Die Empfindnisse sind eine besondere Art von Ge- fühlen und Empfindungen, die nicht sowohl von den Dingen selbst, welche unsern Zustand verändern, als vielmehr von den Beziehungen dieser Veränderungen auf einander und auf die Seele entstehen. *) Diese ihre Eigenheit macht es begreiflich, wie und warum sie die thätige Kraft der Seele, den Verstand sowohl als den Willen, zu neuen Thätigkeiten anreizen. Denn da sie reizende Ursachen sind, die nicht von den Sachen, für sich allein genommen, herrühren, so können sie die thä- tige Kraft auch nicht allein auf die Sachen selbst zurück- wirkend machen, woraus nur eine Vorstellung von der Sache entstehen würde. Sie müssen ihr eine neue Rich- tung geben, das ist, sie nicht blos zur Bearbeitung des Eindrucks von außen, zur Apprehension der Sache, und zu einer Vorstellung von ihr, sondern zu neuen Hand- lungen in sich oder außer sich hintreiben. Wird das Licht schmerzhaft, so wenden wir die Augen weg; ist der Ton widrig, so arbeiten wir mit Macht, ihn durch andere zu verdrängen. Jst die Empfindung dagegen angenehm, so suchen wir sie zu erhalten, und das besteht in neuen Aktionen, die wir vornehmen, ohne welche die ergözende Modifikation verschwinden würde. Die gleichgültigen Empfindungen enthalten gar keine Reize zu neuen Aktio- nen, so weit sie gleichgültig sind. Aber diejenigen, die gleichgültig für das Herz sind, können interessirend für den Verstand seyn. Ueberhaupt aber sind es Empfind- nisse, in der Maaße, wie sie die thätigen Vermögen zu neuen Aktionen spannen, die von denjenigen, welche in dem bloßen Gefühl sich äußern, verschieden sind.
Jch will es hier noch nicht beweisen, daß alle Kraft- äußerungen der Seele, des Verstandes und des Willens, in nichts verschieden sind, als nur in Hinsicht der Ver- anlassungen, der Gegenstände und der Richtung und
Stärke
*) Zweeter Versuch.III. 3.
X. Verſuch. Ueber die Beziehung
Die Empfindniſſe ſind eine beſondere Art von Ge- fuͤhlen und Empfindungen, die nicht ſowohl von den Dingen ſelbſt, welche unſern Zuſtand veraͤndern, als vielmehr von den Beziehungen dieſer Veraͤnderungen auf einander und auf die Seele entſtehen. *) Dieſe ihre Eigenheit macht es begreiflich, wie und warum ſie die thaͤtige Kraft der Seele, den Verſtand ſowohl als den Willen, zu neuen Thaͤtigkeiten anreizen. Denn da ſie reizende Urſachen ſind, die nicht von den Sachen, fuͤr ſich allein genommen, herruͤhren, ſo koͤnnen ſie die thaͤ- tige Kraft auch nicht allein auf die Sachen ſelbſt zuruͤck- wirkend machen, woraus nur eine Vorſtellung von der Sache entſtehen wuͤrde. Sie muͤſſen ihr eine neue Rich- tung geben, das iſt, ſie nicht blos zur Bearbeitung des Eindrucks von außen, zur Apprehenſion der Sache, und zu einer Vorſtellung von ihr, ſondern zu neuen Hand- lungen in ſich oder außer ſich hintreiben. Wird das Licht ſchmerzhaft, ſo wenden wir die Augen weg; iſt der Ton widrig, ſo arbeiten wir mit Macht, ihn durch andere zu verdraͤngen. Jſt die Empfindung dagegen angenehm, ſo ſuchen wir ſie zu erhalten, und das beſteht in neuen Aktionen, die wir vornehmen, ohne welche die ergoͤzende Modifikation verſchwinden wuͤrde. Die gleichguͤltigen Empfindungen enthalten gar keine Reize zu neuen Aktio- nen, ſo weit ſie gleichguͤltig ſind. Aber diejenigen, die gleichguͤltig fuͤr das Herz ſind, koͤnnen intereſſirend fuͤr den Verſtand ſeyn. Ueberhaupt aber ſind es Empfind- niſſe, in der Maaße, wie ſie die thaͤtigen Vermoͤgen zu neuen Aktionen ſpannen, die von denjenigen, welche in dem bloßen Gefuͤhl ſich aͤußern, verſchieden ſind.
Jch will es hier noch nicht beweiſen, daß alle Kraft- aͤußerungen der Seele, des Verſtandes und des Willens, in nichts verſchieden ſind, als nur in Hinſicht der Ver- anlaſſungen, der Gegenſtaͤnde und der Richtung und
Staͤrke
*) Zweeter Verſuch.III. 3.
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X. Verſuch. Ueber die Beziehung
Die Empfindniſſe ſind eine beſondere Art von Ge-
fuͤhlen und Empfindungen, die nicht ſowohl von den
Dingen ſelbſt, welche unſern Zuſtand veraͤndern, als
vielmehr von den Beziehungen dieſer Veraͤnderungen
auf einander und auf die Seele entſtehen. *) Dieſe ihre
Eigenheit macht es begreiflich, wie und warum ſie die
thaͤtige Kraft der Seele, den Verſtand ſowohl als den
Willen, zu neuen Thaͤtigkeiten anreizen. Denn da ſie
reizende Urſachen ſind, die nicht von den Sachen, fuͤr
ſich allein genommen, herruͤhren, ſo koͤnnen ſie die thaͤ-
tige Kraft auch nicht allein auf die Sachen ſelbſt zuruͤck-
wirkend machen, woraus nur eine Vorſtellung von der
Sache entſtehen wuͤrde. Sie muͤſſen ihr eine neue Rich-
tung geben, das iſt, ſie nicht blos zur Bearbeitung des
Eindrucks von außen, zur Apprehenſion der Sache, und
zu einer Vorſtellung von ihr, ſondern zu neuen Hand-
lungen in ſich oder außer ſich hintreiben. Wird das Licht
ſchmerzhaft, ſo wenden wir die Augen weg; iſt der Ton
widrig, ſo arbeiten wir mit Macht, ihn durch andere zu
verdraͤngen. Jſt die Empfindung dagegen angenehm,
ſo ſuchen wir ſie zu erhalten, und das beſteht in neuen
Aktionen, die wir vornehmen, ohne welche die ergoͤzende
Modifikation verſchwinden wuͤrde. Die gleichguͤltigen
Empfindungen enthalten gar keine Reize zu neuen Aktio-
nen, ſo weit ſie gleichguͤltig ſind. Aber diejenigen, die
gleichguͤltig fuͤr das Herz ſind, koͤnnen intereſſirend fuͤr
den Verſtand ſeyn. Ueberhaupt aber ſind es Empfind-
niſſe, in der Maaße, wie ſie die thaͤtigen Vermoͤgen zu
neuen Aktionen ſpannen, die von denjenigen, welche in
dem bloßen Gefuͤhl ſich aͤußern, verſchieden ſind.
Jch will es hier noch nicht beweiſen, daß alle Kraft-
aͤußerungen der Seele, des Verſtandes und des Willens,
in nichts verſchieden ſind, als nur in Hinſicht der Ver-
anlaſſungen, der Gegenſtaͤnde und der Richtung und
Staͤrke
*) Zweeter Verſuch. III. 3.
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 632. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/692>, abgerufen am 22.11.2024.
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