Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

der Vorstellungskraft etc.
sie nicht so gleich sich gänzlich mit jener äußern kann.
Wenn nun aber diese Nebenanlässe die Kraft von ih-
rer stärkern Richtung nicht abwenden, so halten sie solche
nur auf, und machen es ihr möglich, länger dieselbige
Art der Wirksamkeit fortzusetzen.

Das zu schnelle Ablaufen der Kraft ist eine Unvoll-
kommenheit, wenn es aus einem Mangel an associirten
Jdeen herrühret, die entweder in der Seele nicht sind,
oder von ihr nicht verbunden werden können. So ist es
mit der Lebhaftigkeit der Kinder, die allemal ein Beweis
ist von einem gewissen Grad der Stärke, aber zugleich
auf der andern Seite Schwäche verräth, welche entwe-
der keine zurückhaltende Vorstellungen in sich hat, oder
sie nicht zu gebrauchen weis. Aber sie ist eine Vollkom-
menheit, wenn es nicht der Mangel an Vorstellungen,
sondern die Selbstthätigkeit der Seele ist, welche die
Thätigkeit beschleuniget, indem sie die zerstreuende und
aufhaltende Vorstellungen unterdrücket, zurückhält, und
dadurch die ganze Stärke der Kraft auf Eine Sache und
auf einen Zeitpunkt zusammendränget.

Gleichfalls ist das Allmählige in der Handlung
eine Unvollkommenheit und Schwäche, wenn die Fer-
tigkeit zu wenig ein Eins ist, und ihre Theile durch ein-
gemischte fremde Vorstellungen zu sehr von einander ab-
gesondert sind, um auf Einen Punkt zusammengebracht
werden zu können. So ist auch in diesem Fall das Zau-
dern über eine Sache eine Schwäche, weil es ein Unver-
mögen zum Grunde hat, die fremden Vorstellungen,
welche die Aktion aufhalten, genugsam zu entfernen.
Aber es ist Stärke und Vollkommenheit, wenn die Seele
aus Eigenmacht fremde Vorstellungen in sich unterhal-
ten, und mit diesen wie mit Sperrädern die zu schnelle
Aeußerung des Vermögens hindern, und dessen Wirk-
samkeit in die Länge ziehen kann. Sie schonet alsdenn
ihr Feuer, bedecket es mit neuen Kohlen, und bespritzet

es
T t 4

der Vorſtellungskraft ⁊c.
ſie nicht ſo gleich ſich gaͤnzlich mit jener aͤußern kann.
Wenn nun aber dieſe Nebenanlaͤſſe die Kraft von ih-
rer ſtaͤrkern Richtung nicht abwenden, ſo halten ſie ſolche
nur auf, und machen es ihr moͤglich, laͤnger dieſelbige
Art der Wirkſamkeit fortzuſetzen.

Das zu ſchnelle Ablaufen der Kraft iſt eine Unvoll-
kommenheit, wenn es aus einem Mangel an aſſociirten
Jdeen herruͤhret, die entweder in der Seele nicht ſind,
oder von ihr nicht verbunden werden koͤnnen. So iſt es
mit der Lebhaftigkeit der Kinder, die allemal ein Beweis
iſt von einem gewiſſen Grad der Staͤrke, aber zugleich
auf der andern Seite Schwaͤche verraͤth, welche entwe-
der keine zuruͤckhaltende Vorſtellungen in ſich hat, oder
ſie nicht zu gebrauchen weis. Aber ſie iſt eine Vollkom-
menheit, wenn es nicht der Mangel an Vorſtellungen,
ſondern die Selbſtthaͤtigkeit der Seele iſt, welche die
Thaͤtigkeit beſchleuniget, indem ſie die zerſtreuende und
aufhaltende Vorſtellungen unterdruͤcket, zuruͤckhaͤlt, und
dadurch die ganze Staͤrke der Kraft auf Eine Sache und
auf einen Zeitpunkt zuſammendraͤnget.

Gleichfalls iſt das Allmaͤhlige in der Handlung
eine Unvollkommenheit und Schwaͤche, wenn die Fer-
tigkeit zu wenig ein Eins iſt, und ihre Theile durch ein-
gemiſchte fremde Vorſtellungen zu ſehr von einander ab-
geſondert ſind, um auf Einen Punkt zuſammengebracht
werden zu koͤnnen. So iſt auch in dieſem Fall das Zau-
dern uͤber eine Sache eine Schwaͤche, weil es ein Unver-
moͤgen zum Grunde hat, die fremden Vorſtellungen,
welche die Aktion aufhalten, genugſam zu entfernen.
Aber es iſt Staͤrke und Vollkommenheit, wenn die Seele
aus Eigenmacht fremde Vorſtellungen in ſich unterhal-
ten, und mit dieſen wie mit Sperraͤdern die zu ſchnelle
Aeußerung des Vermoͤgens hindern, und deſſen Wirk-
ſamkeit in die Laͤnge ziehen kann. Sie ſchonet alsdenn
ihr Feuer, bedecket es mit neuen Kohlen, und beſpritzet

es
T t 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0723" n="663"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der Vor&#x017F;tellungskraft &#x204A;c.</hi></fw><lb/>
&#x017F;ie nicht &#x017F;o gleich &#x017F;ich ga&#x0364;nzlich mit jener a&#x0364;ußern kann.<lb/>
Wenn nun aber die&#x017F;e Nebenanla&#x0364;&#x017F;&#x017F;e die Kraft von ih-<lb/>
rer &#x017F;ta&#x0364;rkern Richtung nicht abwenden, &#x017F;o halten &#x017F;ie &#x017F;olche<lb/>
nur auf, und machen es ihr mo&#x0364;glich, la&#x0364;nger die&#x017F;elbige<lb/>
Art der Wirk&#x017F;amkeit fortzu&#x017F;etzen.</p><lb/>
            <p>Das zu &#x017F;chnelle Ablaufen der Kraft i&#x017F;t eine Unvoll-<lb/>
kommenheit, wenn es aus einem Mangel an a&#x017F;&#x017F;ociirten<lb/>
Jdeen herru&#x0364;hret, die entweder in der Seele nicht &#x017F;ind,<lb/>
oder von ihr nicht verbunden werden ko&#x0364;nnen. So i&#x017F;t es<lb/>
mit der Lebhaftigkeit der Kinder, die allemal ein Beweis<lb/>
i&#x017F;t von einem gewi&#x017F;&#x017F;en Grad der Sta&#x0364;rke, aber zugleich<lb/>
auf der andern Seite Schwa&#x0364;che verra&#x0364;th, welche entwe-<lb/>
der keine zuru&#x0364;ckhaltende Vor&#x017F;tellungen in &#x017F;ich hat, oder<lb/>
&#x017F;ie nicht zu gebrauchen weis. Aber &#x017F;ie i&#x017F;t eine Vollkom-<lb/>
menheit, wenn es nicht der Mangel an Vor&#x017F;tellungen,<lb/>
&#x017F;ondern die Selb&#x017F;ttha&#x0364;tigkeit der Seele i&#x017F;t, welche die<lb/>
Tha&#x0364;tigkeit be&#x017F;chleuniget, indem &#x017F;ie die zer&#x017F;treuende und<lb/>
aufhaltende Vor&#x017F;tellungen unterdru&#x0364;cket, zuru&#x0364;ckha&#x0364;lt, und<lb/>
dadurch die ganze Sta&#x0364;rke der Kraft auf Eine Sache und<lb/>
auf einen Zeitpunkt zu&#x017F;ammendra&#x0364;nget.</p><lb/>
            <p>Gleichfalls i&#x017F;t das <hi rendition="#fr">Allma&#x0364;hlige</hi> in der Handlung<lb/>
eine Unvollkommenheit und Schwa&#x0364;che, wenn die Fer-<lb/>
tigkeit zu wenig ein Eins i&#x017F;t, und ihre Theile durch ein-<lb/>
gemi&#x017F;chte fremde Vor&#x017F;tellungen zu &#x017F;ehr von einander ab-<lb/>
ge&#x017F;ondert &#x017F;ind, um auf Einen Punkt zu&#x017F;ammengebracht<lb/>
werden zu ko&#x0364;nnen. So i&#x017F;t auch in die&#x017F;em Fall das Zau-<lb/>
dern u&#x0364;ber eine Sache eine Schwa&#x0364;che, weil es ein Unver-<lb/>
mo&#x0364;gen zum Grunde hat, die fremden Vor&#x017F;tellungen,<lb/>
welche die Aktion aufhalten, genug&#x017F;am zu entfernen.<lb/>
Aber es i&#x017F;t Sta&#x0364;rke und Vollkommenheit, wenn die Seele<lb/>
aus Eigenmacht fremde Vor&#x017F;tellungen in &#x017F;ich unterhal-<lb/>
ten, und mit die&#x017F;en wie mit Sperra&#x0364;dern die zu &#x017F;chnelle<lb/>
Aeußerung des Vermo&#x0364;gens hindern, und de&#x017F;&#x017F;en Wirk-<lb/>
&#x017F;amkeit in die La&#x0364;nge ziehen kann. Sie &#x017F;chonet alsdenn<lb/>
ihr Feuer, bedecket es mit neuen Kohlen, und be&#x017F;pritzet<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">T t 4</fw><fw place="bottom" type="catch">es</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[663/0723] der Vorſtellungskraft ⁊c. ſie nicht ſo gleich ſich gaͤnzlich mit jener aͤußern kann. Wenn nun aber dieſe Nebenanlaͤſſe die Kraft von ih- rer ſtaͤrkern Richtung nicht abwenden, ſo halten ſie ſolche nur auf, und machen es ihr moͤglich, laͤnger dieſelbige Art der Wirkſamkeit fortzuſetzen. Das zu ſchnelle Ablaufen der Kraft iſt eine Unvoll- kommenheit, wenn es aus einem Mangel an aſſociirten Jdeen herruͤhret, die entweder in der Seele nicht ſind, oder von ihr nicht verbunden werden koͤnnen. So iſt es mit der Lebhaftigkeit der Kinder, die allemal ein Beweis iſt von einem gewiſſen Grad der Staͤrke, aber zugleich auf der andern Seite Schwaͤche verraͤth, welche entwe- der keine zuruͤckhaltende Vorſtellungen in ſich hat, oder ſie nicht zu gebrauchen weis. Aber ſie iſt eine Vollkom- menheit, wenn es nicht der Mangel an Vorſtellungen, ſondern die Selbſtthaͤtigkeit der Seele iſt, welche die Thaͤtigkeit beſchleuniget, indem ſie die zerſtreuende und aufhaltende Vorſtellungen unterdruͤcket, zuruͤckhaͤlt, und dadurch die ganze Staͤrke der Kraft auf Eine Sache und auf einen Zeitpunkt zuſammendraͤnget. Gleichfalls iſt das Allmaͤhlige in der Handlung eine Unvollkommenheit und Schwaͤche, wenn die Fer- tigkeit zu wenig ein Eins iſt, und ihre Theile durch ein- gemiſchte fremde Vorſtellungen zu ſehr von einander ab- geſondert ſind, um auf Einen Punkt zuſammengebracht werden zu koͤnnen. So iſt auch in dieſem Fall das Zau- dern uͤber eine Sache eine Schwaͤche, weil es ein Unver- moͤgen zum Grunde hat, die fremden Vorſtellungen, welche die Aktion aufhalten, genugſam zu entfernen. Aber es iſt Staͤrke und Vollkommenheit, wenn die Seele aus Eigenmacht fremde Vorſtellungen in ſich unterhal- ten, und mit dieſen wie mit Sperraͤdern die zu ſchnelle Aeußerung des Vermoͤgens hindern, und deſſen Wirk- ſamkeit in die Laͤnge ziehen kann. Sie ſchonet alsdenn ihr Feuer, bedecket es mit neuen Kohlen, und beſpritzet es T t 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/723
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 663. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/723>, abgerufen am 24.11.2024.