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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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der sinnlich. Kenntn. u. d. vernünftigen.
nünftiger Mann lachte einstmals einem Naturlehrer ins
Gesicht, als dieser ihm sagte, daß er nach der Ursache
forsche, warum ein Körper, den man aus der Hand lasse,
herunterfalle; denn es schien dem ersten dieß eben so sehr
sich von selbst zu verstehen, als daß zweymal zwey viere
machen.

Jch übergehe, was in jeder guten Vernunftlehre
über diese Gattung von Gemeinsätzen gesagt wird. Die
Jnduktion ist allemal, wenn die Sätze von einigem Um-
fang sind, unvollständig; man kann aber demohngeach-
tet durch einen Hülfsschluß sich bey einigen von ihrer
Allgemeinheit überzeugen. Einige aus dieser Klasse
möchten durch eine genauere Entwickelung der Begriffe
in die Klasse der nothwendigen Vernunftsätze gebracht
werden können. Aber in wie vielen Fällen hat man
diese Umänderung in der Philosophie nicht vergeblich
versuchet? Die Metaphysiker haben nur gar zu gerne
Sätze, die eigentlich nichts anders, als physische, psy-
chologische und auch wohl kosmologische Beobachtungs-
sätze seyn konnten, durch Demonstrationen aus Begrif-
fen zu allgemeinen transcendenten Vernunftsätzen machen
wollen, und dieß hat einigen Schein bey solchen gehabt,
wie die allgemeinsten Bewegungsgesetze sind, worinn
wirklich etwas allgemeines enthalten ist, was zu den
nothwendigen Grundsätzen hingehöret. Nur hätte man
dieß nicht auf ihren ganzen Jnhalt ausdehnen sollen.
Jch übergehe diese Anmerkungen mit andern.

Diese allgemeinen Erfahrungssätze sind ein großer
Schatz in unserer menschlichen Erkenntniß. Noch mehr.
Sie sind das reelleste in ihr, und die wahren Materia-
lien zu der Erkenntniß von wirklichen Dingen. Aber
dennoch sind sie allein genommen, auch nichts mehr als
dieß, nichts mehr als die Materie der reellen Erkennt-
niß, und zwar bloße Materie, die nicht verbunden,
nicht in Zusammenhang und Form gebracht werden kann,

wenn
I. Band. G g

der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen.
nuͤnftiger Mann lachte einſtmals einem Naturlehrer ins
Geſicht, als dieſer ihm ſagte, daß er nach der Urſache
forſche, warum ein Koͤrper, den man aus der Hand laſſe,
herunterfalle; denn es ſchien dem erſten dieß eben ſo ſehr
ſich von ſelbſt zu verſtehen, als daß zweymal zwey viere
machen.

Jch uͤbergehe, was in jeder guten Vernunftlehre
uͤber dieſe Gattung von Gemeinſaͤtzen geſagt wird. Die
Jnduktion iſt allemal, wenn die Saͤtze von einigem Um-
fang ſind, unvollſtaͤndig; man kann aber demohngeach-
tet durch einen Huͤlfsſchluß ſich bey einigen von ihrer
Allgemeinheit uͤberzeugen. Einige aus dieſer Klaſſe
moͤchten durch eine genauere Entwickelung der Begriffe
in die Klaſſe der nothwendigen Vernunftſaͤtze gebracht
werden koͤnnen. Aber in wie vielen Faͤllen hat man
dieſe Umaͤnderung in der Philoſophie nicht vergeblich
verſuchet? Die Metaphyſiker haben nur gar zu gerne
Saͤtze, die eigentlich nichts anders, als phyſiſche, pſy-
chologiſche und auch wohl kosmologiſche Beobachtungs-
ſaͤtze ſeyn konnten, durch Demonſtrationen aus Begrif-
fen zu allgemeinen tranſcendenten Vernunftſaͤtzen machen
wollen, und dieß hat einigen Schein bey ſolchen gehabt,
wie die allgemeinſten Bewegungsgeſetze ſind, worinn
wirklich etwas allgemeines enthalten iſt, was zu den
nothwendigen Grundſaͤtzen hingehoͤret. Nur haͤtte man
dieß nicht auf ihren ganzen Jnhalt ausdehnen ſollen.
Jch uͤbergehe dieſe Anmerkungen mit andern.

Dieſe allgemeinen Erfahrungsſaͤtze ſind ein großer
Schatz in unſerer menſchlichen Erkenntniß. Noch mehr.
Sie ſind das reelleſte in ihr, und die wahren Materia-
lien zu der Erkenntniß von wirklichen Dingen. Aber
dennoch ſind ſie allein genommen, auch nichts mehr als
dieß, nichts mehr als die Materie der reellen Erkennt-
niß, und zwar bloße Materie, die nicht verbunden,
nicht in Zuſammenhang und Form gebracht werden kann,

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[465/0525] der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen. nuͤnftiger Mann lachte einſtmals einem Naturlehrer ins Geſicht, als dieſer ihm ſagte, daß er nach der Urſache forſche, warum ein Koͤrper, den man aus der Hand laſſe, herunterfalle; denn es ſchien dem erſten dieß eben ſo ſehr ſich von ſelbſt zu verſtehen, als daß zweymal zwey viere machen. Jch uͤbergehe, was in jeder guten Vernunftlehre uͤber dieſe Gattung von Gemeinſaͤtzen geſagt wird. Die Jnduktion iſt allemal, wenn die Saͤtze von einigem Um- fang ſind, unvollſtaͤndig; man kann aber demohngeach- tet durch einen Huͤlfsſchluß ſich bey einigen von ihrer Allgemeinheit uͤberzeugen. Einige aus dieſer Klaſſe moͤchten durch eine genauere Entwickelung der Begriffe in die Klaſſe der nothwendigen Vernunftſaͤtze gebracht werden koͤnnen. Aber in wie vielen Faͤllen hat man dieſe Umaͤnderung in der Philoſophie nicht vergeblich verſuchet? Die Metaphyſiker haben nur gar zu gerne Saͤtze, die eigentlich nichts anders, als phyſiſche, pſy- chologiſche und auch wohl kosmologiſche Beobachtungs- ſaͤtze ſeyn konnten, durch Demonſtrationen aus Begrif- fen zu allgemeinen tranſcendenten Vernunftſaͤtzen machen wollen, und dieß hat einigen Schein bey ſolchen gehabt, wie die allgemeinſten Bewegungsgeſetze ſind, worinn wirklich etwas allgemeines enthalten iſt, was zu den nothwendigen Grundſaͤtzen hingehoͤret. Nur haͤtte man dieß nicht auf ihren ganzen Jnhalt ausdehnen ſollen. Jch uͤbergehe dieſe Anmerkungen mit andern. Dieſe allgemeinen Erfahrungsſaͤtze ſind ein großer Schatz in unſerer menſchlichen Erkenntniß. Noch mehr. Sie ſind das reelleſte in ihr, und die wahren Materia- lien zu der Erkenntniß von wirklichen Dingen. Aber dennoch ſind ſie allein genommen, auch nichts mehr als dieß, nichts mehr als die Materie der reellen Erkennt- niß, und zwar bloße Materie, die nicht verbunden, nicht in Zuſammenhang und Form gebracht werden kann, wenn I. Band. G g

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/525>, abgerufen am 21.11.2024.