haupt in unserm Verstande vorhanden, wie kann es feh- len in dem, was Sensus kommunis genennet wird?
Bey|aller Verschiedenheit in den Bedeutungen, wor- inn die neuern Philosophen die Worte: Menschenver- stand (sensus communis; commun sense;gemeiner Verstand, und andere) genommen haben, sieht man es doch als einen allgemeinen Charakter desselben an, "daß er der raisonnirenden Vernunft entgegen gese- "tzet sey." So nahm Keid, auch Beattie und Os- wald dieß Wort, obgleich sonsten ihre Erklärungen da- von unbestimmt sind. Bald scheinet es, als wenn nur das allen Menschen gemeine Beziehungsvermögen, und dessen Wirkungen, zu verstehen seyn; bald aber schreibt man ihm, wie besonders Beattie und Oswald gethan haben, Wirkungen zu, die weit über den gemei- nen Menschensinn hinaus sind, und ohne ein sehr weit entwickeltes, und durch Ueberlegungen, Nachdenken und Kenntnisse geschärftes Beziehungsvermögen, und ohne das feinste Gefühl der Wahrheit unbegreiflich sind.
Jn dem Streit mit den Skeptikern und Jdealisten kommt es auch vornehmlich auf das Unterscheidungsmerk- mal an, was ich angegeben habe. "Das gesammte "Beziehungsvermögen des Menschen, in so ferne es "unmittelbar aus der Gegeneinanderhaltung der Vor- "stellungen, ohne eine merkliche Entwickelung allge- "meiner Begriffe, und ohne merkliche Folgerungen "aus diesen entwickelten Begriffen, über die Sachen ur- "theilet," ist überhaupt der Menschenverstand, als ein Vermögen betrachtet, in so ferne er der raisonni- renden Vernunft entgegengesetzet wird.
Es ist keine merkliche Entwickelung der Begriffe und kein merkliches Folgern und Schließen aus Ge- meinbegriffen, was da vorkommt, wo nur allein der Menschenverstand, der folgernden Vernunft entge- gengesetzt, wirksam ist. Dieses Zusatzes habe ich mich
darum
VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeit
haupt in unſerm Verſtande vorhanden, wie kann es feh- len in dem, was Senſus kommunis genennet wird?
Bey|aller Verſchiedenheit in den Bedeutungen, wor- inn die neuern Philoſophen die Worte: Menſchenver- ſtand (ſenſus communis; commun ſenſe;gemeiner Verſtand, und andere) genommen haben, ſieht man es doch als einen allgemeinen Charakter deſſelben an, „daß er der raiſonnirenden Vernunft entgegen geſe- „tzet ſey.‟ So nahm Keid, auch Beattie und Os- wald dieß Wort, obgleich ſonſten ihre Erklaͤrungen da- von unbeſtimmt ſind. Bald ſcheinet es, als wenn nur das allen Menſchen gemeine Beziehungsvermoͤgen, und deſſen Wirkungen, zu verſtehen ſeyn; bald aber ſchreibt man ihm, wie beſonders Beattie und Oswald gethan haben, Wirkungen zu, die weit uͤber den gemei- nen Menſchenſinn hinaus ſind, und ohne ein ſehr weit entwickeltes, und durch Ueberlegungen, Nachdenken und Kenntniſſe geſchaͤrftes Beziehungsvermoͤgen, und ohne das feinſte Gefuͤhl der Wahrheit unbegreiflich ſind.
Jn dem Streit mit den Skeptikern und Jdealiſten kommt es auch vornehmlich auf das Unterſcheidungsmerk- mal an, was ich angegeben habe. „Das geſammte „Beziehungsvermoͤgen des Menſchen, in ſo ferne es „unmittelbar aus der Gegeneinanderhaltung der Vor- „ſtellungen, ohne eine merkliche Entwickelung allge- „meiner Begriffe, und ohne merkliche Folgerungen „aus dieſen entwickelten Begriffen, uͤber die Sachen ur- „theilet,‟ iſt uͤberhaupt der Menſchenverſtand, als ein Vermoͤgen betrachtet, in ſo ferne er der raiſonni- renden Vernunft entgegengeſetzet wird.
Es iſt keine merkliche Entwickelung der Begriffe und kein merkliches Folgern und Schließen aus Ge- meinbegriffen, was da vorkommt, wo nur allein der Menſchenverſtand, der folgernden Vernunft entge- gengeſetzt, wirkſam iſt. Dieſes Zuſatzes habe ich mich
darum
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VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeit
haupt in unſerm Verſtande vorhanden, wie kann es feh-
len in dem, was Senſus kommunis genennet wird?
Bey|aller Verſchiedenheit in den Bedeutungen, wor-
inn die neuern Philoſophen die Worte: Menſchenver-
ſtand (ſenſus communis; commun ſenſe; gemeiner
Verſtand, und andere) genommen haben, ſieht man
es doch als einen allgemeinen Charakter deſſelben an,
„daß er der raiſonnirenden Vernunft entgegen geſe-
„tzet ſey.‟ So nahm Keid, auch Beattie und Os-
wald dieß Wort, obgleich ſonſten ihre Erklaͤrungen da-
von unbeſtimmt ſind. Bald ſcheinet es, als wenn nur
das allen Menſchen gemeine Beziehungsvermoͤgen,
und deſſen Wirkungen, zu verſtehen ſeyn; bald aber
ſchreibt man ihm, wie beſonders Beattie und Oswald
gethan haben, Wirkungen zu, die weit uͤber den gemei-
nen Menſchenſinn hinaus ſind, und ohne ein ſehr weit
entwickeltes, und durch Ueberlegungen, Nachdenken und
Kenntniſſe geſchaͤrftes Beziehungsvermoͤgen, und ohne
das feinſte Gefuͤhl der Wahrheit unbegreiflich ſind.
Jn dem Streit mit den Skeptikern und Jdealiſten
kommt es auch vornehmlich auf das Unterſcheidungsmerk-
mal an, was ich angegeben habe. „Das geſammte
„Beziehungsvermoͤgen des Menſchen, in ſo ferne es
„unmittelbar aus der Gegeneinanderhaltung der Vor-
„ſtellungen, ohne eine merkliche Entwickelung allge-
„meiner Begriffe, und ohne merkliche Folgerungen
„aus dieſen entwickelten Begriffen, uͤber die Sachen ur-
„theilet,‟ iſt uͤberhaupt der Menſchenverſtand, als
ein Vermoͤgen betrachtet, in ſo ferne er der raiſonni-
renden Vernunft entgegengeſetzet wird.
Es iſt keine merkliche Entwickelung der Begriffe
und kein merkliches Folgern und Schließen aus Ge-
meinbegriffen, was da vorkommt, wo nur allein der
Menſchenverſtand, der folgernden Vernunft entge-
gengeſetzt, wirkſam iſt. Dieſes Zuſatzes habe ich mich
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 520. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/580>, abgerufen am 21.11.2024.
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