setzen; und da kann es durch zufällige Ursachen an der erfoderlichen Lebhaftigkeit fehlen; oder diese kann an Ei- ner Seite der Empfindungen mehr als an einer andern vorhanden seyn.
Die Freude, die Traurigkeit u. s. w. setzen wir in uns. Der Mensch kann sich freuen, ohne auch schon mit dieser Freude die Jdee zu verbinden, daß sie eine Beschaffenheit sey, die in einem Subjekt existire. Aber sobald dieser letzte Gedanke hinzukommt, so nimmt er seinen Gemüthszustand gewahr. Dieß kann er aber nicht, ohne sein Jch mit gewahr zu nehmen, oder, ohne zugleich seine Kraft, sein Gefühl, sein Bewußtseyn, sei- ne Thätigkeit mit zu empfinden. Er nimmt ein Gan- zes von Empfindungen zugleich gewahr, und in diesem Ganzen, das ist, in seinem Jch, nimmt er seine Freu- de gewahr, oder eine Beschaffenheit desselben. Die Freude ist also in ihm.
Wenn ich mir jetzo den Mond in der Abwesenheit wieder vorstelle, und diese Wiedervorstellung zu beob- achten anfange, so nehme ich sie in mir gewahr, das heißt, das Gefühl aus der gegenwärtigen Vorstellung wird als ein Theil einer ganzen Empfindungsvorstellung von meinem Jch gewahrgenommen. Jch setze sie also in mich hin, wenn ich urtheile. Man kann so weit und so lebhaft in die Vorstellungen äußerer Objekte hin- eingehen, wie Archimedes in seine Zirkel, daß das Ge- fühl unserer Selbst unter dem Grad verdunkelt wird, der zum klaren Bewußtseyn erfodert wird. Jn dieser Hitze der Betrachtung vergessen wir es am meisten, daß es unsere Vorstellungen sind, und nicht die Objekte, die uns beschäftigen.
Die Eindrücke des Geschmacks und des Geruchs setzen wir, jene in die Zunge, diese in die Nase. Wir empfinden sie in dem Organ. Warum? Die Empfin- dung des ganzen Organs ist mit der Empfindung des
Geruchs
I.Band. D d
Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge.
ſetzen; und da kann es durch zufaͤllige Urſachen an der erfoderlichen Lebhaftigkeit fehlen; oder dieſe kann an Ei- ner Seite der Empfindungen mehr als an einer andern vorhanden ſeyn.
Die Freude, die Traurigkeit u. ſ. w. ſetzen wir in uns. Der Menſch kann ſich freuen, ohne auch ſchon mit dieſer Freude die Jdee zu verbinden, daß ſie eine Beſchaffenheit ſey, die in einem Subjekt exiſtire. Aber ſobald dieſer letzte Gedanke hinzukommt, ſo nimmt er ſeinen Gemuͤthszuſtand gewahr. Dieß kann er aber nicht, ohne ſein Jch mit gewahr zu nehmen, oder, ohne zugleich ſeine Kraft, ſein Gefuͤhl, ſein Bewußtſeyn, ſei- ne Thaͤtigkeit mit zu empfinden. Er nimmt ein Gan- zes von Empfindungen zugleich gewahr, und in dieſem Ganzen, das iſt, in ſeinem Jch, nimmt er ſeine Freu- de gewahr, oder eine Beſchaffenheit deſſelben. Die Freude iſt alſo in ihm.
Wenn ich mir jetzo den Mond in der Abweſenheit wieder vorſtelle, und dieſe Wiedervorſtellung zu beob- achten anfange, ſo nehme ich ſie in mir gewahr, das heißt, das Gefuͤhl aus der gegenwaͤrtigen Vorſtellung wird als ein Theil einer ganzen Empfindungsvorſtellung von meinem Jch gewahrgenommen. Jch ſetze ſie alſo in mich hin, wenn ich urtheile. Man kann ſo weit und ſo lebhaft in die Vorſtellungen aͤußerer Objekte hin- eingehen, wie Archimedes in ſeine Zirkel, daß das Ge- fuͤhl unſerer Selbſt unter dem Grad verdunkelt wird, der zum klaren Bewußtſeyn erfodert wird. Jn dieſer Hitze der Betrachtung vergeſſen wir es am meiſten, daß es unſere Vorſtellungen ſind, und nicht die Objekte, die uns beſchaͤftigen.
Die Eindruͤcke des Geſchmacks und des Geruchs ſetzen wir, jene in die Zunge, dieſe in die Naſe. Wir empfinden ſie in dem Organ. Warum? Die Empfin- dung des ganzen Organs iſt mit der Empfindung des
Geruchs
I.Band. D d
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Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge.
ſetzen; und da kann es durch zufaͤllige Urſachen an der
erfoderlichen Lebhaftigkeit fehlen; oder dieſe kann an Ei-
ner Seite der Empfindungen mehr als an einer andern
vorhanden ſeyn.
Die Freude, die Traurigkeit u. ſ. w. ſetzen wir in
uns. Der Menſch kann ſich freuen, ohne auch ſchon
mit dieſer Freude die Jdee zu verbinden, daß ſie eine
Beſchaffenheit ſey, die in einem Subjekt exiſtire. Aber
ſobald dieſer letzte Gedanke hinzukommt, ſo nimmt er
ſeinen Gemuͤthszuſtand gewahr. Dieß kann er aber
nicht, ohne ſein Jch mit gewahr zu nehmen, oder, ohne
zugleich ſeine Kraft, ſein Gefuͤhl, ſein Bewußtſeyn, ſei-
ne Thaͤtigkeit mit zu empfinden. Er nimmt ein Gan-
zes von Empfindungen zugleich gewahr, und in dieſem
Ganzen, das iſt, in ſeinem Jch, nimmt er ſeine Freu-
de gewahr, oder eine Beſchaffenheit deſſelben. Die
Freude iſt alſo in ihm.
Wenn ich mir jetzo den Mond in der Abweſenheit
wieder vorſtelle, und dieſe Wiedervorſtellung zu beob-
achten anfange, ſo nehme ich ſie in mir gewahr, das
heißt, das Gefuͤhl aus der gegenwaͤrtigen Vorſtellung
wird als ein Theil einer ganzen Empfindungsvorſtellung
von meinem Jch gewahrgenommen. Jch ſetze ſie alſo
in mich hin, wenn ich urtheile. Man kann ſo weit
und ſo lebhaft in die Vorſtellungen aͤußerer Objekte hin-
eingehen, wie Archimedes in ſeine Zirkel, daß das Ge-
fuͤhl unſerer Selbſt unter dem Grad verdunkelt wird, der
zum klaren Bewußtſeyn erfodert wird. Jn dieſer Hitze
der Betrachtung vergeſſen wir es am meiſten, daß es
unſere Vorſtellungen ſind, und nicht die Objekte, die
uns beſchaͤftigen.
Die Eindruͤcke des Geſchmacks und des Geruchs
ſetzen wir, jene in die Zunge, dieſe in die Naſe. Wir
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/477>, abgerufen am 21.11.2024.
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