Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

VII. Versuch. Von der Nothwendigkeit
Gedanken stehet, welcher von der Jdee des Subjekts
verschieden sey.

Jn der That enthält unser gewöhnlicher Grundbe-
grif von dem Entstehen schon die Jdee von einer Ab-
hängigkeit
und ursachlicher Verbindung in sich. Denn
die mehresten empfundenen Entstehungen, zumal die in-
nern, haben klar genug andere Gefühle bey sich gehabt,
welche die Materie zu dem Verhältnißgedanken von der
ursachlichen Verbindung ausmachen, aus der dieser Ge-
danke gemacht wird. Aus solchen Empfindungen ist die
Abstraktion ohne Zweifel zunächst gezogen worden, so
wie sie in dem gemeinen Verstande vorhanden ist. Aber
da es andere Empfindungen giebt, wo Dinge entstehen,
ohne daß etwas von ihrer Ursache mit empfunden wird,
so konnte der letztere Zusatz in dem Gemeinbegrif auch
wohl von ihm wieder abgesondert werden.

Es ist also nicht so wohl die aus der Empfindung
herrührende Verbindung der Jdee von Abhängigkeit mit
der Jdee von dem Entstehen, sondern vielmehr die Ab-
hängigkeit des Gedankens,
wenn wir ein Ding als
ein entstandenes, oder wirklich gewordenes Ding erken-
nen, und die Unentbehrlichkeit eines ideellen Grundes
hiezu, die wahre physische Ursache von der subjektivischen
Nothwendigkeit, mit der ein Entstandenes Ding zugleich
auch als ein von einer andern Ursache abhangendes und
hervorgebrachtes gedacht wird.

Dieß geht so zu. Die Unentbehrlichkeit einer
ideellen Ursache zu der ideellen Existenz in uns,
wird auf die objektivische Existenz der Dinge außer
uns übergetragen. So wie in uns der Gedanke "ein
unwirklich gewesenes Ding sey zur Existenz gekommen,"
seinen psychologischen Grund haben muß, der vor der
Wirkung vorhergehet, und also im Verstande ein sub-
jektivischer Grund a priori ist, so muß auch jedes sol-
ches Objekt außer dem Verstande seinen objektivischen

Grund

VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeit
Gedanken ſtehet, welcher von der Jdee des Subjekts
verſchieden ſey.

Jn der That enthaͤlt unſer gewoͤhnlicher Grundbe-
grif von dem Entſtehen ſchon die Jdee von einer Ab-
haͤngigkeit
und urſachlicher Verbindung in ſich. Denn
die mehreſten empfundenen Entſtehungen, zumal die in-
nern, haben klar genug andere Gefuͤhle bey ſich gehabt,
welche die Materie zu dem Verhaͤltnißgedanken von der
urſachlichen Verbindung ausmachen, aus der dieſer Ge-
danke gemacht wird. Aus ſolchen Empfindungen iſt die
Abſtraktion ohne Zweifel zunaͤchſt gezogen worden, ſo
wie ſie in dem gemeinen Verſtande vorhanden iſt. Aber
da es andere Empfindungen giebt, wo Dinge entſtehen,
ohne daß etwas von ihrer Urſache mit empfunden wird,
ſo konnte der letztere Zuſatz in dem Gemeinbegrif auch
wohl von ihm wieder abgeſondert werden.

Es iſt alſo nicht ſo wohl die aus der Empfindung
herruͤhrende Verbindung der Jdee von Abhaͤngigkeit mit
der Jdee von dem Entſtehen, ſondern vielmehr die Ab-
haͤngigkeit des Gedankens,
wenn wir ein Ding als
ein entſtandenes, oder wirklich gewordenes Ding erken-
nen, und die Unentbehrlichkeit eines ideellen Grundes
hiezu, die wahre phyſiſche Urſache von der ſubjektiviſchen
Nothwendigkeit, mit der ein Entſtandenes Ding zugleich
auch als ein von einer andern Urſache abhangendes und
hervorgebrachtes gedacht wird.

Dieß geht ſo zu. Die Unentbehrlichkeit einer
ideellen Urſache zu der ideellen Exiſtenz in uns,
wird auf die objektiviſche Exiſtenz der Dinge außer
uns uͤbergetragen. So wie in uns der Gedanke „ein
unwirklich geweſenes Ding ſey zur Exiſtenz gekommen,‟
ſeinen pſychologiſchen Grund haben muß, der vor der
Wirkung vorhergehet, und alſo im Verſtande ein ſub-
jektiviſcher Grund a priori iſt, ſo muß auch jedes ſol-
ches Objekt außer dem Verſtande ſeinen objektiviſchen

Grund
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0566" n="506"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">VII.</hi> Ver&#x017F;uch. Von der Nothwendigkeit</hi></fw><lb/>
Gedanken &#x017F;tehet, welcher von der Jdee des Subjekts<lb/>
ver&#x017F;chieden &#x017F;ey.</p><lb/>
            <p>Jn der That entha&#x0364;lt un&#x017F;er gewo&#x0364;hnlicher Grundbe-<lb/>
grif von dem <hi rendition="#fr">Ent&#x017F;tehen</hi> &#x017F;chon die Jdee von einer <hi rendition="#fr">Ab-<lb/>
ha&#x0364;ngigkeit</hi> und ur&#x017F;achlicher Verbindung in &#x017F;ich. Denn<lb/>
die mehre&#x017F;ten empfundenen Ent&#x017F;tehungen, zumal die in-<lb/>
nern, haben klar genug andere Gefu&#x0364;hle bey &#x017F;ich gehabt,<lb/>
welche die Materie zu dem Verha&#x0364;ltnißgedanken von der<lb/>
ur&#x017F;achlichen Verbindung ausmachen, aus der die&#x017F;er Ge-<lb/>
danke gemacht wird. Aus &#x017F;olchen Empfindungen i&#x017F;t die<lb/>
Ab&#x017F;traktion ohne Zweifel zuna&#x0364;ch&#x017F;t gezogen worden, &#x017F;o<lb/>
wie &#x017F;ie in dem gemeinen Ver&#x017F;tande vorhanden i&#x017F;t. Aber<lb/>
da es andere Empfindungen giebt, wo Dinge ent&#x017F;tehen,<lb/>
ohne daß etwas von ihrer Ur&#x017F;ache mit empfunden wird,<lb/>
&#x017F;o konnte der letztere Zu&#x017F;atz in dem Gemeinbegrif auch<lb/>
wohl von ihm wieder abge&#x017F;ondert werden.</p><lb/>
            <p>Es i&#x017F;t al&#x017F;o nicht &#x017F;o wohl die <hi rendition="#fr">aus der Empfindung</hi><lb/>
herru&#x0364;hrende Verbindung der Jdee von Abha&#x0364;ngigkeit mit<lb/>
der Jdee von dem Ent&#x017F;tehen, &#x017F;ondern vielmehr die <hi rendition="#fr">Ab-<lb/>
ha&#x0364;ngigkeit des Gedankens,</hi> wenn wir ein Ding als<lb/>
ein ent&#x017F;tandenes, oder wirklich gewordenes Ding erken-<lb/>
nen, und die Unentbehrlichkeit eines ideellen Grundes<lb/>
hiezu, die wahre phy&#x017F;i&#x017F;che Ur&#x017F;ache von der &#x017F;ubjektivi&#x017F;chen<lb/>
Nothwendigkeit, mit der ein Ent&#x017F;tandenes Ding zugleich<lb/>
auch als ein von einer andern Ur&#x017F;ache abhangendes und<lb/>
hervorgebrachtes gedacht wird.</p><lb/>
            <p>Dieß geht &#x017F;o zu. Die <hi rendition="#fr">Unentbehrlichkeit</hi> einer<lb/><hi rendition="#fr">ideellen Ur&#x017F;ache</hi> zu der <hi rendition="#fr">ideellen Exi&#x017F;tenz</hi> in uns,<lb/>
wird auf die <hi rendition="#fr">objektivi&#x017F;che Exi&#x017F;tenz</hi> der Dinge außer<lb/>
uns u&#x0364;bergetragen. So wie in uns der Gedanke &#x201E;ein<lb/>
unwirklich gewe&#x017F;enes Ding &#x017F;ey zur Exi&#x017F;tenz gekommen,&#x201F;<lb/>
&#x017F;einen p&#x017F;ychologi&#x017F;chen Grund haben muß, der vor der<lb/>
Wirkung vorhergehet, und al&#x017F;o im Ver&#x017F;tande ein &#x017F;ub-<lb/>
jektivi&#x017F;cher Grund <hi rendition="#aq">a priori</hi> i&#x017F;t, &#x017F;o muß auch jedes &#x017F;ol-<lb/>
ches Objekt außer dem Ver&#x017F;tande &#x017F;einen objektivi&#x017F;chen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Grund</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[506/0566] VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeit Gedanken ſtehet, welcher von der Jdee des Subjekts verſchieden ſey. Jn der That enthaͤlt unſer gewoͤhnlicher Grundbe- grif von dem Entſtehen ſchon die Jdee von einer Ab- haͤngigkeit und urſachlicher Verbindung in ſich. Denn die mehreſten empfundenen Entſtehungen, zumal die in- nern, haben klar genug andere Gefuͤhle bey ſich gehabt, welche die Materie zu dem Verhaͤltnißgedanken von der urſachlichen Verbindung ausmachen, aus der dieſer Ge- danke gemacht wird. Aus ſolchen Empfindungen iſt die Abſtraktion ohne Zweifel zunaͤchſt gezogen worden, ſo wie ſie in dem gemeinen Verſtande vorhanden iſt. Aber da es andere Empfindungen giebt, wo Dinge entſtehen, ohne daß etwas von ihrer Urſache mit empfunden wird, ſo konnte der letztere Zuſatz in dem Gemeinbegrif auch wohl von ihm wieder abgeſondert werden. Es iſt alſo nicht ſo wohl die aus der Empfindung herruͤhrende Verbindung der Jdee von Abhaͤngigkeit mit der Jdee von dem Entſtehen, ſondern vielmehr die Ab- haͤngigkeit des Gedankens, wenn wir ein Ding als ein entſtandenes, oder wirklich gewordenes Ding erken- nen, und die Unentbehrlichkeit eines ideellen Grundes hiezu, die wahre phyſiſche Urſache von der ſubjektiviſchen Nothwendigkeit, mit der ein Entſtandenes Ding zugleich auch als ein von einer andern Urſache abhangendes und hervorgebrachtes gedacht wird. Dieß geht ſo zu. Die Unentbehrlichkeit einer ideellen Urſache zu der ideellen Exiſtenz in uns, wird auf die objektiviſche Exiſtenz der Dinge außer uns uͤbergetragen. So wie in uns der Gedanke „ein unwirklich geweſenes Ding ſey zur Exiſtenz gekommen,‟ ſeinen pſychologiſchen Grund haben muß, der vor der Wirkung vorhergehet, und alſo im Verſtande ein ſub- jektiviſcher Grund a priori iſt, ſo muß auch jedes ſol- ches Objekt außer dem Verſtande ſeinen objektiviſchen Grund

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/566
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 506. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/566>, abgerufen am 22.11.2024.