Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.Kenntn. v. d. objektiv. Existenz d. Dinge. Denkkraft sey, die nur alsdenn erst hervorkommt, wenndie Empfindung des Objekts schon in eine Vorstellung übergegangen ist, und diese Vorstellung als eine Appre- hension des Objekts voraussetzet, so finden wir doch auch in unserm jetzigen Zustande des Geistes, den wir zu be- obachten im Stande sind, unzählige Fälle, wo wir glau- ben, die empfundene Gegenstände unmittelbar vor uns zu haben; wo wir sie als äußere Objekte ansehen, sie dafür erklären, ohne von ihren zurückgebliebenen Ein- drücken und Vorstellungen, oder von Verbindungen die- ser Vorstellungen mit andern, oder von Vergleichungen und andern Denkthätigkeiten, wodurch jenes Urtheil her- vorgebracht werden sollte, etwas in uns gewahrzuneh- men. Jn unsern gewöhnlichen Empfindungsideen ist der Gedanke, daß wir uns andere Objekte vorstellen, so unmittelbar eingewebet, und wir sind uns so wenig ir- gend eines Aktus der Reflexion bewußt, der vorhergehe, daß man es Reid, Home, Reimarus und andern, nicht eben hoch anzurechnen hat, wenn sie den Gedanken von der objekrivischen und subjektivischen Existenz der Dinge, für eine unmittelbare Wirkung des Jnstinkts gehalten. Sie haben auch in einer gewissen Hinsicht nichts unrichtiges gesagt. Die Aeußerungen der Denk- kraft sind Aeußerungen eines Grundvermögens, die am Ende in gewisse allgemeine natürlich nothwendige Wir- kungsarten aufgelöset werden, bey denen wir, wie bey den Grundvermögen der Körper weiter nichts thun kön- nen, als nur bemerken, daß sie vorhanden sind, ohne sie aus noch entferntern Principien her zu holen. Aber auf der andern Seite ist es ein Fehler, wenn man sich bey einzelnen besondern Wirkungen, unmittelbar auf den Jnstinkt beruft. Das heißt die Untersuchung allzu vor- eilig abbrechen, wobey der philosophische Psycholog so wenig befriediget wird, als der philosophische Naturfor- scher, wenn man ihm sagt, es sey ein Jnstinkt des Magne- A a 4
Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge. Denkkraft ſey, die nur alsdenn erſt hervorkommt, wenndie Empfindung des Objekts ſchon in eine Vorſtellung uͤbergegangen iſt, und dieſe Vorſtellung als eine Appre- henſion des Objekts vorausſetzet, ſo finden wir doch auch in unſerm jetzigen Zuſtande des Geiſtes, den wir zu be- obachten im Stande ſind, unzaͤhlige Faͤlle, wo wir glau- ben, die empfundene Gegenſtaͤnde unmittelbar vor uns zu haben; wo wir ſie als aͤußere Objekte anſehen, ſie dafuͤr erklaͤren, ohne von ihren zuruͤckgebliebenen Ein- druͤcken und Vorſtellungen, oder von Verbindungen die- ſer Vorſtellungen mit andern, oder von Vergleichungen und andern Denkthaͤtigkeiten, wodurch jenes Urtheil her- vorgebracht werden ſollte, etwas in uns gewahrzuneh- men. Jn unſern gewoͤhnlichen Empfindungsideen iſt der Gedanke, daß wir uns andere Objekte vorſtellen, ſo unmittelbar eingewebet, und wir ſind uns ſo wenig ir- gend eines Aktus der Reflexion bewußt, der vorhergehe, daß man es Reid, Home, Reimarus und andern, nicht eben hoch anzurechnen hat, wenn ſie den Gedanken von der objekriviſchen und ſubjektiviſchen Exiſtenz der Dinge, fuͤr eine unmittelbare Wirkung des Jnſtinkts gehalten. Sie haben auch in einer gewiſſen Hinſicht nichts unrichtiges geſagt. Die Aeußerungen der Denk- kraft ſind Aeußerungen eines Grundvermoͤgens, die am Ende in gewiſſe allgemeine natuͤrlich nothwendige Wir- kungsarten aufgeloͤſet werden, bey denen wir, wie bey den Grundvermoͤgen der Koͤrper weiter nichts thun koͤn- nen, als nur bemerken, daß ſie vorhanden ſind, ohne ſie aus noch entferntern Principien her zu holen. Aber auf der andern Seite iſt es ein Fehler, wenn man ſich bey einzelnen beſondern Wirkungen, unmittelbar auf den Jnſtinkt beruft. Das heißt die Unterſuchung allzu vor- eilig abbrechen, wobey der philoſophiſche Pſycholog ſo wenig befriediget wird, als der philoſophiſche Naturfor- ſcher, wenn man ihm ſagt, es ſey ein Jnſtinkt des Magne- A a 4
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Kenntn. v. d. objektiv. Exiſtenz d. Dinge.
Denkkraft ſey, die nur alsdenn erſt hervorkommt, wenn
die Empfindung des Objekts ſchon in eine Vorſtellung
uͤbergegangen iſt, und dieſe Vorſtellung als eine Appre-
henſion des Objekts vorausſetzet, ſo finden wir doch auch
in unſerm jetzigen Zuſtande des Geiſtes, den wir zu be-
obachten im Stande ſind, unzaͤhlige Faͤlle, wo wir glau-
ben, die empfundene Gegenſtaͤnde unmittelbar vor
uns zu haben; wo wir ſie als aͤußere Objekte anſehen,
ſie dafuͤr erklaͤren, ohne von ihren zuruͤckgebliebenen Ein-
druͤcken und Vorſtellungen, oder von Verbindungen die-
ſer Vorſtellungen mit andern, oder von Vergleichungen
und andern Denkthaͤtigkeiten, wodurch jenes Urtheil her-
vorgebracht werden ſollte, etwas in uns gewahrzuneh-
men. Jn unſern gewoͤhnlichen Empfindungsideen iſt
der Gedanke, daß wir uns andere Objekte vorſtellen, ſo
unmittelbar eingewebet, und wir ſind uns ſo wenig ir-
gend eines Aktus der Reflexion bewußt, der vorhergehe,
daß man es Reid, Home, Reimarus und andern,
nicht eben hoch anzurechnen hat, wenn ſie den Gedanken
von der objekriviſchen und ſubjektiviſchen Exiſtenz der
Dinge, fuͤr eine unmittelbare Wirkung des Jnſtinkts
gehalten. Sie haben auch in einer gewiſſen Hinſicht
nichts unrichtiges geſagt. Die Aeußerungen der Denk-
kraft ſind Aeußerungen eines Grundvermoͤgens, die am
Ende in gewiſſe allgemeine natuͤrlich nothwendige Wir-
kungsarten aufgeloͤſet werden, bey denen wir, wie bey
den Grundvermoͤgen der Koͤrper weiter nichts thun koͤn-
nen, als nur bemerken, daß ſie vorhanden ſind, ohne
ſie aus noch entferntern Principien her zu holen. Aber
auf der andern Seite iſt es ein Fehler, wenn man ſich
bey einzelnen beſondern Wirkungen, unmittelbar auf den
Jnſtinkt beruft. Das heißt die Unterſuchung allzu vor-
eilig abbrechen, wobey der philoſophiſche Pſycholog ſo
wenig befriediget wird, als der philoſophiſche Naturfor-
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