn, und mit einer Fer- tigkeit, wie ein Jnstinkt wirken, oder schwächer, so mag vielleicht die Empfindung von der fremden Aktion einen physischen Einfluß auf das Vermögen des Nachmachers haben, und seine Kräfte durch die ähnlichen Empfind- nisse reizen und bestimmen, durch welche sie solche in dem erstern gereizet und bestimmet hat. Dieß ist die erste Art der Verbindung zwischen der Aktion und derjenigen, die ihr nachgemacht wird. Der Nachahmer wird durch eine Empfindung einem andern nachgestimmet. Die heitere Miene eines andern, sein Lachen, sein Singen, macht mich mit ihm aufgeräumt und bringt mich dazu, daß ich mit lache. Jch führe diese Beyspiele hier nur zur Erläu- terung an. Wenn man sie genauer zergliedert, so gehö- ren sie wenigstens nicht gänzlich hieher, indem auch die
folgen-
X. Verſuch. Ueber die Beziehung
Dieß iſt allen Nachmachungen gemeinſchaftlich; aber ihre vornehmſten Verſchiedenheiten ruͤhren von der verſchiedenen Art her: „wie die aͤußere Geſtalt, wor- „inn die Aktion dem Nachahmer erſcheint, das iſt, ihre „Empfindung durch die aͤußern Sinne, mit der repro- „ducirten Vorſtellung von derſelben in dem Nachah- „mer, und mit Stimmung ſeiner Kraͤfte zu der aͤhnli- „chen Wirkungsart in Verbindung ſtehet.‟ Jene aͤußere Empfindung iſt es doch allein, was er empfaͤngt, und dieſe allein muß ihn zum Nachmachen beſtimmen, es ſey nun, daß er willkuͤhrlich ſich ſelbſt zum Nachmachen entſchließt, oder daß er es thut, ehe er darum gewahr wird.
Sehen wir nur auf die einfachen Faͤlle, und laſſen die zuſammengeſetzten noch zuruͤck, ſo ſtellen ſich uns fol- gende dar.
Die nachzumachende Aktion ſey noch niemals vor- her von dem, der ſie nachmachet, unternommen worden. Alſo iſt auch nichts weiter als ein bloßes Vermoͤgen da- zu vorhanden, ohne eine Vorſtellung von ihr; es mag das Vermoͤgen von Natur ſtark ſeyn, und mit einer Fer- tigkeit, wie ein Jnſtinkt wirken, oder ſchwaͤcher, ſo mag vielleicht die Empfindung von der fremden Aktion einen phyſiſchen Einfluß auf das Vermoͤgen des Nachmachers haben, und ſeine Kraͤfte durch die aͤhnlichen Empfind- niſſe reizen und beſtimmen, durch welche ſie ſolche in dem erſtern gereizet und beſtimmet hat. Dieß iſt die erſte Art der Verbindung zwiſchen der Aktion und derjenigen, die ihr nachgemacht wird. Der Nachahmer wird durch eine Empfindung einem andern nachgeſtimmet. Die heitere Miene eines andern, ſein Lachen, ſein Singen, macht mich mit ihm aufgeraͤumt und bringt mich dazu, daß ich mit lache. Jch fuͤhre dieſe Beyſpiele hier nur zur Erlaͤu- terung an. Wenn man ſie genauer zergliedert, ſo gehoͤ- ren ſie wenigſtens nicht gaͤnzlich hieher, indem auch die
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X. Verſuch. Ueber die Beziehung
Dieß iſt allen Nachmachungen gemeinſchaftlich;
aber ihre vornehmſten Verſchiedenheiten ruͤhren von der
verſchiedenen Art her: „wie die aͤußere Geſtalt, wor-
„inn die Aktion dem Nachahmer erſcheint, das iſt, ihre
„Empfindung durch die aͤußern Sinne, mit der repro-
„ducirten Vorſtellung von derſelben in dem Nachah-
„mer, und mit Stimmung ſeiner Kraͤfte zu der aͤhnli-
„chen Wirkungsart in Verbindung ſtehet.‟ Jene
aͤußere Empfindung iſt es doch allein, was er empfaͤngt,
und dieſe allein muß ihn zum Nachmachen beſtimmen, es
ſey nun, daß er willkuͤhrlich ſich ſelbſt zum Nachmachen
entſchließt, oder daß er es thut, ehe er darum gewahr
wird.
Sehen wir nur auf die einfachen Faͤlle, und laſſen
die zuſammengeſetzten noch zuruͤck, ſo ſtellen ſich uns fol-
gende dar.
Die nachzumachende Aktion ſey noch niemals vor-
her von dem, der ſie nachmachet, unternommen worden.
Alſo iſt auch nichts weiter als ein bloßes Vermoͤgen da-
zu vorhanden, ohne eine Vorſtellung von ihr; es mag
das Vermoͤgen von Natur ſtark ſeyn, und mit einer Fer-
tigkeit, wie ein Jnſtinkt wirken, oder ſchwaͤcher, ſo mag
vielleicht die Empfindung von der fremden Aktion einen
phyſiſchen Einfluß auf das Vermoͤgen des Nachmachers
haben, und ſeine Kraͤfte durch die aͤhnlichen Empfind-
niſſe reizen und beſtimmen, durch welche ſie ſolche in dem
erſtern gereizet und beſtimmet hat. Dieß iſt die erſte
Art der Verbindung zwiſchen der Aktion und derjenigen,
die ihr nachgemacht wird. Der Nachahmer wird durch
eine Empfindung einem andern nachgeſtimmet.
Die heitere Miene eines andern, ſein Lachen, ſein Singen,
macht mich mit ihm aufgeraͤumt und bringt mich dazu, daß
ich mit lache. Jch fuͤhre dieſe Beyſpiele hier nur zur Erlaͤu-
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ren ſie wenigſtens nicht gaͤnzlich hieher, indem auch die
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 674. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/734>, abgerufen am 22.11.2024.
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