get darinn. Wie kann eine Aktion nachgemachet wer- den, die ein anderer vor unsern Augen vornimmt, da wir doch von ihr weiter nichts sehen, als ihre Außenseite, oder den Theil von Veränderungen, der in die äußern Sinne fällt, und den man kennen kann, ohne von dem Jnnern der Handlung selbst die geringste Jdee zu erlan- gen? Wir sehen nicht in das Jnnerste des Menschen, wir fühlen seine Anstrengungen nicht, sondern nur ihre äußerlichen Wirkungen, wie werden wir denn geschickt gemacht, uns in seine Lage zu versetzen, das nämliche innerlich zu empfinden, wie er, und unsere Kraft in die nämliche Richtung zu lenken, welche die seinige hat?
Diese Frage gränzet an die zwote: "Wie wirket "unser Mitgefühl?" Wir sehen Thränen in den Au- gen eines andern; dieß ist eine Gesichtsempfindung, wie entstehet in der Seele die Traurigkeit? Es ist zwar eine ursachliche Verbindung zwischen der Gemüthsbewegung in der Seele und zwischen ihrem äußern Ausbruch in den Augen, und wenn also unser Auge zum Weinen ge- bracht würde, so würde das Herz das Empfindniß an- nehmen, welches von jenen die Quelle ist; aber da wir nur die Thränen bey andern sehen; woher entsteht die Verbindung zwischen dieser Gesichtsempfindung und zwi- schen dem Gefühl in der Seele? Jst diese ursprünglich natürlich, oder ist sie hinzugekommen, und eine Wir- kung von der Jdeenverknüpsung? die Beantwortung der obigen Frage wird die Beantwortung dieser letztern zu- gleich mit an die Hand geben.
Wenn ein Genie zum Malen dem Meister zusiehet, der ihm vorarbeitet, so besteht alles, was er an dieser Aktion mit den Augen siehet, in einer Reihe von sichtli- chen Veränderungen, die für sich zwar allein empfunden werden können, aber doch solche genau entsprechende Wirkungen der malenden Handlung sind, daß sie nir- gends anders entstehen, als da, wo die sie bewirkende
Hand-
T t 5
der Vorſtellungskraft ⁊c.
get darinn. Wie kann eine Aktion nachgemachet wer- den, die ein anderer vor unſern Augen vornimmt, da wir doch von ihr weiter nichts ſehen, als ihre Außenſeite, oder den Theil von Veraͤnderungen, der in die aͤußern Sinne faͤllt, und den man kennen kann, ohne von dem Jnnern der Handlung ſelbſt die geringſte Jdee zu erlan- gen? Wir ſehen nicht in das Jnnerſte des Menſchen, wir fuͤhlen ſeine Anſtrengungen nicht, ſondern nur ihre aͤußerlichen Wirkungen, wie werden wir denn geſchickt gemacht, uns in ſeine Lage zu verſetzen, das naͤmliche innerlich zu empfinden, wie er, und unſere Kraft in die naͤmliche Richtung zu lenken, welche die ſeinige hat?
Dieſe Frage graͤnzet an die zwote: „Wie wirket „unſer Mitgefuͤhl?‟ Wir ſehen Thraͤnen in den Au- gen eines andern; dieß iſt eine Geſichtsempfindung, wie entſtehet in der Seele die Traurigkeit? Es iſt zwar eine urſachliche Verbindung zwiſchen der Gemuͤthsbewegung in der Seele und zwiſchen ihrem aͤußern Ausbruch in den Augen, und wenn alſo unſer Auge zum Weinen ge- bracht wuͤrde, ſo wuͤrde das Herz das Empfindniß an- nehmen, welches von jenen die Quelle iſt; aber da wir nur die Thraͤnen bey andern ſehen; woher entſteht die Verbindung zwiſchen dieſer Geſichtsempfindung und zwi- ſchen dem Gefuͤhl in der Seele? Jſt dieſe urſpruͤnglich natuͤrlich, oder iſt ſie hinzugekommen, und eine Wir- kung von der Jdeenverknuͤpſung? die Beantwortung der obigen Frage wird die Beantwortung dieſer letztern zu- gleich mit an die Hand geben.
Wenn ein Genie zum Malen dem Meiſter zuſiehet, der ihm vorarbeitet, ſo beſteht alles, was er an dieſer Aktion mit den Augen ſiehet, in einer Reihe von ſichtli- chen Veraͤnderungen, die fuͤr ſich zwar allein empfunden werden koͤnnen, aber doch ſolche genau entſprechende Wirkungen der malenden Handlung ſind, daß ſie nir- gends anders entſtehen, als da, wo die ſie bewirkende
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der Vorſtellungskraft ⁊c.
get darinn. Wie kann eine Aktion nachgemachet wer-
den, die ein anderer vor unſern Augen vornimmt, da
wir doch von ihr weiter nichts ſehen, als ihre Außenſeite,
oder den Theil von Veraͤnderungen, der in die aͤußern
Sinne faͤllt, und den man kennen kann, ohne von dem
Jnnern der Handlung ſelbſt die geringſte Jdee zu erlan-
gen? Wir ſehen nicht in das Jnnerſte des Menſchen,
wir fuͤhlen ſeine Anſtrengungen nicht, ſondern nur ihre
aͤußerlichen Wirkungen, wie werden wir denn geſchickt
gemacht, uns in ſeine Lage zu verſetzen, das naͤmliche
innerlich zu empfinden, wie er, und unſere Kraft in die
naͤmliche Richtung zu lenken, welche die ſeinige hat?
Dieſe Frage graͤnzet an die zwote: „Wie wirket
„unſer Mitgefuͤhl?‟ Wir ſehen Thraͤnen in den Au-
gen eines andern; dieß iſt eine Geſichtsempfindung, wie
entſtehet in der Seele die Traurigkeit? Es iſt zwar eine
urſachliche Verbindung zwiſchen der Gemuͤthsbewegung
in der Seele und zwiſchen ihrem aͤußern Ausbruch in den
Augen, und wenn alſo unſer Auge zum Weinen ge-
bracht wuͤrde, ſo wuͤrde das Herz das Empfindniß an-
nehmen, welches von jenen die Quelle iſt; aber da wir
nur die Thraͤnen bey andern ſehen; woher entſteht die
Verbindung zwiſchen dieſer Geſichtsempfindung und zwi-
ſchen dem Gefuͤhl in der Seele? Jſt dieſe urſpruͤnglich
natuͤrlich, oder iſt ſie hinzugekommen, und eine Wir-
kung von der Jdeenverknuͤpſung? die Beantwortung der
obigen Frage wird die Beantwortung dieſer letztern zu-
gleich mit an die Hand geben.
Wenn ein Genie zum Malen dem Meiſter zuſiehet,
der ihm vorarbeitet, ſo beſteht alles, was er an dieſer
Aktion mit den Augen ſiehet, in einer Reihe von ſichtli-
chen Veraͤnderungen, die fuͤr ſich zwar allein empfunden
werden koͤnnen, aber doch ſolche genau entſprechende
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 665. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/725>, abgerufen am 21.11.2024.
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